Jürgen Bauer „Ein guter Mensch“, Septime

Bereit für die Zukunft? Keine wie in „star wars“, keine mit einem satten Soundtrack im Hintergrund? Vielleicht wollen Sie sich dem Buch, dem Szenario gar nicht stellen. Der Roman verlangt einiges ab. Dafür belohnt mich das Buch mit einer Sprache, die wie die beschrieben Hitze flirrt und manchmal beim Atmen fast Schmerzen verursacht.

Marko und Norbert sind Brüder – Überlebende. Marko liefert zusammen mit seinem kaputten Kumpel Trinkwasser in einem alten Tanklaster. Norbert haust mehr schlecht als recht auf dem von allem verlassenen elterlichen Hof. Er ist krank, nur noch Haut und Knochen. Marko besucht ihn zwischendurch. Wenn Norbert Glück hat, fliesst Wasser durch die Rohre in der stinkenden Küche. Was die Vergangenheit zurückliess, ist ausgetrocknet, leer, knochendürr und ohne Hoffnung. Marko ist einer der letzten, dem der letzte Rest noch nicht genommen ist. Obwohl Grund genug da wäre, um allen Mut zu verlieren. Seine Frau verliess ihn, weil sie zurück zu ihren Eltern wollte. Seine Eltern verliessen ihn und seinen Bruder einst mit dem Versprechen zurückzukommen. Und Norbert, sein grosser Bruder, der ihn einst beschützte und den ganzen Hof zu erhalten versuchte, ist nur noch ein Schatten seiner selbst.

“In Zeiten wie unseren hast du drei Möglichkeiten. Du kannst schreien, abhauen oder in die Hände spucken und mitanpacken.“

Die Erde brennt. Seit über einem Jahr kein Regen mehr. Wenn etwas vom Himmel fällt, dann der Ascheregen von den riesigen Bränden, die vor der fast verlassenen Stadt wüten. Es ist heiss. Es stinkt überall, nach Schweiss, Kloake, nach Kadavern. All die Gerüche aus der Vergangenheit gibt es nicht mehr. Sie verblassen wie die Erinnerung an die Zeit davor, an grüne, feucht Wiesen oder den Duft eines Parfüms.

Marko fährt Wasser dorthin, wo es gebraucht wird. Weil Wasser längst nicht mehr einfach aus Rohren rinnt. Weil nicht einmal die Feuerwehr mit Wasser die Brände zu löschen versucht. Weil an andern Orten der Welt die Menschen in den Fluten ertrinken und ganze Gegenden weggespült werden. Marko will für etwas nütze sein, will einer jener sein, die allen Widrigkeiten zum Trotz „in die Hände spucken und anpacken“. Was nicht einfach ist angesichts der Fatalitäten rundum.

“Ein guter Mensch“ ist mehr als eine Dystopie, sondern ein Roman über wahre Gefühle, über das, was als Bodensatz bleibt, über Familie und was einen hält. Über den Zusammenprall mit „der dritten Welle“, einer Bewegung, die alles in Frage stellen will. Stimmen, die schon heute argumentieren „Geht doch sowieso alles kaputt. Egal, was wir tun.“, gibt es schon jetzt genug. Ausgerechnet in einer Zeit, in der wir wohl auf der Kippe stehen, es uns aber in Europa so gut geht wie noch nie.

Ein Interview mit Jürgen Bauer:

Die Welt in ihrem Roman ist eine verbrannte, dem Sterben schutzlos ausgesetzte. Wer reich genug ist, setzt sich in jene Zonen ab, in denen es abgeschottet und abgeschlossen noch lebenswert erscheint. Wer bleiben muss, kämpft oder wird fatalistisch. Angesichts einer Gegenwart, in der vieles in eine solche Zukunft weist – darf man noch ein Vollbad nehmen, Nestlé-Mineralwasser trinken und den Rasen sprengen?

Man darf alles – ob man soll, muss jeder für sich selbst entscheiden. Was sicher nicht schadet: ein Abwägen der Konsequenzen, die die eigenen Handlungen haben. Allerdings glaube ich, dass der Hinweis: „Veränderung beginnt bei einem selber“ mittlerweile auch dazu dient, gröbere Verfehlungen zu verschleiern. Wir können alle unseren Wasserkonsum drosseln und auch sonst gute Bürger sein – es bräuchte jedoch eine gewaltige Anstrengung von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, um den Karren (noch) aus dem Dreck zu ziehen. Genau das habe ich in meinem Roman ja auch versucht zu beschreiben: Es kann der einzelne noch so sehr ein „guter Mensch“ sein, wenn es größere Interesse gibt, die dem entgegenstehen, ist ein Scheitern unausweichlich.

Zog die Geschichte um Marko, der in ihrem Roman in einer kaputten Welt „ein guter Mensch“ zu sein versucht, Fäden bis in ihre Träume? Das Szenario ihres Romans jedenfalls hat alle Attribute, um sich in Träumen, in Alpträumen festzusetzen.

Nein, bis in die Träume hat mich die Geschichte nicht verfolgt. Zwar gräbt man sich beim Schreiben in sein Material ein, lebt mit den Figuren, aber neben der kreativen Arbeit ist das Verfassen eines Romans ja auch immer ein technischer Prozess, zumindest für mich. Ich denke parallel zu den Themen und Figuren auch immer an Dramaturgie, Aufbau, Stil. Und das sorgt für ein wenig Distanz. Sonst wäre mir bei den Themen sehr schnell sehr heiß geworden!

Warum gab und gibt es in Buch und Film so viele realistisch erscheinende Endzeitszenarien und gleichzeitig so viel bornierte Verweigerung, das Heft in die Hand zu nehmen? Ist ein Buch wie das ihre, eine Dystopie, eine Art des Schüttelns, des Aufrüttelns?

Das ist eine sehr schwierige Frage: Warum sind wir alle so lethargisch. Ich glaube tatsächlich, dass der Klimawandel, wie in meinem Roman beschrieben, (noch) sehr unbegreiflich ist. Bis auf Hitzeperioden und einige Wetterextreme leben wir noch sehr gut in Mitteleuropa. Das sieht in anderen Weltgegenden schon ganz anders aus. Ich bin überzeugt, dass die Menschen die schrecklichen Szenarien in der Theorie begriffen haben, aber in der Praxis noch zu wenig davon spüren, um tatsächlich Handlungen zu setzen. Allerdings geht es in dem Roman ja auch um eine größere Frage: Wie geht man überhaupt mit einer Welt um, in der den Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft abhandengekommen ist? Und das betrifft viele Aspekte des Lebens, nicht nur die Umwelt – auch Politik, Gesellschaft usw… Rebelliert man? Läuft man weg? Und ich glaube, viele Menschen sind von einer solchen Hoffnungslosigkeit auch gelähmt.

Marko ist ein Mann mit Prinzipien, ein Mann mit Moral, ein Mann, der den Optimismus nicht sterben lassen will, selbst angesichts von Chaos und Apokalypse. Liegt in Prinzipien die letzte Hoffnung, wenn Glaube fehlt?

Meine letzte Hoffnung ist immer Humor. Den muss man der Hoffnungslosigkeit entgegensetzen. Und es gibt ja auch im Roman einige Figuren, die das machen: Aleksander, Kali, sogar ein Ekel wie Kowalski. Ich wollte zeigen, dass es immer Auswege gibt. Dass der Optimismus nur funktionieren kann, wenn er nicht verbissen wird, sondern sich eine Freiheit bewahrt, einen Witz, der seine Feinde überwältigt.

„Die dritte Welle“ ist in ihrem Buch eine Bewegung, die mit permanentem Feiern und befremdenden Spass-Aktionen auf den unvermeidlichen Kollaps hinsteuert. Auch wenn es kein realen Pendant zu geben scheint, wie kamen Sie auf die Idee einer solchen „Bewegung“?

Es gibt durchaus reale Vorbilder, für mich waren etwa die Aktionen Christoph Schlingensiefs extrem wichtig. Die hatten genau den Witz, die Frechheit, die Doppeldeutigkeit, die ich bei der „Dritten Welle“ so schätze. Einmal etwa ging Schlingensief mit anderen Menschen im Wolfgangsee baden und wollte so das Urlaubsdomizil Helmut Kohls überfluten. Das war natürlich absolut surreal und größenwahnsinnig – aber auch sehr witzig. Und die „Dritte Welle“ versucht genau das. Wobei hier die Ziele gar nicht so klar sind. Auch die Figuren im Roman wissen ja nicht: Was will die „Dritte Welle“ eigentlich?! Und das macht die Attraktion der Gruppe aus, darum zieht sie aber auch so viel Hass auf sich.

Jürgen Bauer, vielen Dank für die aufschlussreichen Anworten.

Copyright: Barbara Pálffy

Jürgen Bauer, geboren 1981, lebt in Wien. Im Rahmen des Studiums der Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien, Amsterdam und Utrecht spezialisierte er sich auf Jüdisches Theater und veröffentlichte hierzu zahlreiche Artikel und Buchbeiträge. 2008 erschien sein Buch „No Escape“. Aspekte des Jüdischen im Theater von Barrie Kosky. Sein Debütroman „Das Fenster zur Welt“ erschien 2013 bei Septime. 2015 erschien sein zweiter Roman „Was wir fürchten“.

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Titelfoto: „Zeit“ © Philipp Frei