«Worte sieben» Zu den Schriftbildern von Ruth Loosli, von Julia Röthinger

«Und doch / müssen wir reden / weil wir Menschen sind», schreibt Ruth Loosli in einem ihrer Gedichte, und macht genau dies in und mit ihrem künstlerischen Werk, das Lyrik und erzählerische Prosa ebenso umfasst wie die stetig anwachsende Zahl an Schriftbildern, von denen hier eine Auswahl zu sehen ist. Leicht, aber nie leichtsinnig, gehaltvoll, aber nie schwer umkreist Ruth Loosli in ihrer Sprach- und Bildkunst die conditio humana, das menschliche Dasein, das geprägt ist von Freud und Leid, von Liebe und Verlust, von Zweisamkeit, aber auch Einsamkeit, von der Ohnmacht des Einzelnen in einer Welt, in der man Krisen und Kriegen hilflos gegenüber steht. Doch es gibt auch Hoffnung. Knochenarbeit; grün lautet der Titel einer der Zeichnungen Ruth Looslis, auf der der grüne Stängel einer Pflanze zu sehen ist, der aber auch ein Knochen sein könnte. Es ist kein gerader Pflanzenknochen, wenn er auch aufrecht ist: er hat einen Knick, ist gebeugt worden, sei es durch Hagel, sei es durch Unachtsamkeit, dass sich jemand mit groben Schritten durch das Gras bewegt und diese aufblühende Pflanze mit einem schweren Tritt geknickt hat. Und doch steht er da, dieser Pflanzenstängel, unbeirrt. Nicht immer ist das Wachsen ein geradliniges, oft genug nimmt es einen Umweg, oft genug ist es auch schwere Arbeit, wie die schwarzen Punkte andeuten: gleich den Jahresringen eines Baumes markieren sie die Entwicklungsschritte, Momente der Verdichtung, bis schliesslich oben die Blüte wächst, ein filigraner Fächer, ein zartes Gebilde, das aus dieser schweren Knochenarbeit hervorgegangen ist. Die Knochenarbeit kennen wir alle, als das Wachsen der Knochen, aber auch als eine intensive und mühevolle Arbeit. Auch Kunst ist eine Knochenarbeit, etwas das wächst und sich ent-wickelt, das gedeiht und oft genug auch Früchte trägt.

«Poesie ist Zuwendung zu Menschen, Dingen, der Natur. Ruth Loosli macht es in ihren wachen Gedichten vor.» Ilma Rakusa

Ruth Loosli «Ein Reiskorn auf meiner Fingerkuppe», Caracol, 128 Seiten, CHF ca. 20.00, ISBN 978-3-907296-28-8

1959 in Aarberg im Berner Seeland geboren, lebt und arbeitet Ruth Loosli seit 2002 in Winterthur. Seit mehr als zehn Jahren tritt sie mit ihrem lyrischen und erzählerischen Werk in Erscheinung, nicht zuletzt auch mit ihren Schriftbildern, in denen Ruth Loosli das Wort von seiner Abstraktheit entkleidet und es in seiner Bildhaftigkeit darstellt, wodurch sie dessen verborgenen, nicht immer offensichtlichen, manchmal überraschenden Kern herausschält. Da folgt ein seufzendes oh auf honolulu und setzt sich fort in immer weiteren oh´s, an die sich wieder neue oh´s anschliessen, bis all diese oh´s eine Insel bilden, eine Insel des Seufzers, eine Insel der Sehnsucht, eine Insel, in der das oh auch zum ho wird: zum Anfangslaut Honolulus, als ginge die Insel aus dem gehauchten Laut hervor. Oder wir lesen: frau steht am fenster und sehen das Fenster in der Schraffur der Worte, indem sich fenster an fenster reiht, ein Rechteck bildend, geschwungene Linien, als fingen sie die Reflexion des Fensterglases ein, und als träte aus dieser Reflexion die Frau hervor, im schwungvoll ausgeführten f. Und so siebt Ruth Loosli die Worte, prüft sie, klopft sie ab, niemals eindeutig, immer mehrdeutig. Ihre Schriftbilder zeigen uns den Resonanzraum, der hinter den einzelnen Worten steht.

 

Stets lotet Ruth Loosli dabei in ihrer Arbeit die Dimensionen des menschlichen Daseins aus, sein Auf und Ab. Kummer und Tränen werden vom Fluss des Lebens mitgetragen und reingewaschen, Narben verwachsen und neue Haut legt sich über alte Wunden. Es ist der feine Humor, der Welt und dem Dasein trotz aller Verletzungen heiter und offen zu begegnen, der eine Leichtigkeit über ihre Kunst legt. In ihren Schriftbildern, die Miniaturen gleichen, entfaltet sie eine ganze Welt und eröffnet einen Gedankenkosmos, der für das Suchen und Umkreisen steht, für die Verortung des Ichs in der Welt, und der einlädt zum Miteinander-Reden. Die Kunst von Ruth Loosli nimmt sich der Welt und des Menschen an und bewahrt sich eine ganz eigene Ästhetik, in der sich die Weite im Detail zeigt. Bleibt zu wünschen, dass Ruth Loosli mit ihrer Arbeit noch möglichst viele Menschen berühren und miteinander verbinden kann.

Julia Röthinger

Die Ausstellung ist immer offen, wenn Lesungen laut Programm des Literaturhauses stattfinden. Die Künstlerin freut sich, mit Interessierten ins Gespräch zu kommen und ist zusätzlich anwesend am:
Samstag,  9. September von 16-18 Uhr
Sonntag, 15. Oktober von 16-18 Uhr (Finissage inklusive Kurzlesung, falls erwünscht); Kontakt für Anfragen: ruth.loosli@gmail.com

Ruth Loosli, geboren 1959 in Aarberg und im Seeland aufgewachsen. Ein erster Gedichtband «Aber die Häuser stehen noch» erschien 2009. Nach weiteren Lyrikveröffentlichungen erschien 2021 ihr erster Roman «Mojas Stimmen». Aktuell ist ihr Gedichtband «Ein Reiskorn auf meiner Fingerkuppe» mit Schriftbildern der Autorin.