Christian Uetz «Nur dieses Leben», Plattform Gegenzauber

… und das Jenseits in der Sprache

Die Pandemie zeigt um eine Dimension deutlicher, dass Glauben im gesellschaftlichen Diskurs und im politischen Handeln keine Relevanz hat. Das verneint hier nicht, dass Gott die Sprache der Seele sein kann, die es nicht gibt. Es sagt, dass der Tod allein das Leben bestimmt, aber nicht im erregenden Sinn, sondern so, dass aus ganz sachlichen Gründen die zwischenmenschliche Distanz und der Tod der Natürlichkeit dem Tod vorgezogen wird. Das mag und wird in einer säkularen Gesellschaft das Beste sein, aber es geht hier radikal um die Feststellung, dass das Nichtglaubenkönnen der Grund ist, dass es so ist. Wohl heisst es, für Christen sei jedes Leben heilig. Aber ebenso auch das Sterben. Denn wer von der ein jenseits-von-allem innewohnenden Sprache lebt, hält sich an die Gegenwart einer in Gedanken anderen Welt, die das Denken selber ist. Dieses relativiert das reale Leben und erfährt es als verlierbar ohne Verlust. Oder sogar mit Gewinn: Christus ist mein Leben, sterben mein Gewinn (Paulus). Da dieser Horizont politisch ausgeschlossen ist, muss das Überleben mehr zählen als die sinnliche Nähe und das gemeinsam atmende Gespräch. Das lässt sich daran sehen, dass sehr viele Menschen in Alters- und Pflegeheimen jahraus- und jahrein so bitterseelenalleingelassen werden und so freudlos die Tage verbringen müssen, dass sie am liebsten sterben wollen. Durch Corona aber wurden auch die Hundertjährigen zwangsisoliert, damit auf keinen Fall jemand stirbt oder auch noch andere ansteckt. Dass das Überleben ganz sachlich auch mehr zählen muss als die Würde, zeigt sich in der Art und Weise, wie mit Covid-19 Menschen auf der Intensivstation sterben, ohne Kontakt zu den Liebsten, zu Tode isoliert schon vor dem Tode, so dass die unantastbare Würde nur noch darin bestehen kann, unantastbar zu sein. Aber das Monströseste ist die wachsende Depression und die in ihr wiederum brütende Destruktion. Auch Depression kann als ein das Leben lähmender, todähnlicher Zustand bezeichnet werden. Dieser psychische Todeszustand muss so unweigerlich in Kauf genommen werden, dass die grosse Depression die noch viel grössere Destruktion an Gewalt schürt. Umgekehrt kann Glauben als Vertrauen die Angst nehmen und bei manchen die Abwehr- und Heilkräfte stärken, wenn es nicht die Angst nur verdrängende Realitätsflucht ist. Angst auf jeden Fall macht auch krank. Die Umkehr des Johannesprologs zu  Das Wort ist Gott aber heisst für die darin sich erhellende Inexistenz, das Leben von der Begeisterung ob der Unsterblichkeit der Sprache her zu verstehen, von der Verzückung ob der jede Sekunde Unglaublichkeit des Lebens her, von der Ekstase der Liebe her, vom Lachen, vom Übermut her, von dem durch die herzzerreissende Traurigkeit des Todes hindurch zu noch herzzerreissenderer Freude Erwachen her, Pathos hin oder her. Die nur als peinlich aussprechbare Haltung der Glaubenden bleibt, sich auch auf das Sterben zu freuen, darin nichts ihnen die elende Heiterkeit und die übermütige Schwermut nehmen kann, komme da an Angst und Bedrohung, an Pandemie und Panik, was da wolle. Das mag ein Glaubensheldentum sein, hat aber nichts mit faschistischem, volksgesundheitlichem, vaterländischem Heroismus zu tun, denn es schliesst alle Fremden und Minderheiten und Schwachen nicht aus, sondern herzlich ins Jenseitsverlies der Sprache mit ein. Ist umgekehrt Sterben nicht nur das Allerletzte, sondern auch das Allerletzte, und ist es in der Sprache nicht auch ein anderes Leben, zählt nur das eigene Leben und das der Anderen vielleicht schnell nichts mehr. Aber auch ohne das Sterben zu verklären ist auch nur eine Sekunde gelebt zu haben ein Wunder, und wenn von der völligen Unwahrscheinlichkeit ausgegangen wird, überhaupt zu leben, hängt ein erfülltes Leben weniger von der Länge des Lebens als von der Art der Gegenwart ab, so dass auch mit sechzig oder vierzig oder zwanzig zu sterben die Unglaublichkeit, gelebt zu haben, nicht widerlegt. Die durch die Säkularisierung unvermeidliche Verabsolutierung des Lebens bestätigt sich auch darin, dass das immer längere Leben der klarste Sinn und das erklärteste Ziel ist, so dass hundert Jahre alt zu werden schon fast als ein allen zustehendes und zu ermöglichendes Grundrecht angesehen werden kann. Zumindest macht die Coronakrise die so unfassbar hoch gestiegene Lebenserwartung in ebenso unfassbar grosser Selbstverständlichkeit deutlich, dass vielleicht auch ein Hundertjähriger bald nicht mehr sterben kann, ohne elend vor der Zeit gestorben zu sein. Jünger sterben, überhaupt sterben ist ein Skandal. Es ist nicht nur seit Camus der Skandal schlechthin, daran wiederum nur Gott schuldig sein könnte, wenn er wäre. Und dass gestorben und gelitten wird, genügt auch zum Gegenbeweis. Und spräche auch das Nichtsein nicht gegen den zusehends weiblichen Engel, und wäre das nichtseiende Licht auch eine Sie, die Herrin Sprache, und wäre diese Herrin auch alle Sprechenden selber, so wäre sie doch der Kapitalgrund, die Gottillusion als völlig jenseits zu erledigen. Aber achtzig Jahre alt zu werden ist nicht nur historisch, sondern in Hinsicht auf manche Weltregionen auch heute noch ein grosses Glück. Es als selbstverständlich zu erwarten, bleibt unserer Vergänglichkeit gegenüber auch in noch so hochmedizinischer Wohlstandswelt verblendet. Und doch können auch viele betagte Patienten von Covid-19 geheilt werden, bei der die Sterberate immer noch um ein Vielfaches geringer ist als die an Herzversagen oder Krebs. Hoffentlich wird hier erwidert: Wenn das Sterben an Krebs durch einen Lockdown verhindert werden könnte, würde man es auch tun. Und tatsächlich zeigt sich ja nun, dass durch die viel geringeren Feinstaubwerte in den grossen Städten weniger Menschen sterben. Warum also nicht ab sofort weltweit überhaupt das Fliegen und Autofahren für immer einstellen, weil die dadurch bessere Luft viele Todesfälle verhindert und zugleich die von Klimaschäden bedrohte Erde schützt? Aber es geht hier und erst recht beim aus Lebensliebe auch Sterbenwollen darum, dass eine solche Haltung im öffentlich ernstzunehmenden Diskurs nicht haltbar ist. Auch wenn das alltägliche Leben vielleicht über Jahre ausgehebelt bleibt, kann lebensschutzvernünftig nicht berücksichtigt werden, was Corona an psychischer Not bringt: den massenhaften Spontanitätstod, Umarmungstod, Nähetod, was sich für vom leibhaft Begegnen Lebende nicht digital ersetzen lässt, auch wenn es die Lösung der Zukunft ist. Es ist denkbar, dass die vorwiegend digitale Begegnung und das Physical Distancing für die biologische Sicherheit nicht nur vorübergehend, sondern in alle Zukunft zur vorgeschriebenen Lebensweise wird. Dass sich aber auch die Kinder nicht mehr unbekümmert nahekommen und nicht mehr übermütig miteinander spielen dürfen, ist als Gedanke fast nicht zu ertragen, nicht nur, weil Kinder das kaum einhalten können, sondern weil sie es auch nicht einhalten sollen um ihrer spontansten Nähe Willen. Habermass beunruhigt, dass auch Juristen den Lebensschutz zugunsten der Selbstbestimmung relativieren. Das Leben als Lebendigkeit ist anderseits nicht nur für die vom Wort Inbrünstigen auch ekstatische Leidenschaft, dazu auch Selbstverausgabung, sich Verschwenden, sich-aufs-Spiel-Setzen, lieber-Gefahr-als-Sicherheit und Lust des Wahnsinns gehören, welchen im Diskurs der Vernunft der vernünftige Grund fehlt. Allerdings hat auch das vernünftige Sterbenkönnenpathos nur das Jenseits in der Sprache, um verstehbar zu machen, dass es nicht sozialdarwinistisch und nicht volksheroisch und nicht lebensleichtsinnig gemeint ist, sondern ganz persönlich transzendent.

Christian Uetz, geboren 1963 in Egnach in der Schweiz, ist ein philosophischer Poet und lebt in Zürich. Nach einer Ausbildung zum Lehrer studierte er Philosophie, Komparatistik und Altgriechisch an der Universität Zürich. 2010 erhielt er den Bodensee-Literaturpreis für sein bisheriges literarisches Gesamtwerk. Seine Performanceauftritte sind legendär! Nach «Nur Du, und nur Ich» (2011) und «Sunderwarumbe – Ein Schweizer Requiem» (2012) erschien 2018 mit «Es passierte» sein dritter Roman.

Beitragsbild © Mathias Bothor

Christian Uetz «Von mir ist nur der Gedanke», Plattform Gegenzauber

Ich habe kein Recht,
nicht Nietzsche zu sein, nicht
Kierkegaard, nicht Rilke. Auch ohne
Werke. Ich habe kein Recht, nicht wahnsinnig
zu sein, nicht zerspringend, nicht zerrissen. Auch
ohne Erfolg. Kein anderer ist schuld
am mich vom Anderen vom
Anderen abbringen lassen, wo
auch immer.

Von mir
ist nur der Gedanke, und der
ist nicht. Nicht da, nicht ich. Also bin ich nicht.
Nur du, und auch du nur mit allen gebrochen,
alle Zeit auf den toten Punkt gebracht, den schwarzloch
gerochenen. So sterngenau strahlt deines maßlos
ermordeten Morgens unvermoderbare
Mittagsverzückung aus den Lichtporen der
augenübersäten Nacht.

Ich trinke dich in mich
zurück. Ich sauf dich Tag und Nacht.
Und wiederum seufzst du mich in dich
hinaus. Du bist ja draußen in mir drin. Ich bin ja völlig
außer mir aus dir. Das macht ja den ununterscheidbaren
Unterschied zu meiner unverlassbaren Unentscheidbarkeit,
dass ich dich Lichttrunkene noch nicht, nicht und nicht mehr hell
sehe. Doch Himmel unserer höllischen Gottgleichheit, du uns in Funken
Getunkte, die du nicht bist, bist das
Werde, der du bist. Ich bin nicht
so. Du allein gibst mir das Unrecht, so
zu sein, wie ich bin. Und
so bin ich nicht.
Wenn es ist,
ist es immer, und es ist
nicht. Wenn du bist, bist du überall, und
du bist nicht. In dem Ich bin bist du, indem
ich bin nicht da. Und immer schlägst du unser
Du Nichtsein nieder. Da bin ich wieder, und kann mich
zum Büßen noch einmal entblößen. Bringt es das?
Nicht wirklich. Wirklich nichts als das ist
wirklich, worin wir allein uns begegnen,
im Unwirklichen von allem. Bringt
dich das näher?
Vollkommen.

Wo ich nicht
bin, bist du, wenn
ich weg will. Womit zeigst
du dich nicht? Mit der Zeit,
mit der abständigsten, durch
die abgestrittenste Lust, die
allmählich abseitigste, ab
schaumgeborenste.

 

secession Verlag

Der 1963 in Egnach am Bodensee geborene Christian Uetzist studierter Philosoph, und er glaubt an keine Wahrheit ausserhalb der Sprache. Ob im Gedicht oder in der Prosa: Sein Tanz an ihren Rändern ist immer auch ein Seiltanz über den Abgründen der Existenz. Und er gilt als Virtuose, wenn es um die Intensität der Sprache geht. Auswendig und in einem rasenden Tempo rezitiert er seine Texte bei Auftritten, dass einem Hören und Verstehen vergeht. Das ist gewollt. Einzig die Wortkraft zählt und die Suggestivkraft der Sätze,ckaum deren Inhalt. In seinem Gedichtband «Engel der Illusion» formuliert Uetz spielerisch und doch souverän Gedichte um gewichtige Themen: um die Präsenz des Anderen im Selbst, um Anwesenheit und Abwesenheit, um Negativität und Transzendenz. Mit seinen bildgewaltigen, selbstverlorenen und dabei tief nachdenklichen Gedichten sucht Christian Uetz in der Sprache nach der verborgenen Präsenz dieser Engel der Illusion, um ihr Scheinen erfahrbar zu machen. Was seine Texte so hervorbringen, sind Ekstasen der Begierde und die Trunkenheit der Vernunft. Es ist der Wahnsinn des Tages. Ihr Fluchtpunkt bleibt dabei stets eine mitreissende Affirmation des Lebens und der Sinnlichkeit, ein Lob der Sprache als derjenigen Kraft, welche die Illusion als Wahrheit, das Jenseits als Teil des Diesseits erkennbar macht.

Beitragsfoto © Internationales Literaturfestival Leukerbad

40° Literatur am Festival Leukerbad, Rückblick 2/3

Am Literaturfestival Leukerbad zur Tradition geworden, lädt diese ihre Gäste seit Jahren zu Beginn des Festivals zu einer «Literarischen Wanderung» ein. Hoch über dem Rhonetal von Erschmatt bis Leuk ging die diesjährige Literaturwanderung, durch Geschichte, Geschichten und Gedichte, über Spuren der Zeit, unter der glühenden Sonne der Gegenwart.

Vom Sortengarten, an Findlingen so gross wie Häuser vorbei, begleitet vom «Carillon», umarmt und betört von den Satzsalven eines Dichters, über Ho Briggu in den Schatten einer Eiche, der Angst vor einem Eichhörnchen ausgesetzt, über Brenntjong, an riesigen, stählernen Ohren vorbei bis nach Guttet – ein heisses, literarisches Abenteuer!

Die in der Ukraine aufgewachsene Tanja Maljartschuk, die vor drei Jahren das letzte Mal mit ihrem Roman «Biographie eines zufälligen Wunders» in Leukerbad las und mich damit bezauberte und Christian Uetz, wortgewaltiger Performer, Lyriker und Erzähler vom Bodensee begleiteten eine mehr oder weniger hitzeresistente Schar Wortverliebter durch die Glut eines literarischen Sommertages. 

Tanja Maljartschuk und Christian Uetz bildeten ein kongeniales Begleitpaar. Die eine mit feinem Witz, grosser Beobachtungsgabe und Empathie – der andere mit grosse Geste, laut und raumgreifend, von der Sprache berauscht. Man geht und hört, man nimmt auf und reflektiert schweigend in sich hinein, gibt sich dem Rhythmus von Sprache und Schritt, spürt den Puls innen und aussen!

© Michael Schwarz

Tanja Maljartschuk, geboren 1983, ist in der Ukraine aufgewachsen, wo sie einige Jahre als Journalistin gearbeitet und schon mehrere Bücher publiziert hat. Sie schreibt regelmässig Kolumnen für die Deutsche Welle (Ukraine) und für Zeit Online. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet sie in Wien. 2018 hat sie mit ihrem ersten auf Deutsch geschriebenen Text den Bachmann-Preis gewonnen. In ihrem neusten Roman Blauwal der Erinnerung schreibt sie über den vergessenen ukrainischen Volkshelden Wjatscheslaw Lypynskyj, dessen Leben auf kunstvolle Weise mit dem der Ich-Erzählerin verknüpft wird: Sie sucht in dessen Vergangenheit nach Spuren, um besser mit ihrer eigenen Gegenwart zurechtzukommen. Lypynskyj befasste sich politisch und historisch mit der zwischen Polen und Russland zerrissenen Ukraine und forderte wie besessen ihre staatliche Unabhängigkeit. Ähnlich kränklich wie diese historische Figur und – wie er – auf der Suche nach Zugehörigkeit, folgt die Erzählerin diesem stolzen, kompromisslosen, hypochondrischen Mann, um durch die Erinnerung der sowjetischen Entwurzelung zu trotzen. Ein literarisch beeindruckender Roman, der zeigt, was es heisst, wenn die eigene Identität aus Angst, Gehorsamkeit und Vergessen besteht.
Die Frankfurter Rundschau über den Roman: «Das Tröstliche an diesem Buch ist seine Untröstlichkeit. Der Blauwal schliesst sein Maul und schwimmt weiter.»

© Literaturfestival Leukerbad

Der 1963 in Egnach am Bodensee geborene Christian Uetz ist studierter Philosoph, und er glaubt an keine Wahrheit ausserhalb der Sprache. Ob im Gedicht oder in der Prosa: Sein Tanz an ihren Rändern ist immer auch ein Seiltanz über den Abgründen der Existenz. Und er gilt als Virtuose, wenn es um die Intensität der Sprache geht. Auswendig und in einem rasenden Tempo rezitiert er seine Texte bei Auftritten, dass einem Hören und Verstehen vergeht. Das ist gewollt. Einzig die Wortkraft zählt und die Suggestivkraft der Sätze, kaum deren Inhalt. In seinem Gedichtband Engel der Illusionformuliert Uetz spielerisch und doch souverän Gedichte um gewichtige Themen: um die Präsenz des Anderen im Selbst, um Anwesenheit und Abwesenheit, um Negativität und Transzendenz. Mit seinen bildgewaltigen, selbstverlorenen und dabei tief nachdenklichen Gedichten sucht Christian Uetz in der Sprache nach der verborgenen Präsenz dieser Engel der Illusion, um ihr Scheinen erfahrbar zu machen. Was seine Texte so hervorbringen, sind Ekstasen der Begierde und die Trunkenheit der Vernunft. Es ist der Wahnsinn des Tages. Ihr Fluchtpunkt bleibt dabei stets eine mitreissende Affirmation des Lebens und der Sinnlichkeit, ein Lob der Sprache als derjenigen Kraft, welche die Illusion als Wahrheit, das Jenseits als Teil des Diesseits erkennbar macht.

Christian Uetz ist Gast an den 15. Frauenfelder Lyriktagen vom 13. – 15. September!

Rezension von Tanja Maljartschuks Erzählung «Überflutet» auf literaturblatt.ch

Fotos © Literaturfestival Leukerbad