Ein kleines Jubiläum: Das 70. analoge Literaturblatt ist auf dem Weg zu den Abonnent*innen

„Vielen Dank für das wunderbare Literaturblatt. Man liest es wie einen handgeschriebenen Brief, langsam und bedächtig. Man versucht, die schöne Schrift zu entziffern, um zu erfahren, was Gallus zu unserem Buch sagt. Und schon sind wir wieder Leser.“ Romain Buffat

«Danke, hast du deine Worte zu meinem Buch nun auch noch mit Kugelschreiber aufgeschrieben, mit anderen Worten zu anderen Texten zusammengebracht und lässt darauf einen Baum wachsen. Ich habe mich sehr gefreut, als ich das Blatt in meinem Briefkasten fand.» Agnes Siegenthaler

„Schon lange wollte ich mich bedanken für das wunderschön und liebevoll gestaltete Literaturblatt, das du uns hast zukommen lassen. Was für eine gute Idee, der Literaturkritik eine künstlerische Form zu geben. Und mit grossem Interesse habe ich natürlich dein spannendes Interview mit Romain Buffat gelesen. Danke für dein riesiges Engagement fürs Sichtbarmachen der Literatur.“ Adrian Künzi

«Wir freuen uns sehr, dass „So nah, so hell“ Teil des analogen Literaturblatts ist – einzigartig, persönlich und mit spürbarer Hingabe gemacht. Ein echtes Sammlerstück!» A. Kunz, Zytglogge

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Leon Engler «Botanik des Wahnsinns», DuMont

Manchmal erbt man „Dinge“, die man nicht verweigern kann. Von Generation zu Generation. Und wenn es nur die Angst davor ist, Opfer zu werden von etwas, was sich in der Abfolge der Generationen wie eine genetische Unverückbarkeit festgesetzt hat. Leon Engler erzählt in seinem Romandebüt von einen jungen Mann und seiner Angst, verrückt werden zu müssen.

Als seine Mutter stirbt, bleiben sieben Kartons in einem Lagerabteil in Wien. Die falschen Kartons, denn alles, womit man die Schulden seiner Mutter noch hätte begleichen können, wanderte in die Müllverbrennung. Übrig blieben sieben Kartons mit Dingen, die seine Mutter aussortiert hatte; alte Rechnungen, Steuererklärungen, ungeöffnete Briefe, Müll. Als er seine Mutter zum letzten Mal in der Wohnung besuchte, bevor sie nach der Zwangsräumung in die Klinik kam, war die Mutter nicht nur aus ihrer Wohnung, sondern auch aus ihrem Leben ausgezogen. Einem Leben, das nie zur Ruhe gekommen war, einem Leben mit wenigen Höhen und einer langen Kette von Tiefen. Schon die Mutter seiner Mutter war wie Wasser, ständig in Bewegung, ständig den Zustand wechselnd. Bipolar, zwölf Suizidversuche. Der Vater depressiv und dem Alkohol verfallen, schon lange von seiner Frau getrennt, war schon lange nicht mehr der Fels, der er hätte sein wollen und müssen.

Meine Familie hat ein Talent für Verrücktheit.

Dass er als Junge in ein Internat kam, war eine Befreiung. Und das Studium in den Staaten ein einzig grosser Versuch, um sich aus den festgeschriebenen Mechanismen einer zum Wahnsinn verurteilten Familie zu befreien. Er studiert Psychologie. Nicht zuletzt darum, um eben jene Mechanismen zu verstehen, seine Angst vor dem Wahnsinn zu zähmen. Bis er als Arzt zurückkehrt, in der Psychiatrie arbeitet, dort, wie man alle nach Diagnosen sortiert, um sich selber von seiner Angst zu heilen. Ich leide unter Agateophobie, der Angst, verrückt zu werden.
Was bei der Mutter zu einer Selbstverständlichkeit wurde, war es schon bei der Grossmutter. Sie schluckte Pillen mit sedierender, hypnotischer und narkotischer Wirkung wie Bonbons. Zwölf Mal verkündete sie ihren Glauben, dass es sich nicht lohne zu leben. Immer wieder verschwand die Grossmutter in der Psychiatrie. Ein Muster, dass sich in seiner Mutter fortsetzte.

Leon Engler «Botanik des Wahnsinns», DuMont, 2025, 208 Seiten, CHF ca. 33.90, ISBN 978-3-7558-0053-8

Er studierte, schloss das Studium ab, von dem er überzeugt war, dass es ihn zu nichts qualifizierte. Er beginnt eine Stelle in der Psychatrie, wird mehr hineingestossen, als dass er die Aufgaben in Angriff genommen hätte – und er liest. Er liest viel. Weil das Lesen das einzige ist, das ihn vor dem Verrücktwerden zu schützen scheint. Lesen, um nicht nachzudenken. Er schickt sich in den riesigen Apparat einer Klinik, von Abteilung zu Abteilung „weiterbefördert“, immer unsicher darüber, auf welcher Seite er wirklich steht. Wir versuchen hier, schreckliches Elend in ganz normales Unglück zu verwandeln.

Entweder passen wir den Patienten der Therapie an. Oder wir passen unsere Theorie an den Patienten an.

Was ist normal? Wer ist normal? Warum gibt es so vieles, dass nie dieser Norm entspricht? Warum fallen jene, die dieser Norm nicht entsprechen durch alle Netze, die sich eine Gesellschaft zum täglichen Überleben eingerichtet hat? Warum hat unsere Gesellschaft keinen Platz für jene Menschen, die diesen Normen nicht entsprechen? „Botanik des Wahnsinns“ hat nichts, gar nichts von einer Abrechnung. Es ist auch kein Hadern mit der Geschichte, der Herkunft, der Familie. Der Roman ist in aller Offenbarung und Ehrlichkeit eine Liebeserklärung, ein liebvoller Erklärungs- und Ordnungsversuch. Da erzählt jemand, der sich beinahe schämt, übergelaufen zu sein. Der Roman ist aber auch eine stille und gleichermassen subtile Kritik am Umgang mit den „Verrückten“ in den dazu eingerichteten Institutionen, ohne damit pampig oder besserwisserisch zu klingen. Neben der Liebeserklärung an seine Familie, den Bildern, die mit so viel Respekt geschrieben sind, ist es auch eine Liebeserklärung an all die Gestrandeten, die Gesellschaft die «Kranken» nennt.

Das schreibt einer, der die Menschen ernst nimmt, erst recht jene, die durch die Maschen fallen. Ein Buch, in dem ich Sätze lese, die hängen bleiben, die sich tief eingraben. Ein Buch, das zu verstehen hilft!

Leon Engler wuchs in München auf und studierte Theater-, Film-, Medien-, Kulturwissenschaft und Psychologie in Wien, Paris und Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Theaterstücke, Hörspiele und Kurzgeschichten und wurde 2022 mit dem 3sat-Preis beim Bachmann-Wettbewerb ausgezeichnet. Er ist tätig als Autor, Psychologe und Dozent für Psychologie und Literarisches Schreiben. «Botanik des Wahnsinns» ist sein Debütroman.

Beitragsbild © Niklas Berg