Einmal standen wir Kinder dort am Ufer und liessen uns von den vorbeifahrenden Kursschiffen zuwinken, als wären wir im Schloss zu Hause. Dabei kannten doch alle die Besitzerin, sie war eine weltberühmte Opernsängerin, die manchmal sogar im Fernsehen auftrat. Wie genau meine Familie mit ihr verwandt gewesen ist, weiss niemand mehr. Die Sängerin selber, die 93 wurde, konnte es am Ende auch nicht sagen.
Zum Schloss gehörten zwei Parks und zwei Türme, auf einem der Parkwege sah ich an einem schulfreien Nachmittag die erste Schlange meines Lebens: fein in Stücke geschnitten vom Rasenmäher. Jedenfalls glaubte ich, dass es eine Schlange war. In einem der Türme sah ich die Gefängniszelle von Jan Hus, der beim Konstanzer Konzil 1414 als Ketzer verhaftet und samt einen Schriften verbrannt worden ist, obwohl man ihm freies Geleit zugesichert hatte. Die Asche streuten die Pfaffen in den Rhein, sie ist hier vorbeigeschwommen. Auch einen abgesetzten Papst sperrten sie ins Schloss Gottlieben ein, danach war es aber lange Zeit sehr ruhig.
Die Weltgeschichte kehrte zurück, als ein französischer Putschist und Mitbegründer des kantonalen Schützenvereins das mittelalterliche Gebäude im Stil eines venezianischen Palais umbauen liess. 1838 musste er von der Baustelle weg das Land verlassen, um später als Napoleon III. den Beruf eines Kaisers zu ergreifen. Der einzige Thurgauer Bürger, zum Glück, der es so weit brachte. Wichtig ist eine andere Geschichte: 1914, vielleicht gerade zur Zeit, als dieses Bild mit den Soldaten entstand, gab es in Deutschland einen Krupp-Direktor, der sich über den Ersten Weltkrieg empörte, obwohl er als Rüstungsindustrieller daran sehr gut verdiente. Schliesslich emigrierte er in die Schweiz und schrieb ein Buch über die deutsche Kriegsschuld. Wilhelm Muehlon wohnte ab 1926 im Schloss, eine Flussbreite vom Deutschen Reich entfernt. Weil die Nazis ihn als Verräter und Schurken verhetzten, wurde ihm der Ort zu gefährlich und er zog 1939 nach Klosters.
(mit freundlicher Genehmigung des Rotpunktverlags aus: Stefan Keller «Bildlegenden. 66 wahre Geschichten», S. 32)
Schlagwort: Bildlegenden 66 wahre Geschichten
Bücher für Weihnachten
Noch ein paar Ideen für eine entspannte Weihnachtszeit? Geschenksideen?Vielleicht sogar ein Buch für NichtleserInnen? Das gibt es! Oder Bücher fürs stille Örtchen? Warum nicht! Oder schmucke Bändchen fürs Nachttischchen? Kurz vorgestellt einige Tipps:
Kat Menschik ist eine herausragende Illustratorin. Der Galiani Verlag Berlin hat den Mut, zusammen mit der Illustratorin eine ganze Reihe kleiner, literarischer Schmuckstüche herauszugeben. Bücher, die in allen Belangen überzeugen: inhaltlich, weil von grossen Autoren, optisch, weil in Menschik-Manier illustriert, haptisch, weil hochwertig produziert und buchtechnisch, weil die Bücher mit farbigem Schnitt, tiefgepresstem Umschlag jedes Büchernarrenherz höher schlagen lassen. Wenn Sie also jemandem eine Freude machen wollen, der schon alles gelesen hat, dann sind es diese Perlen. Bücher, die man gar nie ins Bücherragal schieben möchte!
Band 1 sind Franz Kafkas 1919 zum ersten Mal erschienen Erzählungen unter dem Titel «Ein Landarzt». Seltsame Geschichten wie eben jene vom Landarzt, von seltsamen Menschen in seltsamen Situationen. Illustriert von der Künstlerin Kat Menschik verdichten sich Lesegefühle, potenziert sich das schon magische Leseerlebnis Kafkas geheimnisvoller Geschichten.
Band 2 ist William Shakespeares Stück «Romeo und Julia». Wohl jeder kennt die tragische Liebesgeschichte, die 1597 zum ersten Mal zur Aufführung gekommen sein soll. Eine der Urgeschichten aller menschlichen Tragödien. Kat Menschiks Illustrationen sind nicht einfach Bilder zum Theater, sondern Nahaufnahmen, fein, über das Detail hinaus gesehen.
Jedes dieser Schmuckbändchen ist in seiner eigenen Sprache gestaltet, im gleichen Format, mit farbigem Schnitt, «ein Fest für Geist und Sinne». Kat Menschik «Franz Kafka – Ein Landarzt», «William Shakespeare – Romeo und Julia», Galiani
Ein Buch fürs Klo? Der Autor dieses Buches möge mir verzeihen. Aber jeder Bücherfreund muss auch am stillen Örtchen beweisen, dass man mit Stil, Muse und Kultur jene Zeit versüssen kann, erst recht dann, wenn Sitzungen etwas länger dauern. Stefan Keller, Journalist und Herausgeber, bekannt geworden mit seinem Buch «Grünigers Fall» über die Taten des in Ungnade gefallenen St. Galler Polizeihauptmanns und Flüchtlingsretters, öffnet in seinem neusten Buch «Bildlegenden» sein und fremde Archive. Stefan Keller ist Historiker und sammelt alte Bilder und Dokumente, kauft sie auf Flohmärkten und Brockenhäusern. 66 Bilder, Postkarten und Artefakten, literarisch kurz und knapp kommentiert, Zeitzeugnisse aus Ostschweizer Geschichte und darüber hinaus, nicht bloss erklärt, sondernd feinsinnig einander gegenüber gestellt, manchmal erhellend, manchmal nur angetippt. Viel mehr als ein zufällig arrangiertes Foto- und Kuriositätenalbum. Ein schön gestaltetes Büchlein im Querformat, das man gerne offen liegen lassen möchte. Stefan Keller «Bildlegenden, 66 wahre Geschichten», Rotpunktverlag
Als ich ein kleiner Junge war, gab es nichts, was mich mehr faszinierte, als Seefahrergeschichten. Abenteuer in den sieben Weltmeeren, Legenden von Piraten und ihren Schätzen, von verlorenen Orten, den Rändern der Zivilisation. Der mare Verlag Hamburg, dessen Bücher alle irgendwie mit Meer oder Wasser zu tun haben, schenkt all jenen, die mit Phantasie entdecken wollen, ein ganz besonderes Buch. Ein Buch zum wegfahren, abtauchen, überfliegen. Dirk Liesemer, Journalist, auch für die Zeitschrift «mare», erfand dreissig imaginäre Inseln und erzählt dazu von ihren wechselvollen Geschichten, Geschichten nicht nur von Inseln, sondern von Menschen, die an diesen Inseln fast allesamt scheitern. «Das Lexikon der Phantominseln» ist ein wunderlicher Reiseführer durch die Welt der Fantasie. Zweifarbig gedruckt, mit Karten, farbigem Schnitt und Lesebändchen lehrt Dirk Liesemer vielleicht nicht so sehr Geographisches, dafür umso mehr über die Abgründe der menschlichen Seele. Dirk Liesemer «Das Lexikon der Phantominseln», mare
Ich lebe in einer kleinen Stadt in der Ostschweiz. Bis vor hundert Jahren war Amriswil ein Bauerndorf. Mit der Eisenbahn und der Industialisierung wuchs Amriswil schnell. In ihrer Blütezeit bekam man wohl fast alles im Dorf. Es gab kleine Läden, Handwerker, mehrere Metzgereien… Heute stirbt ein Laden nach dem andern. Dafür wuchern an allen Ecken Kebabbuden, Krimskramsläden, noch ein Friseur, Hörgräte… «Handwerkstätte» ist eine Hommage an fast vergessene Berufe; den Rosshaarmatratzenmacher in Niederbipp, den Buchdrucker in Vättis, den Seiler in Winterthur, der Büstenmacherin in Küssnacht am Rigi und die Sackdruckerin in Heimiswil… Portraits mit Bild und Text, mit Adressen und Internetauftritten, ein Nachschlage- und Inspirationsbuch für all jene, die sich nicht begnügen mit Massen- und Stangenware. Eine gelungene Zusammenarbeit zwischen der Zeitschrift «Schweizer Familie» und dem Rotpunkt Verlag! Kathrin Fritz / Maurice K. Grünig «Handwerkstätten», Rotpunktverlag