Sommerfest im Literaturhaus Thurgau mit Ariela Sarbacher und «Stories»

Ariela Sarbacher mit ihrem Roman «Der Sommer im Garten meiner Mutter», die Musiker Christian Berger und Dominic Doppler, die Illustratorin Lea Frei waren die Gäste und Akteure des Sommerfests, dem ersten Programmpunkt in der neuen Saison des Literaturhauses Thurgau.

Vielleicht ist es der Hunger nach Kultur in einer Zeit mit vielfältigen Mangelerscheinungen. Vielleicht ist es die Freude darüber, dass Ariela Sarbacher ihren Roman nun doch noch im Literaturhaus Thurgau präsentieren konnte. Vielleicht aber, wie mit dem Sommerfest, wo so viele Formen des Genusses aufeinandertreffen: Literatur, Musik, Bildkunst, freundschaftliches Zusammensein und etwas für den Gaumen. Aber vielleicht auch, weil mit jeder neuen Programmleitung in einem Literaturhaus der Wind ein bisschen dreht.

«Stories» Christian Berger und Dominic Doppler

Ariela Sarbacher brachte ihren Debütroman „Der Sommer im Garten meiner Mutter“ mit, der im Frühling dieses Jahres beim Bilger-Verlag in Zürich erschien. Ein beeindruckender Roman, der eine breite und begeisterte Leserschaft fand. Ein Buch, von dem ein Kritiker schrieb: „Sie erzählt von einem Leben, in dem Sprache schon immer nicht nur Mittel zum Zweck des Erzählens war, sondern Elixier, der Stoff, aus dem Leben entsteht, Freiheit und Halt.“

Nach einem lauschigen Vorabend im Garten des Literaturhauses wurden die Gäste Zeugen eines Experiments. Die Schriftstellerin Ariela Sarbacher und die Musiker Christian Berger und Dominic Doppler sahen sich an diesem Abend zum ersten Mal. Das einzige, was in den Wochen zuvor geschah; Ariela Sarbacher verriet den Musikern, welche Textstellen sie lesen, bzw. vortragen wird. Christian Berger und Dominic Doppler sind ein seit vielen Jahren eingespieltes Team. Sie lasen das Buch, spürten sich in den Text hinein. Vor ausverkauften Rängen schwang sich der Text unter dem Dach des Literaturhauses in ganz neue Sphären.

Ariela Sarbacher erzählt von Francesca und ihrer Mutter. Vielleicht erzählt Ariela von sich und ihrer Mutter. Aber eigentlich spielt das nur eine untergeordnete Rolle, denn Ariela Sarbacher schildert eine Mutter-Tochter-Geschichte, eine mitunter schwierige Geschichte. Die Geschichte einer grossen Familie, halb an der ligurischen Küste in Chiavari zuhause, halb am Zürichsee in der Schweiz. Ariela Sarbacher erzählt aus der Ich-Perspektive nach dem Tod, nach einer unheilbaren Krankheit, nach dem selbstbestimmten Sterben der Mutter. 

Jens Steiner, Schriftsteller, Stipendiat der Kulturstiftung Thurgau, Gast im Literaturhaus Thurgau

Francesca hat ihre Mutter bis zum letzten Moment begleitet, einer Nähe, die in starkem Kontrast zu den wenigen Gemeinsamkeiten der beiden sonst steht. Sie ist da, als die Tropfen durch die Kanüle den Geist der Mutter nach wenigen Atemzügen wegdämmern lassen. Sie bleibt. Sie bleibt in der Wohnung. Die Mutter bleibt im Kopf, im Herzen, in den Dingen, die zurückbleiben und nicht einfach zu Staub zerbröseln. „Der Sommer im Garten meiner Mutter“ ist der letzte Sommer. Jene Wochen, in denen sie zusammen sind, aufräumen, ordnen, das Sterben organisieren, Filme schauen, erzählen, streiten, lachen und weinen. So liest sich auch der Roman. Es sind Bilder, die auftauchen, ein langer Gang durch die Geschichte einer ganzen Familie. Nicht chronologisch erzählt, denn niemand erzählt chronologisch. Es sind Geschichten aus den Tiefen der Vergangenheit, Geschichten, die erst auftauchen, wenn sich das Ende abzeichnet. Geschichten, die eine Erklärung sein sollen und wollen dafür, was in diesem Sommer, dem letzten gemeinsamen Sommer, geschieht.

Lea Frei zeichnet.

Francescas Mutter, die als Zwölfjährige durch eine schlimme Blutvergiftung für drei Jahre ans Bett gefesselt war, sich ganz der Hilfe anderer ergeben musste, die die Welt in Büchern an ihr Bett holte und Zeit ihres Lebens alles daran setzte, selbstbestimmt durch ihr Leben zu schreiten, will auch in den letzten Wochen keiner Krankheit, keinem Zustand die Kontrolle über ihr eigenes Selbst, nicht einmal über ihr Sterben übergeben. Ein Entschluss, der für ihre Familie, für Francesca ein Kampf wird, der nicht mit dem Sterben der Mutter zu Ende ist, sondern erst durch das Erzählen ein langsames Ende, eine Versöhnung findet.

© Lea Frei / Literaturhaus Thurgau

Webseite Literaturhaus Thurgau (Wird bald erneuert!)

Fotos © Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau