Maja Haderlap «Nachtfrauen», Suhrkamp

Nach dem Grossereignis „Engel des Vergessens“ musste man sich ein Jahrzehnt gedulden, bis Maja Haderlap erneut mit einem Roman auf der literarischen Bühne erscheint. Dass sich das neue Buch thematisch noch sehr vom Vorgänger unterscheidet, erstaunt nicht sehr, dafür umso mehr der Wille, sich sprachlich versöhnen zu wollen.

Maja Haderlaps Roman „Nachtfrauen“ ist vordergründig eine Auseinandersetzung mit einer alt gewordenen Mutter, dem Umstand, dass diese in absehbarer Zukunft in ein Altenheim umziehen muss, ein Schritt, den weder Mutter noch Tochter von sich aus initiieren würden. Maja Haderlap beschreibt eine Frau, die aus Wien für ein paar Wochen in ihre alte Heimat zurückkehren soll, um das zu beschleunigen, was ihr Bruder Stanko und Verwandte bereits ins Rollen brachten. Eine Frau, die widerwillig zurückkehrt, schon gar nicht auf unbestimmte Zeit, weil es ihr damals nur unter Aufbietung aller vorhandenen Kräfte gelang, sich aus der Umklammerung einer Gegend zu lösen, die schon mehr als ein Jahrhundert unter dem inneren und äusseren Kampf zweier „Volksgruppen“, dem slowenisch und deutsch sprechenden Südkärnten gefangen ist. Aus dem Gefühl, sich permanent für eine „Seite“ entscheiden zu müssen. Aus der Urschuld einer Familie, die mit dem frühen Tod des Ernährers den Boden unter den Füssen verlor.

«Das Dorf liess nicht von ihr ab. Es klammerte sich regelrecht an sie.»

Maja Haderlap «Nachtfrauen», Suhrkamp, 2023, 294 Seiten, CHF ca. 34.90, ISBN 978-3-518-43133-7

Sie kommt widerwillig zurück ins Haus ihrer Mutter, das dem Fortschritt weichen soll. In ein Haus, das mit jedem Winkel Geschichten erzählt, in eine Gegend, einen Ort, eine Landschaft, von der sie glaubte, sich endgültig abnabeln zu müssen, um frei atmen zu können. Aber kaum zurück, schluckt sie die Vergangenheit. Nicht zuletzt das nie überwundene Gefühl, am Tod ihres Vaters Schuld zu sein. Damals, sie war noch ein Kind, brachte sie ihm das Essen in den Wald, rief seinen Namen, und genau in diesem Moment wurde dieser von einem fallenden Baum erschlagen. Nicht das tödliche Ereignis im Wald, sondern die Reaktionen im Ort, die Hilflosigkeit der Mutter, die Einsamkeit des Kindes vervielfachten die Katastrophe, das lange Leiden, das Unausgesprochene zwischen Mutter und Tochter.

«Der slowenische Dialekt war das Tor, durch das sie eine abgeschlossene, scheinbar zurückgelassene Welt betrat, die von Menschen bevölkert wurde, von Lebenden und Toten, die etwas von ihr wollten.»

Sie begegnet Jurij, ihrer Jugendliebe und erliegt den Gefühlen, die damals gar keinen Platz hatten. Sie schreibt nichtssagende Nachrichten an Martin, ihren Mann in Wien. Nur wenn sie auf langen Spaziergängen um den Ort ihrer Kindheit und Jugend die Enge vergisst, scheint etwas von der Zuversicht aufzuflammen, jener Zuversicht, die es braucht, um sich aus dem Unausweichlichen zu schälen.

Maja Haderlaps „Nachtfrauen“ ist erstaunlich versöhnlich angesichts der noch immer gährenden Unversöhnlichkeit in der Gegend aus der sie kommt. Der Sprachenzwist, das gegenseitige Misstrauen zwischen den beiden Sprachgruppen, die Ängste und Traumata sind genauso unauslöschlich wie das Trauma der Tochter ihrem Vater gegenüber. Maja Haderlap gibt sich nicht in den Szenen versöhnlich, sondern in der Art des Erzählens. Im zweiten Teil des Romans wechselt Maja Haderlap die Perspektive, schildert aus der Sicht der Mutter. Auch wenn es nie zu einer wirklichen Aussöhnung, einer Versöhnung kommt; Ich als Leser beginne zu verstehen. Sie beide, Mutter und Tochter, sind gefangen. Emanzipation ist ein Prozess, kein Zustand. Leben ist ein permanenter Versuch des Ordnens und Einordnens.

«Es war ihr, als müsse sie tief unter dem Schutt und der Asche des Zweiten Weltkriegs nach etwas graben, was damals zerstört werden sollte und doch am Leben geblieben war.»

„Nachtfrauen“ ist der tiefe Blick in die verklebten Seelen zweier Frauen, die sich durch die Zwänge ihres Lebens winden. „Nachtfrauen“ besticht aber vor allem sprachlich. Selten erfrischten mich Natur- und Stimmungsbeschreibungen so sehr wie in diesem Roman, der sich durch eine hohe Musikalität auszeichnet. Man spürt dieses ganz besondere Verhältnis der Autorin zur Sprache, zweier Sprachen, die viel mehr sind als Instrument, als Mittel zum Zweck. Maja Haderlap spürt in Schichten, die dem oberflächlichen Betrachter verborgen bleiben.

«Sie sehnte sich danach, begnadigt zu werden.»

Was für ein Buch!

Maja Haderlap wurde in Bad Eisenkappel / Železna Kapla (Kärnten) geboren. Nach einem Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik war sie Lehrbeauftragte an der Universität Klagenfurt und lange Jahre Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt. Sie veröffentlichte Lyrik in slowenischer Sprache, ehe sie für einen Auszug aus ihrem Romandebüt «Engel des Vergessens» 2011 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Weitere renommierte Preise folgten, wie der Max Frisch-Preis 2018 oder der Christine Lavant Preis 2021.

Beitragsbild © Heike Steinweg