Joachim Zelter und sein Kammerspiel

Ein letztes Mal im Jahr 2020 lud das Literaturhaus Thurgau Literaturinteressierte zu einer Lesung im Bodmanhaus in Gottlieben ein. Joachim Zelter war Gast mit seinem aktuellen Roman «Imperia», mit dem der Schriftsteller lesend und performend das Publikum zu begeistern wusste – ein Publikum, das nach Kultur hungert!

Joachim Zelters zentrale Figuren in seinem Roman sind absolut gegensätzlich. Gregor Schamoni, ein mässig erfolgreicher Schauspieler mit einigen Geldsorgen und Iphigenie de la Tour, eine raumgreifende Frau und Professorin, deren Visitenkarte sich wie eine Speisekarte liest. Eine Frau, die sich als absolutes Zentrum ihres Sonnensystems sieht, ein Mann, der es wie ein kleiner Planet nie mehr schafft, aus der ihm zugewiesenen Umlaufbahn auszubrechen. Jeder kennt solche Archetypen wie die Professorin; Menschen, denen das Leben immer wieder Recht zu geben scheint, auch ihr Erfolg, ihr Geld, ihre Macht. Und weil Gregor Schamonis Verdienstmöglichkeiten begrenzt sind, gibt er ein Inserat auf: Schauspieler bietet Dichter- und Salonlesungen. Wenig später meldet sich am Telefon eine Frau Professor Iphigenie de la Tour. Man kommt ins Gespräch und trifft sich kurz danach in einem Café unweit des Münsters. Was mit diesem Treffen beginnt, wird für Gregor zu einem Strudel, der ihn immer mehr vereinnahmt. Auf der einen Seite seine immer wieder auftauchenden Panikattacken, die ihn um seine Existenz bangen lassen, auf der anderen Seite eine Frau, aus deren intrigierenden Fängen er sich nicht mehr befreien kann.

Was für den Schauspieler Gregor Schamoni Wirklichkeit ist, ist Wirklichkeit für viele Kunstschaffende: Wie weit soll, darf und kann man sich in Abhängigkeiten begeben, um nicht in Existenznöten unterzugehen. Es liegt einiges an Zündstoff in den Schilderungen, im Roman selbst, in der Dramaturgie des Geschehens, aber auch darüber hinaus, sind doch die Diskussionen über „Entmännlichung“ und Rollenverständnis nicht nur in vollem Gange, sondern Flächenbrand geworden.

Joachim Zelter inszenierte seinen Text auf der kleinen Bühne des Literaturhauses gekonnt und mit viel Leidenschaft, einer Leidenschaft, die sein ganzes Tun und Schaffen bezeugt, eine Leidenschaft, die im Publikum ganz selbstverständlich seine Resonanz findet. 

«Ganz Europa befindet sich in einem Corona bedingten Lockdown. Ganz Europa? Nein, ein kleiner Ort am Bodensee lässt sich von keinem Virus der Welt einschüchtern oder unterkriegen und hält fest an der Unverzichtbarkeit lebendiger Autor*innen und lebendiger Zuhörer*innen in den Hallen des Literaturhauses Thurgau, die dort – Corona zum Trotz – sehnsüchtig aufeinandertreffen. Es ist eine Insel des gesprochenen/gehörten Wortes in einem verstummten Ozean, und es war mir eine Freude, gestern Abend auf dieser Insel weilen zu dürfen.» Joachim Zelter

Ein fast volles Haus, mit aller Vorsicht geführt! Das Literaturhaus Thurgau dankt dem Autor für den spannenden Abend

Joachim Zelter «Die Würde des Lügens» – SWR2

Fotos © Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau