«Die Literaturrunde» bei Tele D – eine Lanze fürs Wortlaut Literaturfestival

Es gibt sie nicht nur in den grossen staatlichen Fernsehgiganten, sondern auch in den «kleinen», die ganz und gar von der Leidenschaft einer eingeschworenen Betreiberschaft getragen werden. «Die Literaturrunde», von Jeanette Bergner mit Kompetenz und Begeisterung moderiert, ist über die letzten Jahre zu einem fixen Sendebestandteil des Privatsenders Tele D geworden. Erstaunlich genug, wo doch in Deutschland vergleichbare Formate «aus Spargründen» abgesetzt werden.

letzte Absprachen zwischen Gallus Frei, Literaturvermittler und Co-Leiter des Wortlaut Literaturfestivals, Jeanette Bergner, Moderatorin und Ariane Novel, Lektorin, Ghostwriterin und Co-Leiterin des Wortlaut Literaturfestivals St. Gallen

«Umlaufbahnen» von Samantha Harvey: Was die Schriftstellerin literarisch schafft, ohne einen einzigen Besuch in einer solchen Kapsel abgestattet zu haben, mit blosser Imagination und sogfältiger Recherche ist ausserordentlich. Was sie daraus macht ebenso. Jene Erfurcht, die Weltraumfahrende immer wieder beim Anblick unserer Erde erfasst, springt über. Was Samantha Harvey erzählt, hat durchaus eine mahnende Komponente, obwohl Samantha Harvey nicht moralisiert. Aber was wohl das Verblüffendste an diesem Roman ist, dass ich als Leser ihre Freude an der Sprache spüre, ihre verschriftlichte Leidenschaft, die sie so beschreibt. «Dieses Gefühl, dass mir der Atem stockt und ich schwebe, das wollte ich zu Papier bringen. Es war pure Freude, diesen Roman zu schreiben, reiner Eskapismus. Ich wollte nicht, dass er endet.»

Kameramann Joel Reisinger

Wild nach einem wilden Traum von Julia Schoch: Ihre Romane entlarven die Gegenwart, spiegeln ein Lebensgefühl der permanenten Suche, diesem Drang, sich zu bewegen, sich mitreissen zu lassen. Rasch fertig werden, um Zeit für das Eigentliche zu haben: den Wahn der Liebe. So gar nicht das, was man mit dem Modewort „Achtsamkeit“ zu verkaufen versucht. „Wild nach einem wilden Traum“ ist ein gnadenlos ehrliches Buch. Nicht zuletzt ein Buch über das Schreiben, über Julia Schochs Schreiben. Darüber, wie sehr sich Begegnungen auf das eigene Tun auswirken, oft tief verborgen im Unterbewusstsein. Und vielleicht ist es eben diese Fähigkeit einer Schriftstellerin, dass sie sich dessen bewusst ist, dass sie in den Sedimenten ihres Lebens nach jenen Einschliessungen sucht, die bis in die Gegenwart wirken.»

«Zwei Leben» von Ewald Arnez: Was den Reiz des Buches ausmacht, ist seine Sinnlichkeit. Ewald Arenz beschreibt derart leidenschaftlich und innig, dass ich als Leser die Landschaft riechen kann. Aber auch die Sinnlichkeit in den Gefühlen des Personals, in diesen zwei Leben dieser beiden so unterschiedlichen Frauen; Roberta und Gertrud. Oder im klaffenden Gegensatz zwischen den Auswirkungen der 68er und einer bäuerlichen Tradition, die erst auf Änderungen aufsteigt, wenn es nicht zu vermeiden ist. Ewald Arenz weiss genau, wovon er schreibt. Er schöpft aus der Atmosphäre seiner eigenen Herkunft – und tut dies mit Wonne.

Klicken Sie auf das untenstehende Bild, dann können Sie in «Die Literaturrunde» hineinschauen:

ph.neff@schliff.ch

Beitragsbilder © Philipp Neff

«Bilder müssen im Kopf der Leserin erblühen», ein Interview mit Ewald Arenz

«Zwei Leben» heisst der neue Roman von Ewald Arenz und er betont, wie wichtig die Empathie für sein Schreiben ist. Ewald Arenz ist mit diesem Roman Gast am Wortlaut Literaturfestival in St. Gallen.

Gastgeitrag von
Urs Heinz Aerni

Urs Heinz Aerni: Herr Arenz, Ihr neues Buch liegt in den Buchhandlungen, und schön ist es geworden, dann das Auge liest ja mit. Können Sie als Autor bei der Aufmachung vom Cover über Schriftbild bis zum Lesebändchen mitreden?

Ewald Arenz: Ganz anders, als man gemeinhin denkt: Nein. Kein bisschen. Ich bekomme die Coverentwürfe zwar geschickt und kann sagen, was mir am besten gefällt, aber letztlich entscheidet doch der Verlag. Und das ist gut so.

Aerni: Warum?

Arenz: Wenn ich Grafiker hätte werden wollen, dann könnte ich jetzt keine Romane schreiben. Die Herstellerinnen bei DuMont wissen wirklich, was sie tun und ich verlasse mich völlig auf sie.

Aerni: «Zwei Leben» ist ein stiller, berührender Roman natürlich mit der Liebe als zentrales Thema. Was auffällt ist, dass sie aus der Perspektive von Roberta erzählen. Wie können wir das Hineinversetzen in weibliche Protagonistin als Mann vorstellen?

Arenz: Ich werde das seit «Alte Sorten» häufig gefragt.

Aerni: … Ihr Roman, der 2019 erschienen ist…

Arenz: Die Antwort ist: Es hilft, wenn man als Mann und Autor Frauen einfach mal zuhört. Ich glaube, das tun wir viel zu wenig. Und dann sind wir gar nicht so unterschiedlich. Ich meine, wer fragt Donna Leon, wie sie sich in Commissario Brunetti hineinversetzt?

Aerni: Gute Frage.

Arenz: Als guter Schriftsteller – ich wähle hier bewusst die männliche Form – muss man sich in alle hineinversetzen können. Empathie ist eine Grundvoraussetzung für gelungenes Schreiben.

Aerni: Der Roman beginnt in den 1970er Jahren, in Süddeutschland. Wie trifft man den Ton und die Farben von Jahren, die schon lange her sind? Oder wie gingen Sie da vor?

Ewald Arenz «Zwei Leben», Dumont, 2024, 368 Seiten, CHF ca. 36.90, ISBN 978-3-8321-8205-2

Arenz: 1971 war ich sechs Jahre alt und lebte in einem kleinen Dorf im fränkischen Jura. Jedes Bild, alles Gehörte und Erlebte ging direkt in mich hinein. Ich musste nur aus der Erinnerung schöpfen. Und dann blätterte ich in den alten Fotoalben meiner Eltern und jedes Bild weckte eine Vielzahl an neuen Szenen.

Aerni: «Als sie aus dem Zug stieg, wehte es ihr frisch um die Haare und ins Gesicht; ein ganz zarter Duft darin wie von frisch gepflügter Erde. Ein Frühlingsversprechen». Diese Passage zeugt von Ihrer Affinität zu Landschaft und Natur. Hilft die Sprache für die Tiefe des eigenen Geniessens?

Arenz: Die Sprache ist das A und O. Wenn ich erzähle, möchte ich, dass meine Sprache ist wie ein eleganter Rolls Royce. Man hört ihn kaum, aber er bringt einen mit grosser Sicherheit an den Ort des Erzählten. Meine Sprache muss Bilder transportieren, die im Kopf der Leserin erblühen. Sie ist essenziell.

Aerni: Der Roman thematisiert auch die Ambivalenz zwischen den Sehnsüchten, einerseits nach Urbanität und Karriere in der Modewelt, andererseits nach dem Dorfleben mit der Landwirtschaft und Natur drum herum. Wohin zieht es Sie momentan eher?

Arenz: Ich habe das grosse Privileg, in beiden Welten leben zu können. Lebte ich nur in einer, dann würde es mich unweigerlich immer auch in die andere ziehen.

Aerni: Sie studierten unter anderem englische und amerikanische Literatur und es dünkt, dass die amerikanische Erzählkultur mit ihren Weiten und Familienchroniken Ihr eigenes Schreiben prägt. Oder?

Arenz: Sowohl die amerikanische wie auch die englische Literatur haben mein Schreiben geprägt. Dos Passos genauso wie Steinbeck oder Phlip K. Dick, die Brontës nicht weniger als Jane Austen. Aber alles in allem sind es doch auch und immer wieder die deutschsprachigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller – darunter nicht zuletzt Max Frisch und Dürrenmatt. Ist es nicht grossartig, dass Literatur so nationenübergreifend wirkt?

Aerni: Sehr. Davon könnte die politische Welt wohl noch lernen. Von schreibenden Zunft wird oft erwartet, dass sie sich gesellschaftlich ja sogar politisch mehr engagieren müssten, da sie ja mit der Sprache und Inhalten arbeitet im Gegensatz zur Musik oder Malerei. Sie tun dies unter anderem auch durch Stellungnahme zu Vernunft und Ängsten vor dem Fremden. Aber was meinen Sie zu dieser Erwartungshaltung?

Arenz: Ich bin politisch in der kleinsten Zelle der Gesellschaft, in ihrem Kern, der Familie und dem engsten Umfeld. Dort beginnt alles: Toleranz und Vergebung und das Gespräch miteinander. Von dort aus wirken wir weiter. Wenn wir uns in der Familie nicht zuhören und uns verzeihen können, wie dann im Grossen? Ich bin auch parteipolitisch engagiert, aber ich glaube, dass ich mit Literatur mehr bewirken kann.

Aerni: Wenn ein Roman veröffentlicht ist, kommen die Interviews und die Lesungen. Wie bereiten Sie sich auf die lebendige Phase des Schriftstellerlebens vor, da doch das Schreiben eine ruhige und zurückgezogene Angelegenheit ist?

Arenz: Ach, das sind doch die schönen und lebendigen Stunden. Schreiben ist manchmal eine verteufelt einsame Angelegenheit mit tausend Selbstzweifeln und manchmal sehr dunklen Stunden. Da bin ich froh über Lesungen und den echten Kontakt zum Publikum.

Aerni: Dürften wir erfahren, wie Ihr Lieblingsschreibort aussieht?

Arenz: Immer wieder: Mein Schreibtisch in meinem Arbeitszimmer. Es gibt einen Blick auf den verwilderten Garten und den Blick auf eines meiner Lieblingsbilder – ein Gemälde meiner künstlerisch so begabten Grossmutter.

Aerni: Erlauben Sie mir noch zum Schluss folgende Frage: an welchem Ort als Kulisse würden Sie mal gerne einen Roman platzieren?

Arenz: Jedenfalls nicht in Berlin. Aber ganz ehrlich: Der Mars würde mich mal reizen…

(Zuerst erschienen im Magazin «Lesen» von Orell Füssli Schweiz.)

Ewald Arenz wurde 1965 in Nürnberg geboren, hat englische und amerikanische Literatur und Geschichte studiert. Er arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium in Nürnberg. Seine Romane und Theaterstücke sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Mit «Alte Sorten» (DuMont 2019) stand er auf der Liste »Lieblingsbuch der Unabhängigen« 2019 und «Der große Sommer» (2021) erhielt 2021 ebenjene Auszeichnung. Zuletzt erschien «Die Liebe an miesen Tagen» (2023). 

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Beitragsbild © Ilka Birkefeld

Ewald Arenz «Zwei Leben», DuMont

Die 70er irgendwo im fränkischen Süddeutschland. Roberta kehrt nach einer ernüchternden Lehre in der Stadt zurück in ihr Heimatdorf. Obwohl da einmal der Plan war, in die Welt hinauszuziehen, als Modistin ihr Glück zu finden, arbeitet sie wieder auf dem Hof ihrer Eltern und nimmt einen Faden auf, den sie nie ganz losliess.

Ewald Arenz ist ein Phänomen. Obwohl er seit fast vierzig Jahren als Schriftsteller veröffentlicht, wurde er erst mit „Alte Sorten“, seinem ersten Roman bei Dumont, einem breiten Publikum zum Fixstern. Dabei trugen bis zum Verlagswechsel schon mehr als ein Dutzend Titel seinen Namen, änderte sich eigentlich bloss der Verlag. Ewald Arenz blieb seiner Herkunftsgegend treu, dem Leben auf dem Land, einer Welt zwischen Idylle und harter Realität. Schon sein Bestseller „Alte Sorten“ ist ein Roman darüber, wie sehr uns Leben weggenommen wird und wie schwer es ist, zurückzufinden, wie sehr sich Tradition und Aufbruch reiben.

In „Zwei Leben“ versucht Roberta einen Neustart auf dem Hof ihrer Eltern. Roberta ist das einzige Kind. Sie weiss um die Verpflichtung, die unausgesprochen auf ihren Schultern liegt, erst recht jetzt, wo der eine Versuch des Ausbrechens gescheitert ist. Man macht zuhause kein grosses Aufhebens über ihre Rückkehr. Sie ist wieder da und packt an. Roberta spürt, dass der Traum, ihr ganz eigenes Leben zu finden, nicht ausgeträumt ist, dereinst selbst zu schneidern, Kleider zu entwerfen, dort zu wirken, wo Kleidung nicht bloss Mittel zum Zweck ist. Über die gebändigte Sehnsucht hilft ihr Wilhelm, mit dem sie schon eine Kindheit lang Freundschaft verbindet. Wilhelm, der Sohn des Pfarrers. Aber weil sie weiss, dass Wilhelm bald wegziehen wird, um in der fernen Stadt zu studieren, wehrt sie sich gegen ein Gefühl im Bauch, das mehr und mehr zum Elexier wird.

Ewald Arenz «Zwei Leben», Dumont, 2024, 368 Seiten, CHF ca. 36.90, ISBN 978-3-8321-8205-2

Die Pfarrersleute sind unmittelbare Nachbarn. Man kennt sich, obwohl kein Zaun, sondern eine Mauer das Pfarrhaus umgibt, obwohl die Mutter Wilhelms einst in fernen Hamburg aufwuchs und jeder im Dorf spürt, dass die Frau, die immer die Frau Pfarrer ist, von der man nicht einmal den Vornamen kennt, nie eine Hiesige werden wird. Das spürt auch Heinrich, ihr Mann, dem der Kampf gegen das Schweigen und der latente Trotz im Dorf längst zur Lebensaufgabe geworden ist. Getrud, die Frau Pfarrer, will weg, auch wenn ausser ihrem Bruder, der in der Ferne als Wissenschaftler Erfolge feiert, niemand etwas von ihrem tiefsitzenden Schmerz erfährt. Selbst Heinrich, ihr Mann, der das Unglück seiner Frau spürt, sitzt den Schmerz aus.

Zwischen Roberta und Wilhelm entwickelt sich eine vorsichtige Liebe. Roberta weiss, dass sie ihr Herz nicht an einen zukünftigen Studenten verlieren sollte und Wilhelm drängt nicht. Robertas Eltern blenden die Bedürnisse ihrer Tochter aus und Wilhelms Eltern sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass ausser Robertas Grossvater niemand merkt, was sich zwischen den beiden anbahnt. In ihrer Not erbittet Wilhelms Mutter ihren Gatten um eine Auszeit, als Begleitung einer Vortragsreise ihres Bruders. Eine Reise, die in den letzten Tagen eine ganz unerwartete Wendung bekommt und das Leben Wilhelms Mutter arg ins Wanken bringt. Aber auch im Dorf überstürzen sich die Ereignisse. Der Tod zieht wie eine schwarze Wolke über das Dorf.

Mag sein, dass die Geschichte selbst in Sachen Melodramatik etwas dick aufträgt, dass auch etwas weniger Schmerz gezeigt hätte, dass sich unter kleinen Schritten grosse Kluften aufreissen können. Was den Reiz des Buches ausmacht, ist seine Sinnlichkeit. Ewald Arenz beschreibt derart leidenschaftlich und innig, dass ich als Leser die Landschaft riechen kann. Aber auch die Sinnlichkeit in den Gefühlen des Personals, in diesen zwei Leben dieser beiden so unterschiedlichen Frauen; Roberta und Gertrud. Oder im klaffenden Gegensatz zwischen den Auswirkungen der 68er und einer bäuerlichen Tradition, die erst auf Änderungen aufsteigt, wenn es nicht zu vermeiden ist. Ewald Arenz weiss genau, wovon er schreibt. Er schöpft aus der Atmosphäre seiner eigenen Herkunft – und tut dies mit Wonne.

Die Fans werden den neuen Arenz lieben!

Ewald Arenz wurde 1965 in Nürnberg geboren und studierte nach einigen Semestern Rechtswissenschaft englische und amerikanische Literatur sowie Geschichte. Er ist einer der produktivsten und erfolgreichsten Schriftsteller Deutschlands, dessen Gesamtauflage bei über einer Million verkaufter Bücher liegt. „Alte Sorten“, „Der große Sommer“ und „Die Liebe an miesen Tagen“ waren mehrfach Jahresbestseller auf der SPIEGEL Bestsellerliste und wurden in viele Sprachen übersetzt. Arenz ist mit vielen Kulturpreisen ausgezeichnet worden.

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Beitragsbild © Ilka Birkefeld