Chris Schneeberger «Eine unschöne Weihnachtsgeschichte», 3. unschöne Weihnachtsgeschichte

Es war das Jahr der Unfälle. Danach hiess es amigs, wir lebten halt hier unten im Bermudadreieck. Wobei, im Bermudadreieck wird spurlos verschwunden.
Also, zuerst kippte ein Milchlastwagen auf dem neuen Viadukt. Der Milchtanklastwagen enleerte sich und es ergoss sich nicht nur ein Strom von Milch vom Geelig oben runter ins Vogelsang abe, schön der geschwungenen neuen Strassenführung entlang, nei, es tropfte und spritzte und leuchtete ein Milch-Wasserfall vom gebogenen Viadukt über die Eisenbahngeleise Baden-Brugg herunter, dass es nur schön war.
Dann fiel ein Flugzeug vom Himmel. Also, mitten in eine Stube, genau genommen, in die Stube der Postkartenfamilie. Die machten Postkarten und konnten offensichtlich gut davon leben. Sicher waren es nicht Postkarten von hier. Auf jeden Fall landete das kleine Flugzeug mit der Nase auf dem Sofa, auf dem gerade noch die Postkartenmutter gesessen hatte, aber dann ein Glas Wasser holen ging, und Tätschbummpeng, sass die Nase von einem Flugzeug, wo gerade noch sie gesessen. Da stieg der Pilot aus und entschuldigte sich sehr. Sie bot ihm das Glas Wasser an. Er fiel um, und schlug sich den Kopf am modernen Glastisch auf.
Und dann beim Manta im Kraftwerkswehr. Auch da war es die Kurve, die einer nicht kriegte. Der Opelfahrer brach in Tränen aus, als er das havarierte Auto dann pflotschnass am Kranhaken aus dem Kraftwerkskanal auftauchen sah. Da mussten alle lachen.
Dann lag plötzlich der Onkel, der erst 17 Jahre alt war, wie eine komplett eingepackte Mumie im Spital, ich wusste nicht, wer das sei. Den Stromausfall hatten alle mitgekriegt, als der Lehrling von Papa und Bruder von Mama blöd in die Hochspannung geraten war, im Transformator. Auch er hatte Glück, aber da weinten alle.
Das war ja alles noch lustig. Aber es war auch der Sommer, ab dem wir nicht mehr in den Maisfeldern spielten, wegen den toten Kindern. In der Brockenstube hatte mich auch so ein Mann verfolgt, aber ich kannte mich im Labyrinth der Gestelle und Tische besser aus als er und konnte dann abhauen.
Ja, und jetzt wäre auch noch Weihnachten. In der Sonntagsschule bin ich immer der blöde Joseph, den es in der Geschichte ja gar nicht braucht. Ich wäre lieber etwas richtiges, ein König, vorallem Balthasar, aber der muss wie jedes Jahr Cedrik spielen, wegen der Farbe. Wegen seiner Farbe oder wegen meiner, ich finds jetzt emel blöd, und Cedrik auch – und zwar die ganze Welt. Er komme jetzt nicht auch noch in die Sonntagsschule. Dabei sahen wir uns nur dort und ich war in ihn verliebt. Nach der Feier Zuhause habe ich dann nur noch gekörbelt vor lauter Rimuss-Kinderwein und Wiehnachtschrömli und dem Braten im Teig und Grossmutters berühmter Ananascremetorte und Mama sagte, das war jetzt für dieses Jahr vielleicht doch ein Biss zu viel.

Christoph Schneeberger wird 1976 im Aargau geboren und wächst in Vogelsang und Birr auf. Er studiert zunächst am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und schliesst 2018 den Master in Literarischem Schreiben an der Hochschule der Künste Bern ab. Christoph Schneeberger verknüpft die verschiedenen Bereiche der Kunst und ist in vielseitigen Formen und Identitäten aktiv. Als X Noëme – so heisst er als Dragqueen – performt er etwa eine Lesung seines preisgekrönten Romans «Neon Pink & Blue». 2021 gewann Christoph Schneeberger den Schweizer Literaturpreis.