Birgit Vanderbeke «Ich freue mich, dass ich geboren bin», Piper

«Das Land der Verheissung, von dem alle geträumt haben, entpuppt sich für das Kind als ein übler Ort, eine drastische, gewalttätige Gegenwart.»

In den 60er-Jahren siedelt eine Familie von Ost- nach Westdeutschland, ins Land der Verheissungen, der viel zu junge Vater, die ewig unzufriedene Mutter und das missratene Kind. Aber statt im Paradies anzukommen, landen sie in einer ganzen Reihe von trostlosen Flüchtlingslagern. Erst viel später in der ersten Dreizimmerwohnung, wo dann aber das Leiden an den zerbrochenen Träumen einer ganzen Familie erst richtig beginnt.
Birgit Vanderbeke erzählt aus der Reflexion einer Erwachsenen, die noch einmal mit den Augen des Kindes sieht, in ihre Anfänge, dorthin, wo man ihr schon als Kind zu verstehen gab, dass sich die Eltern über ihre Geburt alles andere als freuten und man sie selbst als Neugeborenes als Katastrophe empfand. Die Erzählerin sucht nach dem Moment, wo aus dem Missgeschick, dem allumfassenden Unglück, jene Verbündeten auftauchen, die sie überleben lassen, die Person, mit der man endlich über alles reden kann, jenes Gefährt, das Buch «Die Zeitmaschine», ein Geschenk des Onkels, dass sie aus dem Unglück hinausträgt, aus einer Welt, in der alle Erwachsenen lügen, erst recht an den Geburtstagen.
Was im Roman mit kindlicher, altkluger Stimme fast wie ein Kinderbuch daherkommt, ist in seinen Formulierungen manchmal beinahe expressionistisch, grell, zornig, phantastisch. Die Autorin erzählt von einem allein gelassenen Kind, der Spiessigkeit der neuen Ordnung nach dem grossen Krieg, der Gier nach einem Stück Fortschritt und der katastrophalen Überforderung von Mutter und Vater.

DSCN1131Birgit Vanderbeke reisst Krusten auf, Krusten über den Wunden der deutsch-deutschen Geschichte, auch wenn sich das Lügen und Nicht-miteinader-Reden in der Gegenwart nicht zum Besseren gewandelt hat. Der Roman ist nicht nur die Geschichte einer Reise vom Osten in den Westen, sondern die Zwangsreise von der Welt der Grossmutter in die Welt der Eltern, von der einen in die andere Kultur. Unerfüllte Träume und der ewige Schmerz darüber sind keine Merkmale jener, die sich in den Westen absetzten. Unzufriedenheit, Lieblosigkeit und Gewalt sind Themen der Gegenwart. Mit der Geschichte erlebe ich die Geburt einer Erzählerin. Die Magie durch das Lesenlernen braucht das Mädchen im Roman, um leben zu können, einen Ausweg zu finden.
Obwohl (männliche) Kritiker sich über den kindlichen Ton des Romans auslassen – lesen Sie dieses Buch – erst recht!