Eva Schmidt «Die Welt gegenüber», Erzählungen, Jung und Jung

Eva Schmidt ist eine feine Beobachterin. „Die Welt gegenüber“ ist ihre Welt, von der sie betroffen ist, in die sie sich auf die ihr ganz eigene Weise einmischt; zurückhaltend, behutsam und doch ganz unmittelbar. Ihr erster Erzählband ist ein Genuss, sowohl sprachlich wie auch in der Unaufgeregtheit ihrer Geschichten.

Ich unterstelle der Autorin, dass sie mit ihren Geschichten nichts zeigen, nichts offenbaren und schon gar keine Moral verpacken will. Und doch blickt Eva Schmidt auf eine Welt, die den Schmerz mit einschliesst. Den Schmerz, es geschehen lassen zu müssen. Selten haben mich Erzählungen derart bewegt, wie jene von Eva Schmidt. Nicht nur weil sie sorgsam, unspektakulär und gradlinig aufgebaut sind, sondern weil sie sich in eine beinahe feinstoffliche Ebene hineinwagen. Weil Eva Schmidts Sprache genau ihren Bildern, ihrer Figurenzeichnung entspricht. Sie füllt ihr Personal nicht aus, sondern zeichnet das Darumherum und schafft es so, dass Konturen klar und überdeutlich hervortreten.

Eva Schmidt «Die Welt gegenüber», Erzählungen, Jung und Jung, 2021, 224 Seiten CHF 31.90, ISBN 978-3-99027-250-3

Da ist eine ältere Frau, die seit dem Tod ihres Mannes und ihrer Pensionierung als Krankenschwester allein in einem Haus lebt. Ins Haus nebenan zieht eine Familie, ziemlich plötzlich, weil der Hausrat der Vorbewohner noch nicht einmal aus dem Haus geschafft ist. Eine Familie mit zwei Kindern. Eine Familie, über die man sich freuen könnte, wäre da nicht schon vom ersten Tag weg das Gefühl, dass diese in Schieflache geraten ist. Ein Mann, der noch unbedingt vor Ferienschluss ein riesiges Loch im Garten graben muss, eine Frau, die einen abwesenden Eindruck hinterlässt, eine halbwüchsige Tochter, die sich ganz offensichtlich an ihre Familie gekettet fühlt und ein jüngerer Bruder, den sie trotz mehrerer Anläufe nicht zu erreichen versteht. Was sich über Tage und Wochen in unausgesprochener Ahnung abzeichnet, passiert auch eines Nachts. Und obwohl die ältere Frau noch aus ihrer Berufszeit stets einen Notfallkoffer im Haus bereitstehen hat, kann sie nicht helfen.

Oder Falk, ein älterer Schauspieler, der im Haus einer alleinstehenden Frau ein Zimmer findet, aber als Mann im Haus unscheinbar und zurückgezogen bleibt. Bis aus der Situation doch Nähe entsteht und die beiden mit einem Mal zusammen in einem Auto Richtung Norden sitzen, dorthin, wo Falk einst herkam und ein Ferienhaus besitzt. Bis der Frau klar wird, dass es eine Abschiedsreise werden wird, denn Falk ist krank, sehr krank. Was für die Frau zu einem Anfang wird, wird für den Mann zu einem Abschluss.

Oder von dem Gärtner, der in einem Wohnwagen auf einem Dauercampingplatz wohnt und in einem Tankstellenshop bei einem Kaffeeautomaten eine junge Frau mit einer Tasche kennenlernt. Eine Frau, die eine Bleibe für die nächste Nacht sucht und dann bleibt. Für wie lange, weiss der Mann nicht. Und weil sich das Leben des Mannes in seiner Gleichförmigkeit eingependelt hatte und er mit der jungen Frau unweigerlich wieder zu hoffen wagt, lässt er die Frau gewähren, lässt sie im Wohnwagen bei seinem Hund zurück und hofft jeden Abend, dass sie noch da sein werde. Bis ihn seine Gutgläubigkeit, seine naiven Hoffnungen strafen.

Wer noch kein Buch der Schriftstellerin Eva Schmidt gelesen hat und sich mit „Die Welt gegenüber“ auf die Meisterschaft der Vorarlbergerin einlässt, wird mit Sicherheit noch mehr von ihr lesen wollen!

Eva Schmidt, geboren 1952, lebt in Bregenz, Österreich. Sie hat neben Erzählungen in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften vier Bücher veröffentlicht. Mit ihrem Erstling erhielt sie diverse Stipendien und Literaturpreise, u.a. den Nachwuchspreis zum Bremer Literaturpreis (1986), den Rauriser Literaturpreis (1986), den Hermann-Hesse-Förderpreis (1988) und den Nicolas-Born-Preis (1989). «Ein langes Jahr» (2016) war ihr erstes Buch seit fast 20 Jahren.

Rezension von «Die untalentierte Lügnerin» auf literaturblatt.ch

Beitragsbild © privat

Eva Schmidt «Die untalentierte Lügnerin», Jung und Jung

Eva Schmidt erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die ständig das Gefühl des Ausgeschlossenseins mit sich herumträgt. Maren ist kaum zwanzig, als sie nach einem gescheiterten Schauspielstudium zurück in ihr Elternhaus kommt und doch nicht in ein altes Leben zurückkehren will, nicht in die Lügen in der Familie, nicht ins feine Netz ihrer eigenen Lügen. 

Als Eva Schmidt mit ihrem letzten Roman «Ein langes Jahr» 2016 nach zwei Jahrzehnten zurück auf der Literaturbühne erschien und sogleich für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde, war auch ich begeistert von ihrem neuen Auftritt. Wer von einem Roman beeindruckt war und mit viel Erwartung einen neuen liest, kann leicht enttäuscht oder auf dem falschen Fuss erwischt werden. Nicht so bei Eva Schmidt. Die Vorarlbergerin, die sich als 67jährige auf eindrücklichste in das Leben einer 20jährigen in der Gegenwart versetzen kann, beschreibt fein und ziseliert, verliert sich nicht in psychologischen Deutungen und lässt Leben ganz nah passieren.

Die einen haben mit zwanzig einen Plan. Andere sind ganz offen oder suchen noch. Maren musste ihren Plan aufgeben. Nicht so sehr weil sie als Schauspielerin nicht getaugt hätte, sondern weil sich Probleme einschlichen, die sich auf ihre Gesundheit auswirkten; Essstörungen. «Die untalentierte Lügnerin» ist aber kein Roman über Essstörungen. Maren kommt zurück zu einer Familie, die sich schon seit Jahren im Zustand des Zerfalls befindet; Vater und Mutter zerstritten und trennten sich, der Vater lebt weit weg, die Mutter heiratet wieder, mehr die Sicherheit und das Geld als den Mann, Marens Stiefvater lebt ein Doppelleben, ihr älterer Bruder hat sich nach Finnland abgesetzt und ihr jüngerer Halbbruder studiert in der Ferne den Waldrapp. Obwohl Eva Schmidt das Familiengeflecht bis in Kleinigkeiten schildert, obwohl sie deutlich macht, wie vielschichtig und verknotet dieses Gefüge ist, ist «Die untalentierte Lügnerin» auch kein Familienroman, kein Soziogramm. Einzelne Figuren, wie der Vater und Jazzmusiker in der Hauptstadt, bleiben skizzenhaft. Eva Schmidt bemüht sich viel mehr um die Wirkung dieser Personen in Marens Leben.

Maren ist weder für alles offen noch auf der Suche nach neuen Türen. Marens Leben geschieht. Sie knüpft zum einen an das Leben zuvor, an den DJ Max, der sie einmal hängen liess, der sie aber spüren lässt, etwas zu sein, auch ohne Absicht, ohne Plan. Sie lernt Alex kennen, einen unglücklichen und kranken Schauspieler und Lisa, die in der Bar serviert. Sie geht Vera, ihrer Mutter aus dem Weg, die der ganzen Welt zu verstehen gibt, dass nichts so funktioniert, wie es sein müsste und erfährt in der Wohnung ihres reichen Stiefvaters Robert, dass auch dessen Leben nicht das ist, wonach es aussieht. Maren prallt am Leben ab, findet keinen Tritt, spürt keine Wirkung. Bis sie einen neuen Mann kennenlernt. Bis sie merkt, nichts mehr darstellen zu müssen. Bis sie sich auf einer Reise in die Hauptstadt ihren eigenen Lügen stellt.

Eva Schmidts Bücher sind kein Spektakel. Sie sind ruhig erzählt, von fast unterkühlter Skepsis. Eva Schmidts Erzählton ist der einer Beobachtenden, unaufdringlich und dezent. Hinter dem Geschriebenen weiss ich viel mehr, nämlich das, was sich erschliesst, wenn man über die verschiedenen Lesarten dieses Buches zu diskutieren beginnt.

© Lisa Mathis

Eva Schmidt, geboren 1952, lebt in Bregenz, Österreich, hat neben Erzählungen in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften drei Bücher veröffentlicht, zuletzt »Zwischen der Zeit« (1997). Diverse Stipendien und Literaturpreise, u.a. Nachwuchspreis zum Bremer Literaturpreis (1986), Rauriser Literaturpreis (1986), Hermann-Hesse-Förderpreis (1988), Nicolas-Born-Preis (1989). »Ein langes Jahr« 82016) war ihr erstes Buch seit fast 20 Jahren.

Beitragsbild © Sandra Kottonau