Michael Köhlmeier «Umblättern und andere Obsessionen», Edition 5plus

Kennen sie das? Sie begegnen jemandem und fühlen sich verwandt? Sie begegnen einem unbekannten Ort, als wären dort ein Teil ihrer Wurzeln verborgen? Viel mehr als ein Déjà-vu! Als ich für wenige Tage in der Bäderstadt Baden an der Limmat ausspannen wollte, spazierte ich durch die Gassen der Altstadt. Etwas abseits der Ströme, nahe an der Kante hinunter zum Fluss, liegt die Buchhandlung Librium. Ein Hort des guten Buches, des guten Geschmacks, ein Tempel der Literatur.

Die Buchhandlung Librium ist kein Gemischtwarenhandel, nicht einmal in der Auswahl seiner Bücher. Es gibt Buchhandlungen oder solche, die sich so nennen, in denen mein Auge kaum einen Ankerpunkt findet, kaum etwas lockt, nichts meine Neugier weckt. Im Gegenteil; an solchen Orten fühle ich mich fremd, beinahe ausgeschlossen, denn Bücher sind nicht gleich Bücher, so wie nicht jede Tomate das verspricht, was das Rot behauptet.

Librium schloss sich 2013 der Kooperation «5plus» an, einer Ideengemeinschaft, die sich 2009 unter fünf namhaften Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum formierte: der Buchhandlungen Felix Jud (Hamburg), Lehmkuhl (München), zum Wetzstein (Freiburg), Leporello (Wien) und Klaus Bittner (Köln), die im Sommer 2009 entstanden ist. 2012 kam Schleichers (Berlin) dazu und 2013 die Buchhandlungen Librium in Baden und Dombrowsky in Regensburg. «5plus» gibt zweimal jährlich ein Buchmagazin heraus. Darüber hinaus engagiert sich «5plus» aber auch verlegerisch.

Uns wie! Im Oktober 2010 erschien eine Erzählung von Louis Begley: «Cowboys und Indianer» in einer einmaligen Auflage von 2.200 nummerierten und signierten Exemplaren, gestaltet von der Agentur Groothius, Lohfert & Consorten. Das Buch ist inzwischen vergriffen. Inzwischen sind acht weitere Bücher erschienen, ebenfalls zum ersten Mal auf Deutsch publizierte Erzählungen von Irène Némirovsky, William Boyd, Henry James, Gaito Gasdanow, Michael Köhlmeier, Jane Gardam, Cees Nooteboom und Julian Barnes.

Aus dieser Reihe gelesen habe ich «Umblättern und andere Obsessionen», einen schmalen Band mit fünf Texten zu Michael Köhlmeiers Liebe zum Buch. Der in Hohenems lebende und mit der Schriftstellerin Monika Helfer verheiratete Autor ist nicht nur ein Vielschreiber, sondern auch ein Vielleser. Kein Verschlinger, sondern ein Langsam- und Immerwiederleser. Ein Mann, dem Lesen längst zu einer Art des Schauens, des Verstehens, des Lebens geworden ist. Der all jene versteht, die unheilbar infiziert sind vom Virus «Buch», die Bücher nicht einfach nur verschlingen, weglegen und vergessen, so wie ein Mittagessen, das kurzfristig satt macht und das man Minuten später schon wieder vergessen hat.

«Umblättern und andere Obsessionen» ist eine Liebeserklärung an die ans Buch Verlorenen. An jene, die nicht einfach verschlingen wollen, sondern sich für das Buch als Kunstwerk interessieren, die mehr erfahren wollen, als nur das, was als Geschichte eingesperrt ist, die mit geschlossenen Augen über den Einband streichen, nicht ertragen, wenn das farbige Lesebändchen mehrfach gefaltet wird, die ihre Nase ins Buch stecken, um dem Leim oder den Vorbesitzern nachzuschnuppern, die wissen, was ein «Hurenkind» und ein «Schusterjunge» sind.

Michael Köhlmeier nimmt uns mit zu Johann Georg Tinius, der für seine unermesslich grosse Bibliothek selbst als Theologe das Mass aller Dinge verlor und die letzten 20 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbrachte, in die Bibliothek seiner Eltern, in die Tiefen seiner Lektüre von Dostojewskys «Schuld und Sühne» und den Vorschlag des zu Unrecht vergessenen Schweizer Schriftstellers Ludwig Hohl, jedes Buch mit einer Zahl von 1 bis 10 zu markieren, als Orientierung für die empfohlenen Lesegeschwindigkeit (10 – schnell – die Romane von Walter Scott, 1 – langsam – «The Waste Land» von T. S. Eliot).

Besuchen sie die Webseiten der Buchhandlungen Felix Jud, Lehmkuhl , zum Wetzstein, Leporello, Klaus Bittner, Schleichers, Librium und Dombrowsky. Dort weht der Duft der Wahrhaftigkeit.

© Heike Bogenberger

Michael Köhlmeier, geboren 1949 in Voralberg. Er studierte Germanistik, Politologie, Mathematik und Philosophie. Lange Zeit Mitarbeiter beim ORF. Sein vielseitiges und vielfach ausgezeichnetes Werk – zuletzt mit dem Preis der LiteraTour Nord (2015), dem Düsseldorfer Literaturpreis (2015) und dem Walter-Hasenclever-Preis (2014) – umfasst Romane, Erzählungen, Lyrik, Theaterstücke, Drehbücher und Libretti. Ganz aktuell seine Sammlung von Reden «Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle» (dtv) mit der Rede auf dem österreichischen Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus am 4. Mai 2018, als er die anwesenden FPÖ-Regierungspolitiker ganz direkt ansprach: «Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle». (Rezension auf literaturblatt.ch)