Im Frühling hätte das Festival stattfinden sollen und musste wie so viele andere abgesagt werden. Aber als einziges Schweizer Literatur-Festival, das mir bekannt ist, wagt Literaare in Thun einen Restart. Nur schon deshalb sollte der Mut der VeranstalterInnen belohnt werden, garantieren doch die Vorgaben des BAG maximal möglichen Genuss.
Eröffnet wird das Festival am Freitag, den 25. September von der Grand Dame der Schweizer Literaturszene. Mit Ruth Schweikert, die 2016 sowohl den Schweizer Literaturpreis wie den Solothurner Literaturpreis gewann und schon mit ihrem ersten Roman «Erdnüsse. Totschlagen» mehr als nur auf sich aufmerksam machte, mischt sich eine wichtige Stimme ein – in die Kulturszene genauso wie in die Politik. 2020 veröffentlichte sie zusammen mit Eric Bergkraut einen Film, eine «etwas andere Homestory einer Künstlerfamilie» mit dem Titel «Wir Eltern». Ruth Schweikert bringt ihren Roman «Tage wie Hunde» mit ans Festival, einen Roman, in dem sie sich auf formal experimentellen Wegen sowohl erzählerisch wie essayistisch mit ihrer Krebserkrankung auseinandersetzt. Ein Buch, das weit mehr ist, als eine Nabelschau, viel mehr ein literarisch mutig, wilder Ritt durch die eigene Körperlichkeit.
Am darauffolgenden Samstag und Sonntag geben sich grosse und kleine Namen die Klinke. So liest Christoph Geiser, ein Urgestein in der CH-Literatur aus seinem bei Sezession erschienenen Erzählband «Verfehlte Orte». Christoph Geiser, der seit einem halben Jahrhundert schriftstellerisch wirkt und dafür 2020 endlich mit dem Schweizer Literaturpreis die gebührende Anerkennung erfuhr, ist Erzähl- und Fabulierkünstler. Ein Autor, der sich nur schwer fassen lässt, sich dauernd neu erfindet.
Andere grosse Namen gehören einer ganz jungen Generation. So lesen Simone Lappert aus ihrem Roman «Der Sprung», mit dem sie sich einen Platz in der Shortlist des Schweizer Buchpreises 2019 verschaffte, Laura Vogt aus ihrem Gesellschaftsroman «Was uns betrifft» oder die jungen deutschen Schriftstellerinnen Kirstin Höller (1996), Miku Sophie Kühmel (1992) und Svenja Gräfen (1990), drei junge Stimmen, die mit ihren Themen den Nerv der Gegenwart treffen. Neben noch vielen anderen Stimmen eine Wand aus kraftvollen Erzählerinnen!
Ganz besonders freue ich mich auf das Format «Skriptor», das im Rahmen der Solothurner Literaturtage von AutorInnen entwickelt wurde. Es stellt Fragen, die die schriftstellerische Tätigkeit bestimmen. Am öffentlichen Werkstattgespräch kann sich das Publikum miteinbringen. Ein Format, das zeigt, wie tief die Auseinandersetzungen mit Sprache, Text, Form und Inhalt reichen können. Dabei stellt sich der Schriftsteller Demian Lienhard, der mit seinem Debüt «Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat» für Furore sorgte, mit einem noch unveröffentlichten Textausschnitt. Es diskutieren 5 SchriftstellerInnen und Mutige aus der Runde der Lauschenden.
Bereits auf literaturblatt.ch besprochen und auf dem Programm des Thuner Literaturfestivals «Literaare»:
«Der Sprung» von Simone Lappert
«Was uns betrifft» von Laura Vogt
«Hier sind Löwen» von Katerina Poladjan
«Andersland» von Regula Portillo
Warum in diesen Zeiten ein Festival besuchen? Wer sich an die Regeln hält, geht kein Risiko ein. Und die Literatur braucht die Begegnung, all die Lesenden, die sich nicht bloss zur Unterhaltung mit Büchern versorgen. Ein solches Festival ist ein Zeichen; ein Zeichen für die Kunst, für all jene, denen seit dem Frühjahr das lebensnotwendige Publikum weggebrochen ist.
Seien Sie dabei!