Lioba Happel «Pommfritz aus der Hölle», edition pudelundpinscher #SchweizerBuchpreis 22/6

Pommfritz heisst eigentlich Pomelius Fridericus. Wer heisst schon so. Der Name allein wäre Strafe genug. Und Pommfritz sitzt tatsächlich zur Strafe im Gefängnis. Wegen Mordes an seiner Mutter, wegen Kanibalismus. Von einer Hölle in die nächste geraten.

Das Buch sperrte sich mir lange. Nicht nur weil es sich einhändig kaum lesen lässt, nicht der Anzahl Seiten wegen, nicht weil das Buch in der Sitte des Verlags als Paperback den Weg zu LeserInnen versucht, sondern weil Lioba Happel nichts tut, um eine „schöne“ Geschichte zu erzählen. Das soll keine Kritik sein. Ich liebe Bücher, denen ich mich stellen muss, die mich herausfordern, die provozieren. Lioba Happels Roman ist nicht nur der Erklärungsversuch eines Mannes, der es schon lange aufgegeben hat, aus der Hölle zu entkommen, sondern sprachlich wie eine „Eiserne Jungfrau“, die sich während der Lektüre immer unbarmherziger in meine Gedankenwelt einsticht und Male hinterlässt.

Pommfritz sitzt im Knast und schreibt Briefe an seinen Vater. An einen Vater, von dem er nicht viel weiss, der aus seinem Leben entschwand, den er in den Briefen mit „Vatter“ anspricht, als ob in diesem Wort schon das Geräusch einer Backpfeife zu hören wäre. Pommfritz sitzt im Knast, weil er an seinem dreissigsten Geburtstag mit einem Küchenmesser ins verfettete Herz seiner Mutter gestochen hatte, weil er, nachdem sie sich nach der Leichenstarre endlich erweichen liess, mit eben diesem Messer der toten Mutter eine Fingerkuppe abgeschnitten, gebraten und verspeist hatte. Er sitzt im Knast nach einem verkorksten Leben, in dem er sich eigentlich immer nach Nähe und Liebe sehnte, aber jene Liebe nie erhielt oder eben nehmen musste, was zu kriegen war: Kommandos, Schläge und den rauchen Wind einer Welt, in der man sich nehmen musste, weil man nichts geschenkt bekommt.

„Ich habe an die Mutter geglaubt, die für mich die Welt war. Uns siehe, die Welt war öde und leer.“

Lioba Happel «Pommfritz aus der Hölle» edition pudelundpinscher, 136 Seiten, CHF 28.00, ISBN 978-3-906061-25-2

Pommfritz kann sich erst mit dem von ihm inszenierten Tod seiner Mutter von einem Fleisch gewordenen Alptraum befreien. Seine Mutter, die wie ein riesiger Fleischberg in ihrer Wohnung liegt und nicht einmal mehr den Weg auf die Toilette schafft, sich eigentlich nur noch von Grillhühnchen ernährt, die ihr vor die Wohnung geliefert werden, reduzierte ihre Zuwendung einzig auf Kommandos, nachdem ihre Reichweite für Schläge mit den Jahren immer kleiner geworden war. Selbst als Junge muss sein Leben ein schwieriges gewesen sein. Die gut gemeinten Annäherungsversuche der Pitschbauer, seiner Lehrerin, die ihm gar einmal ein Buch von Arthur Rimbaud in die Hand gedrückt hatte, macht er mit seiner lustvollen Boshaftigkeit zunichte.

Das einzige Wesen, das Pommfritz in die Nähe kommt, das einzige, das bedingt Nähe zulässt aber ebenso viel Schmerz austeilt und einstecken muss, ist Lilly, Prügellilly, eine Hure, ebenso Verlorene wie Pomelius Fridericus selbst.

„Ich lernte mit dem Schlag den Sekundenmoment der Berührung herauszufiltern und spürte so was wie Vorfreude, wenn es hiess: Komm her!“

„Pommfritz aus der Hölle“ ist wie ein Sprache gewordenes Bild in der Art von Caravaggio. Es zeigt die dunkle Seite des Menschseins gnadenlos, konfrontiert unmittelbar. „Pommfritz aus der Hölle“ aber als Sozialstudie eines Monsters abzutun, ist nicht, was dieses Buch will. Lioba Happel badet sprachlich in der Welt eines Kaputten. Wäre „Pommfritz aus der Hölle“ ein Theater, würden die ersten ihre Plätze schon nach wenigen Minuten verlassen, weil das Spektakel so gar nicht erbauen will. „Pommfritz aus der Hölle“ will nicht gefallen. Sprache und Geschichte sind so unzugänglich wie ihr Personal, die Geschichte und Lioba Happels Art zu erzählen. Lektüre wird zu Arbeit.

Erstaunlich genug, dass die Jury dieses Buch in die Liste der Nominierten aufnahm. „Pommfritz aus der Hölle“ ist eine Stimme aus den Untiefen menschlicher Existenz. Ein Buch, das einem als Nachttischlektüre in Alpträume begleiten kann. Ein Buch, das einen Kloss im Bauch zurücklassen kann, sperrig, nur schwer verdaulich.

Lioba Happel, geboren 1957, war viele Jahre in Deutschland und der Schweiz im schulischen und sozialen Bereich tätig. Sie hat sowohl Lyrik wie Prosatexte veröffentlicht und erhielt diverse Auszeichnungen, zuletzt den Alice Salomon Poetik Preis 2021. Nach längeren Aufenthalten in England, Irland, Italien und Spanien wohnt sie heute in Berlin und Lausanne.

Illustrationen © leafrei.com