Ian McEwan «Maschinen wie ich», Diogenes

Die Sehnsucht des Menschen nach der perfekten Maschine ist gross, nach einem idealen Gefährten, der das Leben leicht macht, von der Erfindung des Rades bis hin zum Computer. Ian McEwan spinnt den Faden noch viel weiter, gibt dem Menschen eine Eva und einen Adam in die Hände, die wie Menschen sein sollen, aber als humanoide Roboter Maschine bleiben. Ian McEwan tut das mit derart bestechender Meisterschaft und stringenter Konstruktion, dass einem bei der Lektüre durchaus schwindlig werden kann.

Als Mary Shelley Anfang des 19. Jahrhunderts Viktor Frankenstein sein Monster erschaffen liess, war dieses über zwei Meter gross und eine wenig liebliche Erscheinung. Adam, einer von 12 männlichen und 13 weiblichen (Evas) Robotern, ist das genaue Gegenteil, wohl im Labor erschaffen, aber von perfekter Gestalt, käuflich zu erwerben, doch nach den Bedürfnissen der jeweiligen KäuferInnen formbar und alles andere als ein Monster. Adam ist äusserlich kaum von einem Menschen unterscheidbar, es schlägt gar ein Puls in ihm, wenn auch nur nachempfunden. Adam lernt, lernt ungeheuer schnell, vernetzt sich mit allem anderen, was elektronisch passiert und soll der Käuferin und dem Käufer als Android nicht bloss Helfer und Begleiter sein, sondern Gesprächspartner und Freund.

Cover der Originalausgabe bei Jonathan Cape

Charlie, schon seit seiner Kindheit fasziniert von künstlicher Intelligenz, den Möglichkeiten von Computern und Algorithmen und leidlich erfolgreich mit Finanzgeschäften über seinen Computer erfüllt sich seinen Traum und ist einer der exklusiven Käufer dieser neuen Errungenschaft, von der sich der Hersteller und deren Entwickler viel erhoffen. Er lässt sich seinen Adam nach Hause liefern, hievt ihn auf einen Stuhl und lässt ihn aufladen. Und weil sich zwischen ihm und seiner jungen, hübschen Nachbarin Miranda schon länger ein mehr als freundschaftliches Verhältnis anbahnt, entschliesst sich Charlie, die «charakterliche Feinjustierung» zusammen mit ihr vorzunehmen. Adam erwacht und wird zu Charlie und Mirandas gemeinsamen Projekt. Ein Wesen, das sich anfangs nur ganz vorsichtig in Charlies vier Wänden physisch und intellektuell bewegt, das sich aber immer mehr in das Leben der beiden Nachbarn einmischt. Adam macht nicht nur die Küche und faltet Wäsche. Adam kommuniziert, interagiert, stellt Fragen, stellt in Frage, so sehr, dass sich Charlie gezwungen fühlt, einmal den Notfallknopf am Hinterkopf zu drücken und ihn abzuschalten. Eine Aktion, die ihm kein zweites Mal gelingt, denn Adam lernt schnell und zu seinem Lernen gehört schmerzhafte Autonomie.

Ian McEwan genügte es aber nicht, ein Kammerspiel zwischen drei AkteurInnen zu schaffen. «Maschinen wie ich» ist eingebettet in ein Grossbritanien von 1982, von Margrit Thatcher regiert, einem Land, das eben den Falkland-Krieg verloren hatte, eine Welt, die dank der genialen Forschung von Wissenschaftlern wie Alain Turning (den es wirklich gab, den Ian McEwan aber 1954 nicht sterben lassen wollte, den er bis in seine Gegenwart weiterhin an seinen Forschungen arbeiten lässt) Internet, Mobilphones und selbstfahrende Autos längst zur Selbstverständlichkeit machte. McEwan verbindet Fiktion mit Realität so absolut überzeugend, dass spürbar wird, mit welcher Lust der Autor sich wohl immer wieder die Frage stellte, wie es hätte sein können, wenn…

«Die Gegenwart ist ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt. Es hätte anders kommen können.»

Aber selbst das Drama von Personen und erfundener Gegenwart, wachsender Verflechtung der drei Protagonisten, Charlie kommt durch Adams Geschick zu Geld, Adam verliebt sich in Miranda, Miranda schliesst einen Jungen in ihr Herz und britischer Schockstarre nach einem verlorenen Krieg und dessen Auswirkungen auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft genügen dem Autor nicht. Ian McEwan stellt Fragen, Fragen durch das Tun seiner Figuren, denn obwohl die Roboter perfekt zu sein scheinen, gar menschliche Gefühle entwickeln können und ihr Tun im Vergleich zum Menschen mit absoluter Konsequenz verfolgen, begehen die ersten Evas und Adams schon nach kurzer Zeit digitalen Suizid. Was macht Menschlichkeit aus? Sind es die Gefühle oder viel mehr die Fähigkeit Unübersehbares auszublenden? Wo liegt die menschliche Überlegenheit der perfekten Maschine gegenüber wirklich? Beseitigen solche Maschinen die von Menschen angerichteten Probleme wirklich?

Ian McEwan Meisterwerk ist facettenreich, durchsetzt von derart viel Liebe zum Detail, von Fachkenntnis, überraschender Wendungen und kluger Erzählweise, dass die Lektüre trunken macht. Und wenn man die Kadenz seiner Veröffentlichungen, den Tiefgang, mit der der Autor in seine Themen eintaucht und die Leichtigkeit seiner Erzählweise betrachtet, katapultiert das die Bewunderung für diese Buch und das Werk dieses Schriftstellers in schwindelnde Höhen.

«Menschen wie ich» ist viel mehr als ein Roman, der perfekt unterhält!

© Annalena McAfee

Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg «Abbitte» ist jeder seiner Romane ein Bestseller. Zuletzt kamen Verfilmungen von «Am Strand» (mit Saoirse Ronan) und «Kindeswohl» (mit Emma Thompson) in die Kinos. Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences.

Webseite des Autors

Der Übersetzer Bernhard Robben, geb. 1955, lebt in Brunne/Brandenburg und übersetzt aus dem Englischen, u. a. Salman Rushdie, Peter Carey, Ian McEwan, Patricia Highsmith und Philip Roth. 2003 wurde er mit dem Übersetzerpreis der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW ausgezeichnet, 2013 mit dem Ledig-Rowohlt-Preis für sein Lebenswerk geehrt.