Ein Buch von ganz unten: Heinz Strunk «Der goldene Handschuh», Rowohlt

Es war an einer Lesung in Konstanz. Das schwarze Gewölbe war bis auf den letzten Platz besetzt. Auf der Bühne stand ein in schwarzes Tuch gehüllter Tisch, daneben ein Mikrophon, dahinter wohl ein Stuhl. Als der Autor auf der Bühne erschien, blendeten hinter ihm gelbe, orange und rote Scheinwerfer. HeinzPoster20 1 Strunk setzte sich, blickte ins Dunkle und begann zu lesen, aus dem Leben des Frauenmörders Fritz Honka, der die deutschen Zeitungen und Sensationsblätter in den siebziger Jahren zum «Gespenst des Grauens» stilisiert hatten. Nichts wird bei der Geschichte ausgelassen. Honkas Welt zwischen seiner versifften Wohnung und dem «Goldenen Handschuh», der Hamburger Kaschemme, in der sich der ganze Bodensatz der Gesellschaft sammelt, wird über Tage gesoffen, gehurt, gepöbelt und verloren. Heinz Strunk liest tapfer, schnell, undeutlich, nuschelt, was für einen Deutschen authentisch klingen mag, für mich als «Ausländer» anstrengend wird. Nicht nur sprachlich und akustisch, denn als Leser und Zuhörer kippe ich dauernd zwischen Ekel, Verwirrung und Faszination. 150 Recherchegänge in den «Goldenen Handschuh» habe er, Heinz Strunk, gebraucht, um den Ton dieser Menschen zu treffenPoster20 2, was ich ihm glaube, denn selbst in seiner Performance schienen Alkohol, Verwesungsgeruch und Toilettengestank in die Nase zu steigen. Es fällt mir schwer, das Lob gewisser Rezensenten zu teilen, die huldigen, Heinz Strunk sei nun endgültig in der Hochliteratur angekommen. Mit Sicherheit gelingt es dem Autor den Leser mit der Form seines Romans nicht nur Zuschauer werden zu lassen, sondern ihn gleichsam mit in den Abgrund zu ziehen, ständig im Unsichern darüber, ob man sich die Lektüre bis zum Ende antun soll oder nicht. Buch und Lesung werden zum Horrortripp.
Mit Sicherheit ist Hamburg in Zukunft um eine Attraktion reicher. Ist es auch die Literatur? Ich bin gespannt auf eure Meinung! Schreibt sie dazu!

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