Christoph Hein «Gegenlauschangriff», Suhrkamp

2006 kam das Melodram «Das Leben der Anderen» in die Kinos und wurde weit über den Kontinent hinaus ein cineastischer Grosserfolg. Nach zwei Stunden Kino wusste man, wie die DDR 1984 tickte. Dass sich dabei der Regisseur ebenso viele Freiheiten nahm, als hätte er den DDR-Staat verniedlicht, wusste der unbedarfte Kinobesucher gar nicht. Der Schreibende eingeschlossen.

Christoph Hein hat sich zu seinem 75. Geburtstag selbst ein Geschenk geschrieben: «Gegenlauschangriff, Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege. «Eine Autobiographie wollte und will ich nicht schreiben, das hat etwas Eitles«, antwortete Christoph Hein in einem Interview auf die Frage, ob es denn nicht Zeit für eine solche gewesen wäre. Er habe vieles aus seiner eigenen Biographie in seine Romane eingeflochten. «Gegenlauschangriff» sind Meilensteine in seiner schriftstellerischen Biographie, Erlebnisse, die entlarven, was ein System bis zum Zusammenbruch 1989 mit Vehemenz aufrecht zu halten versuchte. Bekannt wurde Christoph Hein nach der Veröffentlichung seiner Novelle «Der fremde Freund», die ein Jahr später in Westdeutschland unter dem Titel «Drachenblut» für Aufsehen sorgte.

Der Regisseur des Streifens «Das Leben der Anderen» traf sich in der Vorbereitung zu einem neuen Film mit dem Schriftsteller Christoph Hein und liess sich lange erzählen, wie das «typische Leben eines typischen Dramatikers in der DDR» ausgesehen habe. Und vier Jahre später dankte der Regisseur Christoph Hein im Abspann des Filmes. Hein schrieb dem Regisseur und bat ihn, seinen Namen aus dem Abspann zu nehmen, eine Bitte, die dieser nur schwer verstehen konnte, für Christoph Hein aber mehr als ein Zeichen zu viel war.
Christoph Hein war einer der «Aufrechten» im Land des «realen Sozialismus», sauber geblieben auch dann, als man nach der Wende die Stasiakten des Autors nach Ungereimtheiten untersuchte. Das Leben eines freien Schriftstellers in der DDR, der sich weder Mund noch Augen binden liess, war ein mühsames, sich zuweilen in skurrilen «Bürokratiesatire» verwickelnde Leidensgeschichte. Was aber ein Regisseur zu Gunsten filmischer Effekte aus dem Leben Christophs Heins machte, ist reine Fiktion und hat mit dem Leben 1984 in der DDR nur sehr, sehr oberflächlich zu tun. Einmal mehr «alternative Fakten»!

Christoph Hein erzählt vom letzten deutsch-deutschen Krieg, einem langen, kalten Krieg, dessen Opferbilanz eine ganz andere ist als die der heissen Kriege. Aber wie immer färbt die Gegenwart die Vergangenheit. Neben dem Vergessen und Verdrängen spielen Nostalgie, Schönfärberei und Naivität der Verfälschung in die Hand. «Gegenlauschangriff» präzisiert, sensibilisiert und mahnt. Erinnerungen, Anekdoten, die bewusst machen, wie viel Zeit vergangen ist, wie weit weg die Geschehnisse damals weggerutscht sind, wie leicht man vergisst und wie sehr uns das Bewusstsein von Geschichte fehlt. «Gegenlauschangriff» ist nie belehrend, höchst unterhaltsam, lehrreich und für jeden Leser des Kosmos Hein erhellend!

© Heike Steinweg/Suhrkamp

Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle «Der fremde Freund / Drachenblut».
Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis.

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Beitragsbild © Sandra Kottonau