„In Zeiten schwindender Buchbesprechungen ist literaturblatt.ch wichtige Orientierungshilfe in der Flut der Neuerscheinungen.“ Christian Haller(7)

Lieber Bär

Vor ein paar Tagen bekam ich per Mail die Mitteilung, dass der SBVV künftig aus Spargründen auf die Buchpreisbegleitung von literaturblatt.ch verzichten will. Man bat mich jeweils um eine Rezension pro Nomination und bezahlte mich mit 500 Franken. Ich nahm die Aufgabe gerne wahr, weil sie mir den direkten Kontakt zu den Nominierten versprach und weil es mir zusammen mit der jungen Illustratoren Lea Le gelang, mein Dutzend Beiträge bestehend aus Buchbesprechungen, Interviews und Kommentaren ganz eigen zu inszenieren, auch wenn wir uns damit die Gage gar noch teilten.

So wartete ich mit Vorfreude auf die alljährliche Anfrage des SBVV, des Organisators der seit 2008 stattfindenden Ausschreibung. Aber nach fünf Jahren und rund 60 Beiträgen ist Schluss. Der SBVV muss sparen und verzichtet auf eine von ihm initiierte Berichterstattung. Ganz im Vertrauen darauf, dass sich die ebenfalls im Sparmodus befindenden Medien mit Freude und Ausdauer mit dem Schweizer Buchpreis auseinandersetzen. Dass sich der Fokus der Öffentlichkeit schon irgendwie und irgendwann auf die fünf Bücher richten wird und der Schweizer Buchhandel getrost auf diese Form der Auseinandersetzung, der Werbung verzichten kann.

Ich bin erstaunt. Nicht zuletzt darüber, dass es der SBVV wahrscheinlich wittert, dass literaturblatt.ch auch ohne Aufforderung über den Schweizer Buchpreis berichten wird. Warum soll man für etwas bezahlen, das auch kostenlos geschieht, wie Sonnenauf- und Untergang. Ich bin erstaunt, dass selbst mein Angebot, auf alle zusätzlichen Spesen zu verzichten, nicht einmal zu einem Gespräch führen konnte. Ich bin erstaunt, dass man mich wie eine Klette abschüttelt.

Aber wahrscheinlich nehme ich mich mit meiner freiwilligen, unaufgeforderten Arbeit viel zu wichtig.

Lieber Bär, soll ich trotzig und kritisch weitermachen oder alle Berichterstattung hinsichtlich des Schweizer Buchpreises tunlichst vermeiden? Was tätest du?

Liebgruss
Gallus

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Lieber Gallus

Das kann doch nicht sein! Entsetzt und traurig bin ich vor allem deshalb, weil dieser Entschluss für unsere Zeit so typisch ist. Qualitativ hochstehende professionelle Buchbesprechungen und Literaturvermittlung sind es offensichtlich im heutigen Literaturbetrieb nicht wert, unterstützt zu werden: Sparen am falschen Ort!

Dass der SBVV, dem der Weg des Buchs vom Druck bis zum Leser im Zentrum stehen sollte, auf deine sowohl von den AutorInnen und den LeserInnen geschätzte wunderbare Arbeit verzichtet, um 500 Franken sparen zu können: für mich völlig unverständlich.

Fundierte Auseinandersetzung und Kritik aus dem «Literaturblatt» haben mir schon manche Perle der aktuellen Literatur nahegebracht. Da ich kaum der Einzige bin, der dies ästimiert, ermuntere ich dich, umso kritischer und mutiger deine Buchpreisbegleitung weiterzuführen.

Ich freue mich auf deine unbezahlbare Schweizer Buchpreisbegleitung 2024!

Herzlich

Bär

«Sparmassnahmen kippen literaturblatt.ch»

literaturblatt.ch begleitet den Schweizer Buchpreis 2023, #SchweizerBuchpreis 23/01

Jedes Jahr im November wird im Theater Basel der Schweizer Buchpreis für das beste erzählerische oder essayistische deutschsprachige Werk von Schweizer oder seit mindestens zwei Jahren in der Schweiz lebenden Autorinnen und Autoren überreicht. Am 13. September gibt der Schweizer Buchhandels- und Verlags-Verband die fünf Nominierten bekannt.

Letztes Jahr war es Kim de l’Horizon mit seinem Debüt «Blutbuch», einem Roman, der die Jury durch seine Sprache, seine Erzählweise aber auch durch seine Offen- und Direktheit überzeugte: «Der Text lässt Erzählkonventionen hinter sich und erzählt auf verblüffend eigenwillige Art eine Familiengeschichte vor dem Hintergrund der aktuellen Gender- und Klassendebatten.» Eine Entscheidung, die nicht zuletzt deshalb zu Diskussionen führte, weil bei den Nominierten mit Thomas Hürlimann und seinem Roman «Der rote Diamant» ein Grosser der deutschsprachigen Literatur stand, der es, gemessen an seinem Werk, sehr wohl verdient hätte, für diesen Roman mit einem grossen, publikumswirksamen Preis ausgezeichnet zu werden.

Nachdem Kim de l’Horizons Roman «Blutbuch» im vergangenen November mit dem Schweizer Buchpreis 2022 ausgezeichnet wurde, schlugen die Wellen regelrecht über dem jungen Autor zusammen. Sinnbildlich dafür die unendlich lange Schlange bei den letzten Solothurner Literaturtagen, als der grösste Saal des Festivals übervoll wurde, weil sowohl Buch wie Autor in aller Munde waren. Der Roman «Blutbuch» verkaufte sich schon vor der Verleihung des Schweizer Buchpreises ausgezeichnet. Kim de l’Horizon gewann mit seinem Buch im gleichen Jahr auch schon den Deutschen Buchpreis, ein Doppelerfolg, der erst Melinda Nadj Abonji 2010 mit dem Roman «Tauben fliegen auf» verbuchen konnte. Mit den beiden Preisen schlugen die Verkaufszahlen, zumindest für Schweizer Verhältnisse, durch die Decke.

Literaturpreise gibt es viele. Es gibt zwei Kategorien; jene, die ein Buch alleine auszeichnen und jene, die das Werk einer Schriftstellerin oder eines Schriftstellers auszeichnen. Preise sind wichtig, denn sie schenken nicht nur Aufmerksamkeit, sondern ermöglichen mit der Preissumme eine gewisse Zeit des Schreibens ohne wirtschaftliche Sorgen. Aber Preise sind letztlich immer der Entscheidung einer Jury unterworfen, die Vorlieben und Präferenzen unmöglich blockieren kann. Und sehe ich die Listen der Preise gewisser Autorinnen und Autoren durch, kann ich mich nicht gegen den Eindruck wehren, dass gewisse Preise weitere Preise regelrecht provozieren.

Nun denn. Der Schweizer Buchpreis prämiert das beste «Schweizer» Buch. Eine heere Absicht, der niemals und in keiner Weise entsprochen werden kann. Das eine Buch, das man im November auf den Sockel hieven wird, ist jenes Buch, das den Konsens in der Jury traf, das den Bedürfnissen des Schweizer Buchhandels in Sachen Qualität, Lesbarkeit und Verkäuflichkeit am meisten dient. 
Im vergangenen Jahr war mit «Pommfritz aus der Hölle» von Lioba Happel ein äusserst spannendes Buch unter den fünf Nominierten. Ein Buch, dass durch seine Radikalität, seine Eigenwilligkeit und Sprachkunst überzeugte. Aber das Buch war und ist keines, das man der alt gewordenen Mutter unter den Christbaum legt. Nicht mal meine Söhne hätten es gelesen. Nicht weil sie Anspruchsvolles grundsätzlich verschmähen. Aber die meisten lesen doch, weil sie unterhalten werden wollen.

Am 13. September werden wieder fünf nominierte Bücher präsentiert. Ganz viele Bücher, die es wert gewesen wären, werden fehlen, wie immer, jedes Jahr. Ganz viele Verlage und noch mehr Autorinnen und Autoren werden sich die Augen reiben. Die einen, weil sie nie und nimmer damit gerechnet hätten bei den fünf Nominierten zu sein, die anderen, weil ihre Namen schlicht fehlen auf der kurzen Liste. Und ein paar wenige werden gar beleidigt sein, weil man sie (wieder) nicht berücksichtigte.
Auch bei den Lesenden wird es viele geben, die die Nase rümpfen oder verkünden, die Liste ginge sang- und klanglos an ihnen vorbei.

Ob dem so ist oder nicht, es werden fünf spannende Bücher sein mit fünf spannenden Namen und Geschichten dahinter. Ich freue mich darauf, auch wenn es eigentlich unmöglich ist, fünf Bücher in einem Wettbewerb ohne transparente Kriterien gegeneinander antreten zu lassen.

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