Petra Pellini «Der Bademeister ohne Himmel», Rowohlt

Romane über Demenz oder Alzheimer sind kein leichtes Terrain. Und doch gelingt es der Literatur immer wieder, dieser Erkrankung nicht nur mit viel Verständnis und Respekt zu begegnen, sondern auch mit Humor. Der Vorarlbergerin Petra Pellini gelingt es ausnehmend gut, mit Humor über einen Zustand zu berichten, der den Schrecken nicht nimmt, aber so viel Empathie zeigt, dass man sich vor dem Feingefühl der Schriftstellerin verbeugt.

Linda, das Mädchen, das erzählt, ist fünfzehn. Schon auf der ersten Seite des Romans droht sie, sich vor ein fahrendes Auto zu werfen. Linda braucht Hilfe. Und Linda bekommt Hilfe. Nur nicht von dort, wo Hilfe herkommen müsste. Nicht von ihrer Mutter, schon gar nicht von deren neuem Freund Jürgen, dem Bestatter, und auch nicht von ihren Freundinnen. Aber von Hubert und Kevin. Hubert ist ihr Nachbar, pensionierter Bademeister aber in fortgeschrittenem Stadium an Demenz erkrankt. Dass ihm in den vierzig Jahren Bademeister nicht einmal ein Kind ertrunken ist, trägt Hubert wie einen Orden mit sich. Aber dass seine Frau Rosalie vor fast zehn Jahren gestorben ist und vom Einkaufen nicht mehr nach Hause kommt, das hat Hubert vergessen.

Linda hat sich von Huberts Tochter überreden lassen, dreimal die Woche auf Hubert aufzupassen, nachbarschaftliche Hilfe. Huberts Tochter hat dafür keine Zeit, wohnt zu weit weg. Auch zur Entlastung der polnischen Haushaltshilfe Ewa, die das Tun und Lassen ihres Patienten immer wieder mit Skepsis und einer ordentlichen Portion Unverstand kommentiert, zwar tatkräftig zupackt, aber lieber die Augen verschliesst, wenn Hubert von seiner Krankheit ins Abseits gestellt wird. Wenn er Karotten toastet und sich mit der Zahnbürste die Haare kämmen will. Linda begegnet Hubert unvoreingenommen. Hubert ist nicht jener, der er einmal war, wie für seine Tochter. Hubert ist für Linda der, der er ist.

Aus mir soll etwas werden, dabei interessiert niemanden, wer ich wirklich bin.

Petra Pellini «Der Bademeister ohne Himmel», Kindler, 2024, 320 Seiten, CHF ca. 33.90, ISBN: 978-3-463-00068-8

Kevin, mit dem sie sich manchmal trifft, ist wie Linda des öftern in seiner Ausweglosigkeit gefangen. Nicht nur, dass er als Nerd viel lieber in seiner abgedunkelten Höhle zuhause vor seinen Bildschirmen sitzt. Kevin sieht wenig Hoffnung für eine Welt, die längst aus den Fügen geraten ist, die irgendwann droht, die Menschheit dafür zu bestrafen. Hubert, Linda und Kevin, ein Dreigespann, dass sich lieber nicht allzu sehr mit der Zukunft beschäftigt, das genug mit sich selbst zu tun hat, das alleine gelassen wird.

Zwischen Hubert und Linda entwickelt sich eine ganz eigene Freundschaft, eine Beziehung, in der man sich weniger offenbart als in seinem Gegenüber vertraut fühlt. Zusammen mit Ewa, zu der Linda viel leichter einen Zugang findet als zu ihrer eigenen Mutter oder gar zu ihrem neuen Freund, einem weiteren in einer langen Reihe, helfen sie Hubert, sich zurechtzufinden, sei es durch den Duft aus der Küche oder ganz eigene „Spiele“, die Linda für Hubert inszeniert, Spiele, die für Hubert zu seiner Welt werden. 

Nicht nur weil Ewa für ein paar Tage weg muss und eine hygienebesessene Aushilfe Huberts Pflege übernehmen soll, beginnen sich die Ereignisse um Hubert zu überstürzen. Linda spürt, dass etwas unwiederbringlich verloren geht, dass sich eine Vertrautheit und ein Stück Zuhause mit zunehmender Demenz verabschiedet.

«Hubert bist du zuhause?“, frage ich ihn und klopfe ihm auf die Schulter.

Nicht nur dass Petra Pellini als Pflegefachfrau genau weiss, wovon sie schreibt und was fortschreitende Demenz für alle Betroffenen bedeutet, die Autorin erzählt mit ungeheurer Leichtigkeit und grösstmöglichem Einfühlungsvermögen. Nicht dass sie der Krankheit den Schrecken nimmt, aber durch die Erzählperspektive einer 15jährigen, die in einer Mischung aus kindlicher Naivität und erwachsener Fürsoge instinktiv zu verstehen scheint, was ein alter Mann, der sich in seiner alten Welt mehr und mehr verliert, sucht und braucht. Gleichzeitig liegt in ihrem Erzählen so viel Leichtigkeit, Witz, Humor und Lebensweisheit, dass man sich mit der Lektüre bis zur letzten Seite diesem schleichenden Schrecken gerne aussetzt.

Petra Pellini, geboren 1970 in Vorarlberg, lebt und arbeitet in Bregenz. Sie war lange in der Pflege demenzkranker Menschen tätig. Für einen Auszug aus ihrem Roman «Der Bademeister ohne Himmel» wurde sie 2021 mit dem Vorarlberger Literaturpreis ausgezeichnet.

Petra Pellini liest am 15. Januar im Literaturhaus St. Gallen und am 16. Januar im Literaturhaus Thurgau!

Beitragsbild © Nina Bröll