Mischa Kopmann «Haus in Flammen», Osburg

„Haus in Flammen“ ist keine Unterhaltungsliteratur. Schon „Erbauungsliteratur“ passt nicht, „Betroffenheitsliteratur“ auch nicht. „Haus in Flammen“ von Mischa Kopmann ist in gewisser Weise eine Kampfschrift. Sie erzählt von der Verzweiflung all jener, die sich an Strassen kleben, Häfen blockieren und Brücken besetzen. Von jungen Menschen, bei denen die Verzweiflung längst in Aggression gekippt ist. Aggression als einziger Weg.

2010 veröffentlichte die UN einen Bericht, der zum Schluss kommt, dass wir kurz vor dem sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte stehen und dass dieses Massenaussterben das erste der Erdgeschichte sein wird, das der Mensch zu verantworten hat. Seit diesem Bericht ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen und nicht einmal die 2015 verbindlich gesprochenen Ziele des Pariser Klimagipfels scheinen in erreichbarer Nähe. Erstaunlich genug, dass sich die Literatur nur sehr zaghaft mit diesem Thema auseinandersetzt, zählt man all jene Dystopien nicht dazu, die sich mit einem möglichen Danach beschäftigen. So ratlos sich die Politik gebärdet, stets mit der Angst vor schwindender Unterstützung im Hinblick auf nächste Wahlen, so ratlos gibt sich die Kultur, die Literatur. Wer will schon jenen Moment vor dem Einschlafen, wo man den Tag mit ein paar Seiten in einem Buch versüssen will, mit einem Alp vergiften?

Mischa Kopmann «Haus in Flammen», Osburg, 2022, 160 Seiten, CHF 30.90, ISBN 978-3-95510-274-6

Der Autor Mischa Kopmann ist Familienvater. Wer in der Gegenwart Mutter oder Vater von kleinen Kindern ist, muss sich mit einer Gegenwart auseinandersetzen, die sich blauäugigem Optimismus verschliesst, vorausgesetzt man stellt sich Fragen, liest die Zeit (damit meine ich nicht zwingend die entsprechende Zeitung) und sieht sein Leben nicht als Gang durch einen Supermarkt. Was wird bleiben, wenn unsere Kinder erwachsen geworden sind? Welche Schreckensszenarien, wie jener UN-Bericht von 2010, werden das Leben in der Zukunft überhaupt noch lebenswert lassen? Man kann die Wut und Verzweiflung der radikalen KlimakämpferInnen durchaus nachvollziehen, auch wenn die Methoden, die Öffentlichkeit von der Dringlichkeit einer Kurskorrektur zu überzeugen, mehr als fraglich sind.

Lias Thaden erzählt in „Haus in Flammen“ die Geschichte von Freundschaft und Liebe, Verzweiflung und Angst. Von Minnigk, Yvette und ihm, einer Menage à trois, die kein gutes Ende finden wird. Alle drei sind jung, um die zwanzig. Lias immer wieder umgezogen, weil der Vater ein hohes Tier bei der Bundeswehr ist, Minnigk locker und eloquent, blitzgescheit, ein Überflieger und Yvette, die Schöne, Tapfere, Unnahbare, Geheimnisvolle. Schule ist längst zur Nebensache geworden, denn was die drei unablässig auf Trab hält, alles mitreisst und unausweichlich ist, ist eine Gegenwart, die keiner Zukunft mehr Platz lässt, eine Zivilisation, die blind auf einen Abgrund zusteuert. Irgendwann mischt sich in die pazifistischen Ziele derart viel Verzweiflung und Aussichtslosigkeit, dass die drei die DLB, die Dead Loss Brigade gründen, einen gut organisierten Haufen, der sich längst nicht mehr mit Nadelstichen begnügt, eine immer stärker werdende Gruppe von eigentlichen Ökoterroristen, deren einziges Argument die Gewalt ist.

So sehr sich die drei immer mehr im Strudel der Gewalt verlieren, so sehr entzieht es den dreien den Boden ihrer gegenseitigen Freundschaft. Lias liebt Yvette, die einzige. Und Yvette liebt Minnigk und Lias. Sie ziehen sogar in eine gemeinsame Wohnung, bis die Nähe für Lias unerträglich wird, genauso unerträglich wie die sich abzeichnende letzte Katastrophe in ihrem Kampf gegen die Stur- und Trägheit der Menschen.
Lias erzählt den Weg dieser Katastrophe, die ihm alles wegnehmen wird, seinen Freund Minnigk, seine Liebe Yvette und den Glauben, irgend ein Kampf wäre zu gewinnen.

Zugegeben, Mischa Kopmanns Roman streichelt auf keiner Seite. Alles läuft aus dem Ruder, alles. In vielen der sprachlich eingedickten Szenen, wird die Verzweiflung schmerzlich spürbar. Viele Szenen erinnern an Theaterszenen, an ProtagonistInnen, die sich nichts schenken, die sich förmlich aufreissen, um in einem letzten Akt der Verzweiflung Resonanz zu erreichen.
Vielleicht ist ein solches Buch der verzweifelte Versuch eines Familienvaters, seinen Kindern auch in Zukunft vor die Augen treten zu können. So wie die Kinder all jener die während der Gewaltherrschaft von Diktaturen Augen, Ohren und Münder schlossen, ihren Eltern später Fragen stellen. Unsere Kinder werden wieder fragen. Zum Beispiel warum wir nicht trotz Warnungen wie jener im UN-Bericht von 2010 umschwenkten.

„Haus in Flammen“ ist weit mehr als Ökoliteratur. Mit Sicherheit ein literarischer Höllentripp.

Interview

Unser Haus steht tatsächlich in Flammen, der ganze Planet. Besteht nicht die Gefahr, dass genau jene Leserinnen und Leser, die sich noch immer weigern, die Zeichen der Zeit lesen zu wollen, ein Buch wie das ihrige weglegen?
Ganz sicher wäre das so – sofern man sich der Illusion hingeben mag, dass eben diese Leserinnen und Leser mein Buch erst einmal in die Hand nähmen. Literatur ist in den seltensten Fällen Angelegenheit einer breiten Masse und somit fast immer elitär. Würde ich ernsthaft über mein etwaiges Lesepublikum nachdenken, könnte ich nicht die Bücher schreiben, die ich schreibe. Entscheidend, daran glaube ich fest, im Leben wie in der Literatur, ist nicht die Anzahl an Verkäufen, sondern der kulturelle Impact: Bewege ich mit meinem Buch Herzen, verändere ich etwas und etwas verändert sich.

Sie leben mit Ihrer Familie in Hamburg. Mag sein, dass man dort vom Geist der Fridays-for-Future-Bewegung etwas mitbekommt. Ich wohne in einem 14000-Seelen-Dorf, umgeben von satten Wiesen und Wäldern und spüre davon rein gar nichts. Im Gegenteil, hier fahren Baseballkapies mit ihren getunten Spielzeugen am Bahnhof vorbei und die Eingänge zu Schulhäusern sind nach einem Wochenende total vermüllt.
Ich neige zu einer pessimistischen Sicht in die Zukunft. Und Sie? Ich sehe mein Buch als ein Werk der Desillusionierung. Mitunter muss ich aufpassen, dass ich die Welt, die mich umgibt nicht als post-apokalyptisch geisterhaft erlebe. Unsere Regierung bezeichnet den aktuellen Klimabericht als «flammendes Dokument einer brennenden Welt». Da wir es seit Jahrzehnten gewöhnt sind, lediglich an den Symptomen eines Problems herumzudoktorn, weil es zu schmerzhaft, unbequem und nicht wirklich karrierefördernd ist, sich ernsthaft an den Ursachen abzuarbeiten, ist meine Sicht auf die Zukunft realistischerweise nicht sehr optimistisch.

Yvette, Minnigk und Lias sind Archetypen der Auseinandersetzung. Eine Visionärin, ein Radikaler und ein stiller Unterstützer. Ist es Zufall, dass die Visionärin weiblich ist? Oder trügt der Eindruck, dass die Rollen der Denkenden und Lenkenden mehrheitlich nicht in männlicher Hand sind?
Ich bin mir nicht sicher, ob Yvette tatsächlich visionärer denkt als Minnigk und Lias. Was sie von den beiden unterscheidet, ist der absolute Ernst, mit dem sie ihren Kampf ausficht. Ganz im Gegensatz zu Lias, wird ihr das Politische jedoch zunehmend wichtiger als das Persönliche – was wiederum vielleicht auch einem ganz persönlichen Motiv geschuldet sein mag. Und vergessen wir nicht: Alles, was über die Figuren (und somit auch über Yvette) gesagt wird, unterliegt der schmerzhaft gebrochenen, nach und nach versagenden Stimme eines nicht unbedingt verlässlichen Erzählers.

Sie sind Vater von Kindern. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass ihre Kinder Sie irgendwann fragen werden, warum man damals nicht handelte, als es noch möglich war. Ich bin Vater von fünf Kindern. Im Nachhinein staune ich über meinen naiven Mut und die Tatsache, dass keines meiner Kinder meine Vergangenheit in Frage stellt. Ein bisschen Sorge?
Ich sehe meine Aufgabe, meinen Kindern (und Mitmenschen insgesamt) gegenüber darin, so authentisch, offen und zugewandt zu sein wie nur möglich. Ohne dabei den Humor zu verlieren. Ich glaube, darin liegt unsere eigentliche Bestimmung: Uns zu erkennen und zu erneuern, an jedem einzelnen Tag. Die sprichwörtliche Veränderung zu sein, die man in der Welt sehen will. Jede Veränderung im Kleinen bedeutet auch eine im Grossen.

Sie schreiben von der „explosiven Mischung Wut“. Das spürt, liest und sieht man überall. Nicht nur bei Fussballspielen, Demonstrationen, überall dort wo viele Menschen zusammenkommen. Warum habe ich das Gefühl, dass diese zerstörerische Kraft förmlich darauf wartet, bis sie sich der Kontrolle entziehen kann oder bis das filigrane Gefüge einer funktionierenden Gesellschaft zu wanken beginnt?
Alles bleibt solange in einer vermeintlich sicheren Schwebe bis das filigrane Gefüge, von dem sie sprechen, solche Risse bekommt, dass es zerbricht. Dies gilt für die Natur wie für die Menschheit: Solange es den Eliten gelingt, das soziale Ungleichgewicht nicht zu gross werden zu lassen, solange die Natur nicht solche Schäden heraufbeschwört, dass der soziale Frieden nachhaltig gestört wird, geht alles seinen gewohnten Gang. Seit einigen Jahren erleben wir jedoch, dass unser Alltag zunehmend Störungen unterliegt. Eine Gesellschaft, die es als ihr Recht ansieht, in sicherem Wohlstand zu leben, ist durch nichts darauf vorbereitet, wenn beide Faktoren, eng aneinander geknüpft, ihren explosiven Point of no Return erreichen.

Ist Ihr Schreiben Ihr ganz persönlicher „Kampf“?
Dieses Buch hat mir geholfen, meine Wut, meine Angst, meine Ohnmacht zu überwinden. Es gilt also im besten Sinne das Credo: Besser ich schreibe über Menschen, die Autos anzünden und Fast-Food-Ketten-Fillialen in die Luft jagen, als selbst damit anzufangen.

Mischa Kopmann wurde Ende der sechziger Jahre in einer Kleinstadt in der Südheide geboren. Um die Milleniumswende gewann er einige Literaturpreise (u. a. Allegra Kurzgeschichten Preis, Walter-Serner-Preis), unterbrach dann jedoch sein literarisches Schaffen, um seine zwei Kinder grosszuziehen. Im Februar 2017 erschien bei Osburg sein Debütroman «Aquariumtrinker», 2019 die «Dorfidioten». Der Autor lebt in Hamburg.

Beitragsbild © Kathrin Brunnhofer

Felix Schmidt «Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte», Osburg

Felix Schmidt erzählt in „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ aus einer südbadischen Kleinstadt am Rhein. Ein Vater kehrt schon im ersten Kriegsjahr verwundet an Körper, Geist und Seele zurück nach Hause. Aus seiner tiefen Abneigung gegen das NS-Regime macht dieser keinen Hehl, zuhause nicht, auch in der Wirtsstube nicht. Eine Frage der Zeit bis es zur Konfrontation ohne Ausweg kommen wird!

Als im Mai 1945 in Deutschland der Weltkrieg für beendet erklärt wurde, liess sich die Gesinnung eines Kollektivs nicht mit einem Mal von einem Zustand in einen völlig anderen kippen. Wer während mehr als einem Jahrzehnt an ein Tausendjähriges Reich, an die Vorherrschaft einer arischen Rasse und die moralische Verpflichtung glaubte, alles Minderwertige vernichten zu müssen, der konnte sich nicht einfach umpolen, auch wenn Fahnen und Uniformen hastig verbrannt und anstelle der Führerbilder in Wohnungen und Amtsstuben wieder Kreuze aufgehängt wurden. Wie hätte das möglich sein können, eine zur trotzigen Überzeugung gewordene Gesinnung von einem Tag auf den anderen zu löschen, wo man sich doch selbst in den letzten Monaten des Krieges mit weltfremden Durchhalteparolen und dem Glauben an die alles entscheidende Wunderwaffe am erlösenden Endsieg festhielt? Wie hätten es die Siegermächte fertig bringen sollen, in den zerbombten Städten eine zivile Verwaltung einzurichten, wenn man nicht auf jene Kräfte zurückgreifen konnte, die sich unter der Hakenkreuzfahne zu profilieren wussten? Zwar kam es nach dem Ende des Krieges in Nürnberg zu Kriegsverbrecherprozessen. Grosse Namen wie Göring, Hess oder von Ribbentrop wurden hingerichtet oder zu jahrzehntelangen Strafen verurteilt, wenn sie sich nicht feige durch einen Selbstmord der Verantwortung entzogen. Aber viele jener, die sich in den Zeiten des Nationalsozialismus in Städten, Kommunen, in Lagern oder Sonderkommandos schuldig machten, tauchten unter, flohen ins Ausland oder machten in der Nachkriegszeit munter anderorts Karriere.

Fels Schmidt «Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte», Osburg, 2022, 160 Seiten, CHF 32.90, ISBN 978-3-95510-275-3

Felix Schmidt erzählt in seinem Roman „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ aus dem Leben einer ganzen Generation. Mit Jahrgang 33 war Felix Schmidt 12, als die Kapitulation ausgerufen wurde. Felix Schmidt schreibt aus der Perspektive einer Generation, die mehr und mehr wegstirbt. Die Täter von damals sind fast alle tot. Die Opfer von damals erreichen biblisches Alter. Sicher, die Opfer von damals waren Juden, Jenische, Eingeschränkte, Andersdenkende. Aber das Opfer von damals war auch eine Gesellschaft in Geiselhaft, all jene, die sich gegen völkisches Gehabe, gegen Diktatur und Willkür wenn nicht wehrten, dann zumindest leise aufbegehrten. Felix Schmidt erzählt eine solche Vatergeschichte. Keine Heldengeschichte, denn letztlich ist sein Vater nach dem Krieg an den Langzeitfolgen seines Widerstands gestorben. Aber mit seinem Roman erzählt Felix Schmidt die Geschichte jener Kinder, die während des Krieges gross wurden, die mit Faszination den Aufmärschen mit Uniformen, Liedern und strammer Marschmusik folgten, die sich einwickeln und umgarnen liessen und wie der Protagonist im Roman zuhause zwischen die Fronten gerieten; zwischen Führerverehrung und Tischgebet, zwischen Stolz und Mitgefühl, zwischen völkische Gemeinschaft und trotzige Menschlichkeit.

„Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ ist weder Heldengeschichte noch Erklärungsversuch. Genau das macht dieses Buch lesenswert. Felix Schmidt versucht noch immer zu verstehen. Nicht zuletzt seinen Vater, der sich sein Wort nie verbieten, der sich nicht einwickeln liess und nur durch Glück der gut organisierten Maschinerie des Tötens entkam. „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ ist die Geschichte eines Mannes, der einen hohen Preis zu zahlen hatte, dem niemand einen Orden verlieh, dem niemand dankte, schon gar nicht das Leben.

So wie wir es in der Gegenwart wieder erleben müssen, dass in Europa ein aggressiver Vernichtungkrieg geführt wird, so werden wir es auch wieder erleben müssen, dass Kriegsgewinnler Kapital aus dem Verderben anderer schlagen werden, dass niemals alle zur Verantwortung gezogen werden können, dass sich die einen geschickt einer solchen entziehen werden und all jene, die mit dem Leben, mit ihrer Existenz, mit einem lebenslangen Trauma zu bezahlen haben, letztlich alleine gelassen werden. 

„Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ ist ein wichtiges Zeitdokument und schlägt Brücken in die Gegenwart.

Felix Schmidt, geboren 1934, gehört zu den einflussreichsten Journalisten Deutschlands . Als Ressortleiter Kultur des Spiegel, als Chefredakteur der Welt am Sonntag und des Stern sowie als Programmdirektor des Südwestfunks prägte er das publizistische Leben seit den 1970er-Jahren in Deutschland mit. Er war unter anderem Produzent der ersten deutschen politischen Talksendung Talk im Turm und hat die ZDF-Sendung Das Philosophische Quartett ins Leben gerufen. Für sein Buch über die Geschichte des französischen Chansons ist er mit dem französischen Kulturorden Chevalier des Arts et des Lettres ausgezeichnet worden.

© Nele Martensen