Lieber Wolf Haas

Ich lief in Zürich der Limmat entlang und sah in Eile diesen Mann, den ich kannte. Ich war schon ein paar Schritte weiter, als es mir in die Erinnerung schoss. Das waren Sie, Wolf Haas, von dem ich eben ein weiteres Buch gelesen, über den ich mich gerade eben im Zug mit einem Freund unterhalten hatte. Ich ging die paar Schritte zurück und schaute durch die grosse Fensterfront. Sie sassen in einem tiefen Sessel, schauten in ihr Mobilephone. Auf dem Tischchen vor ihnen stand ein halb volles Glas Fruchtsaft. Oder zumindest sah es alkoholfrei aus. Ich zögerte einen Augenblick, entschied aber, dass es keiner dieser endlos vielen Augenblicke werden sollte, die ich in meinem Leben unter dem Titel „Ich hätte es tun sollen“ abbuche. Ich betrat das Lokal, überhörte den Gruss der jungen Frau hinter der Theke und stellte mich vor Sie. Ich grüsste Sie mit Namen, wollte die Reaktion prüfen, meine letzten Zweifel beseitigen, sieht doch jemand, den man sonst nur aus Interviews auf dem Bildschirm oder aus Reihe 28 bei einer Lesung in einem riesigen Saal kennt, in der eigenen Realität entscheidend anders aus. Sie hoben den Kopf, grüssten zurück und ich sagte meine Sätze, wie sehr ich ihr Buch mag, wie sehr ich ihr Schreiben bewundere und wie tief ich mich vor ihnen verneige. Sie lächelten, nahmen die Huldigung wie einer entgegen, der sich noch immer wirklich freut, was wiederum mich freute. Ich zog mich wieder zurück, liess sie wieder allein in Zürich an der Limmat, bei einem Fruchtsaft und ihrer Verbindung in den Äther.
Ich war unterwegs ins Literaturhaus, ein paar Blocks weiter. Delphine de Vignan las. Jetzt im Nachhinein frage ich mich, was geworden wäre, wenn ich noch ein paar Bissen Mut mehr gehabt hätte, wenn ich sie frech gefragt hätte, ob ich mich für ein paar Minuten hätte zu ihnen setzen dürfen. Ich tat es nicht, das war gut. Sie schenkten wir einen Blick, ihre Überraschung und ihre Freude. Und einen Augenblick, den ich wohl noch einige Male erzählen und ausschmücken werde, bis er eine Erinnerung wird, jener Moment, als ich Wolf Haas in Zürich traf.

Lieber Herr Frei-Tomic,
vielen Dank für Ihre Nachricht an Wolf Haas, die wir dem Autor weitergeleitet haben. Herzliche Grüße, der Verlag

Lieber Wolf Haas,
«Junger Mann» ist, was man von einem Haas erwartet. Er muss etwas anders sein, als alles andere, was man liest; der Schauplatz normaler, der Witz direkter,  die Pointen schlagender, das Personal in seiner Art so bieder, dass es einem im Kleid der 70er Jahre schon wieder schräg erscheint. «Junger Mann» ist ein echter Haas; mit Schalk erzählt, so gekonnt konstruiert, als würden Sie einfach bloss aus Ihrem Leben erzählen. Ein Buch, das nach seiner Verfilmung schreit, das im besten Sinn unterhält, ohne nie auch nur einen Hauch Oberflächlichkeit zu verströmen.

Ein Junge wächst auf, wo die High Society ihre Ruhe in grossen Häusern sucht und alle andern sonst nur weg wollen. Und wer es nicht schafft, hofft auf die Wende nach der Ausbildung oder das Geschäft mit denen, die in den Ferien in den grossen Häusern leben. Der Junge macht einen Ferienjob an der Tankstelle, nach einem Beinbruch von allzu viel tröstender Schokolade aufgequollenen einen orangen Overall gezwängt. «Danke Fräulein», piesackt man ihn. So wie Tscho in seinem Truck, wenn der Junge auftankt und das Insektenmassaker von der Frontscheibe putzt. Tschö hat eine Freundin, eine Frau, Elsa, die dem Jungen nach winterlichem Frontscheibenkratzen wie eine Erscheinung unauslöschlich ins Herz schiesst. Aber er, der Junge, von dem Sie, Herr Haas, bei Interviews verraten, dass einiges von Ihnen in der Geschichte steckt, in seiner Speckhülle vom Glück abgetrennt, bleibt weggeschlossen, irgendwie vom Leben abgetrennt. Also beginnt er zu fasten. Und so wie die Kilos schwinden, nimmt ihn das Leben im Dorf immer mehr mit, bis ihn Tscho heisst, in den Truck zu steigen. Er brauche ihn, den Gescheiten, als Dolmetscher. So wird der zweite Teil Ihres Romans ein Roadtripp. Tscho braucht seinen Begleiter aber nicht, um an der Grenze zu dolmetschen. Der Junge soll aber durchaus vermitteln, schlussendlich sogar mit einer Knarre in der Hand.

Lieber Herr Haas, Sie erzählen Geschichten, die anrühren, ohne je kitschig zu sein. Mit Ihrer unverwechselbaren Art des Humors entgehen Sie allen Untiefen der Rührseligkeit. Wer «Junger Mann» gelesen hat, mag Sie noch mehr als zuvor, denn Sie schneiden nie auf, nie. Auch nicht, wenn Sie vor vollem Saal hunderte von Begeisterten verzücken.

Wolf Haas wurde 1960 in Maria Alm am Steinernen Meer geboren. Seine Brenner-Krimis erschienen ab 1996 in acht Bänden, zuletzt «Brennerova» (2014). Der Roman «Das Wetter vor 15 Jahren» erschien 2006, «Verteidigung der Missionarsstellung» 2012 bei Hoffmann und Campe. Wolf Haas lebt in Wien.

Beitragsbild © Josef Perndl