„Ewig Sommer“ ist nicht einfach ein Sommerbuch. Dafür ist der Stoff zu heiss, die Geschichte zu brenzlig, die Atmosphäre zu fiebrig. Franziska Gänslers Roman in die Ecke der düsteren Dystopien zu schieben, ist ebenso falsch. Der Bandgeruch hängt schon zu lange in der Luft.
Liest man einen Romane, in dem Endzeithitze flimmert in einem Sommer wie heuer, dann kann die Lektüre eines Romans doppelt beklemmend werden. „Ewig Sommer“, das Debüt von Franziska Gänsler ist so ein Buch. Endzeithitze darum, weil ein nicht enden wollender Sommer wie eine starre Glocke über dem Land hängt, Brandgeruch von den nahen Wäldern in der Luft, Durchsagen der Polizei, die Häuser nur in Ausnahmesituationen zu verlassen. Endzeithitze darum, weil nicht nur Deutschland unter den immer heisser und trockener werdenden Sommern ächzt und unleugbar ist, dass flockig-locker-heitere Sommer endgültig Vergangenheit sind.
In einem einsam gewordenen Hotel im einstigen Kurort, in dem Messen stattfanden und eine ganze Reihe von Hotels ihre Gäste empfingen, steigt völlig unerwartet eine junge Frau mit ihrer kleinen Tochter ab. Für Iris, die Besitzerin des letzten noch offenen Hotels, eine Überraschung. Nicht nur, weil sich der Ring der grossflächigen, nicht mehr zu zähmenden Waldbränden immer enger um den Ort schnürt, Niederschläge nicht in Sicht und Evakuierungen geplant sind, sondern weil die beiden Gäste fast lautlos in ihrem Zimmer verschwinden und Iris Raum lassen für Spekulationen. Was tut eine Frau mit ihrem Kind an einem Ort, von dem andere nur noch weg wollen, von wo die letzten Kinder schon längst abgezogen wurden und es nur noch eine Frage der Zeit sein kann, bis die Glut überspringt?
Iris ist geblieben, weil das Hotel das einzige ist, was sie von ihrem Leben behalten konnte, ihrer Familie, ihrer Vergangenheit. Iris ist alleine geblieben. Und dass nun alle wegziehen, evakuiert werden, passt zu ihrem Leben, in dem Leerräume immer grösser werden. Nur Baby ist geblieben, mittlerweile alt geworden, im Haus neben dem Hotel. Manchmal sitzen sie zusammen, rauchen, trinken, erzählen gegen die Hitze, die in Schwaden durch den Ort zieht. Franziska Gänsler schreibt sich förmlich in die Hitze hinein, dieses Heisse, dem alle Zukunft genommen, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.
In diese Hitze taucht die junge Frau mit ihrem Kind auf, Dori und Ilya. Erst mit der Zeit offenbaren sich kleine Einsichten in das Leben der jungen Frau, lassen sich Zeichen lesen, Hinweise interpretieren. Dori ist auf der Flucht vor ihrem Mann. Dori ist auf der Flucht vor ihrem Leben. Dori versteckt sich, will um keinen Preis, dass das alte Leben sie einholt. Iris und Dori kommen sich näher, weil die Hitze sie immer näher aneinander drängt, weil Dori irgendwann mit ihrer Tochter in den Gemeinschaftraum zieht, ihr Schlaflager dort einrichtet, zwischen feuchten Laken, mit Sicht auf den Wald, der im orangen Licht flimmert.
Später stranden auch noch zwei junge Frauen im Hotel, Verirrte, die nach einem Unterschlupf suchen, Cleo und Lou. Sechs Frauen und ein Mädchen. Während draussen die Luft kaum mehr zum Atmen ist, hören sie drinnen die Musik alter Schallplatten, tanzen und trinken, während sich die Zeichen häufen, dass bei Dori mehr als nur der Rückweg verbaut ist. Iris’ Auto wird ungefragt gebraucht, Dori verschwindet zeitweise, ihr Mann ruft an, weil er erfahren hat, dass Dori im Ort sein muss, im letzten Hotel. Und als auch die kleine Ilya verschwindet, wird das heisse Inferno zur drohenden Katastrophe.
Franziska Gänslers Debüt ist atemraubend. Nicht nur, weil sie sich meisterhaft in die Szenerie dieser Sommergluthitze hineinschreibt, sondern weil sie einerseits subtil mit den verschiedenen Dramen ihrer Konstellation spielt und andererseits klug konstruiert, was sich wie ein Thriller liest. Die Temperatur steigt auch während des Lesens. Sechs Frauen und ein Kind schnappen nach Luft, ich als begeisterter Leser schnappe nach Luft. Ich verfange mich selbst in Vermutungen und Interpretationen, ganz und gar nicht die Autorin, die mit absoluter Souveränität erzählt.
Franziska Gänsler, geboren 1987 in Augsburg, hat in Berlin, Wien und Augsburg Kunst und Anglistik studiert. 2020 stand sie auf der Shortlist des Blogbuster-Preises und war Finalistin des 28. open mike. «Ewig Sommer» ist ihr Debütroman. Sie lebt in Augsburg.
Beitragsbild © Linda Rosa Saal