Daniel Glattauer «Vier Stern Stunden», Deuticke

Alles ist alt, in die Jahre gekommen. Frederic Trömerbusch, von dem vor sechs Jahren sein letzter Roman erschien – das Vier-Sterne-Hotel beim Kurpark, dem nicht nur der fünfte fehlt – das Immergleiche in Beziehungen, Gewohnheiten und Traditionen – und selbst die Liebe. 

Im Kur- und Kulturhotel Reichenhoffer (Kalauer) kündigt der Hotel-Juniorchef im Gastraum auf der improvisierten Bühne Professor und Schriftsteller Frederic Trömerbusch an. Ein Literaturgespräch in der langen Reihe seiner Stern-Stunden mit der Literaturredaktorin Mariella Brem. Im Kulturhotel haben Events mit Berühmtheiten Tradition. An der Wand hängen Bilder von Reinhold Messner, Martin Walser und DJ Ötzi. Mariella Brem ist glühende Verehrerin der Bücher des grossen Frederic Trömerbusch, der Gästeraum voll mit satten Kurgästen, aber das Gespräch entgleitet. Trömerbusch langweilt sich, weil er die immer gleichen Fragen fürchtet, schaut er seiner Gesprächspartnerin Brem nicht einmal in die Augen. Die Technik setzt aus und eine Frau mit Burka stört.

Der Haussegen im matt gewordenen Hotel hängt genauso schief wie der zwischen Trömerbusch und seiner viel jüngeren Begleitern, mit der er das Hotelzimmer teilt, aber das Bett eigentlich schon lange nicht mehr. Aus Lisa, die ihren Friedrich einst anhimmelte, aus dem Groupie ist eine junge Frau geworden, die sich auch ein Stück vom VIP-Kuchen abschneiden will. Sie will in Kürze als Bloggerin berühmt werden, Social Media, Kreativ Dancing, Schauspiel, Mode… Sie, die den Mann Trömerbusch wollte und ihn hatte, aber kein einziges Buch gelesen hatte, will aussteigen, aus dem kalten Bett, dem fremden Zimmer, der antiquierten Welt.

Während nach dem Debakel auf der Hotelbühne in der Bar aus der Konserve «Stranges in the Night» trällert, sitzen Juniorchef David-Christian Reichenshoffer am einen Thekenende, am andern die Literaturredaktorin Brem, die schon unter Vater Reichenshoffer die Stern-Stunden im Hotel moderierte. Es kommt auch zwischen diesen beiden zum Knall.

Alles zerbricht, Beziehungen und Traditionen genauso wie die Kultur von gestern, der Literaturbetrieb, die Literatur selbst. Glattauer spielt gekonnt mit seinen Figuren, heizt mit Emotion und Gegensätzen. So alt das Motiv des alternden Schriftstellers, der sich der Gegenwart und Zukunft entgegenzustellen versucht, so erfrischend das Leiden derer, die in dieser Komödie vorgeführt werden.
Ein Theater lesen? Ja, unbedingt. Glattauer inszeniert perfektes Schauspiel im Kopf. Ein gelungener Theaterabend im Ohrensessel vor dem Kamin mit einem Glas Wein. Gar nicht so anders wie die Stimmung im Kur- und Kulturhotel Reichenshoffer.

Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, Autor und ehemals Journalist. Mit seinen beiden Romanen, «Gut gegen Nordwind» (2006) und «Alle sieben Wellen» (2009), gelangen ihm zwei Bestseller, die in zahlreiche Sprachen übersetzt und auch als Hörspiel, Theaterstück und Hörbuch zum Erfolg wurden. Im Deuticke Verlag sind auch die Romane «Ewig Dein» (2012) und «Geschenkt» (2014) sowie die Komödien «Die Wunderübung» (2014) und «Vier Stern Stunden» (2018) erschienen.

Beitragsbild © Sandra Kottonau

Paulus Hochgatterer «Der Tag, an dem mein Grossvater ein Held war», Deuticke

Oktober 1944, irgendwo in Niederösterreich auf einem Bauernhof. Die Wellen des Krieges bewegen sich unaufhaltsam ihrem schrecklichen Ende zu. In den Augen mancher die Ruhe vor dem endgültigen Gegenschlag zum Endsieg. Wellen, die die Bauernfamilie nur insofern kümmern, dass Leo, der einzige Sohn, seit Monaten kein Lebenszeichen mehr von der Front gibt.

Bis ein Mädchen auf dem Hof erscheint, verwirrt und verstört, Nelli. Die Dreizehnjährige soll auf dem Hof in Pflege genommen werden. Was auf dem Hof in den letzten Kapiteln des Krieges passiert, davon erzählt Nelli, die nicht weiss, ob sie wirklich so heisst. Sie erzählt, wie die Dramatik des zu Ende gehenden Krieges über den Hof hineinbricht. Ein Gefüge, dass sich nicht um Politik, Rassenfrage, Feigheit vor dem Feind oder Entartung kümmerte. Das Mädchen bekommt von Lorenz, dem Bruder des Bauern, einem «spinnerten Bauernknecht», der sich mehr für Bücher als für die Scholle und das Wetter interessiert, ein braunes Heft. Das Mädchen macht für jeden Tag einen Strich ins Heft und schreibt dort ihre Wahrheit, ihre Gegenwart, denn von ihrer Vergangenheit ist ihr nichts geblieben. Und weil der alte Lorenz sie immer mehr ins Vertrauen zieht und ihr jene drei Dinge zeigt, von denen Lorenz wissen muss, dass sie nicht verloren gehen, nennt Nelli ihn «Grossvater».
Dann, als schon einhundertsechsundvierzig Striche im Heft stehen, taucht auf dem Hof Michail auf, ein russischer Kriegsgefangener, der über Jahre Zwangsarbeiter war und in den Wirren des Endkampfes ausgehungert und müde auf dem Hof strandet, nichts bei sich, ausser einer eingerollten Leinwand, die er wie seinen Augapfel hütet, einem eingerollten Etwas, das sein Geheimnis bleiben soll. Michail ist eine willkommene Arbeitskraft auf dem Hof, auch wenn ihm niemand, ausser das Mädchen Nelli traut.
Um die Dramatik des Geschehens auf die Spitze zu treiben erscheinen am Tag vor Karfreitag drei Wehrmachtssoldaten auf dem Hof, von ihrer Truppe abgetrennt, quartieren sich in die Betten der Familie und verlangen von den katholischen Bauersleuten ausgerechnet am Karfreitag, ein Schwein aus ihrem Stall zu schlachten. Man wolle Braten und Knödel, und zwar gleich. Und als die Soldaten Michail den Prozess zu machen beginnen, schlägt der Krieg auch auf dem Hof ein.

Was Paulus Hochgatterer, den ich bislang nur von seinem hochgelobten Krimi «Die Süsse des Lebens» kannte, in einer eindrücklichen konstruieren Erzählung aufbaut, ist grosse Bühne im Kleinen. In eine Bauernfamilie mit lauter Mädchen im latenten Schmerz eines vermissten Bruders bricht der Krieg ein; ein Russe, ein in Feindesland Geflohener, ein malender Fatalist – und zwei müde Soldaten mit einem Leutnant, der selbst nach Ostern 1945 noch immer an den Endsieg glaubt, glauben muss. Und ein stilles, beobachtendes Mädchen, das durch den Krieg und seinen Schrecken die Vergangenheit und mit ihr ihre Familie verlor. Unspektakulär und mit virtuoser Eindringlichkeit zeichnet Paulus Hochgatterer den Krieg im Kleinen, aus der Sicht eines Mädchens, das die Welt zu verstehen versucht. Dass Paulus Hochgatterer Kinderpsychologe ist, erklärt das Wissen um die Innenwelten verletzter Kinder, sein Talent aber ist die Tiefe dieser Perspektive. Paulus Hochgatterer erzählt ohne Erklärung, ohne Deutung, gibt der Szenerie etwas Naives, ohne ihr den Ernst und die Dramatik zu nehmen. Auch wenn es bloss 110 Seiten Lesevergnügen sind, steckt in der Erzählung «Der Tag, an dem mein Grossvater ein Held war» alles, was das Leben zu finaler Dramatik peitscht.

Paulus Hochgatterer, geboren 1961 in Amstetten/Niederösterreich, lebt als Schriftsteller und Kinderpsychiater in Wien. Er erhielt diverse Preise und Auszeichnungen, zuletzt den Österreichischen Kunstpreis 2010. Bei Deuticke erschienen bisher: «Über die Chirurgie» (Roman, 1993, Neuauflage 2005), «Die Nystensche Regel» (Erzählungen, 1995), «Wildwasser» (Erzählung, 1997), «Caretta caretta» (Roman, 1999), «Über Raben» (Roman, 2002), «Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen» (Erzählung, 2003), «Die Süße des Lebens» (Roman, 2006), «Das Matratzenhaus» (Roman, 2010) und «Katzen, Körper, Krieg der Knöpfe. Eine Poetik der Kindheit» (2012).

Radek Knapp «Der Mann, der Luft zum Frühstück ass», Deuticke

Kennen Sie Radek Knapp? Wenn nicht, ist die Erzählung «Der Mann, der Luft zum Frühstück ass» der ideale Einstieg in den Kosmos Radek Knapp. Der Mann ist ein Ereignis. Nicht nur als Schriftsteller. Wer einmal die Gelegenheit hatte, dem Schriftsteller zu lauschen, wird es als Wiederholungstäter immer wieder tun. Es erstaunt wenig, dass es einen «Fanclub Radek Knapp» gibt. Zu den erklärten Sympathisanten zähle ich mich mit Sicherheit.

Radek Knapps Welt ist seine Geschichte. Seine Geschichten entspringen seiner Welt, einer Welt, die ein nie versiegendes Reservoir an Anektoten, Zoten und Geschichten scheint. Der zwölfjährige Walerian wird von seiner Mutter von Polen über die Grenze nach Österreich, nach Wien buxiert. Walerians Mutter, «so unberechenbar wie eine nordkoreanische Atombombe», die ihren Sohn nach dem Beruhigungsmittel Walerian tauft und ihn lebenslang zur Verkürzung Jan nötigt, um nicht zur permanenten Lachnummer zu werden. Der Junge lernt schnell, sich auf eigenen Beinen durchs Leben in der fremden Sprache zu schlagen. Sei es in der Schule, wo er auf dem Weg dorthin mehr lernt als im Klassenzimmer selbst, da die wirklich wichtigen Dinge nicht in Schulhäusern geschehen. Auch auf seinem steinigen Weg ins Erwachsensein, immer näher seinem Traumberuf des Archäologen, nimmt er Hürden und Prüfungen mit Witz und schwejkschem Schalk. Alle Bücher, Romane Radek Knapps sind flirrende Geständnisse eines Unbesiegbaren, eines ewig Optimistischen, der seine Schmankerl- und Geschichtensammlung immer und immer wieder in neuen

Variationen zu erzählen versteht. Ein Fabulierer und begnadeter Geschichtenerzähler. Ein Mann, der nicht nur äusserlich Sein Lausbubengesicht nie ganz verloren hat. Einer, der sich weigert, den dicken Mantel des Erwachsenseins bis unters Kinn zuzuknöpfen. Radek Knapp liebt die Schrullen und Schrulligen, die Abseitigen und Vielseitigen, die Bunten und Knalligen. «Der Mann, der Luft zum Frühstück ass» ist eine Erzählung wider den tierischen Ernst, in einer Sprache geschrieben, die sich locker, süffisant und prall zeigt, gepaart mit Weisheit und Klugheit.

Radek Knapp, 1964 in Warschau geboren, lebt als freier Schriftsteller in Wien und in der Nähe von Warschau. Sein Roman «Herrn Kukas Empfehlungen» ist ein Longseller. Außerdem erschienen von ihm u.a. die Erzählungssammlung «Papiertiger», eine «Gebrauchsanweisung für Polen», der mit dem aspekte-Preis ausgezeichnete Band «Franio» (Deuticke) und 2015 der Roman «Der Gipfeldieb».