Helene Bukowski «Die Kriegerin», Blumenbar

Zwei Frauen treffen sich in der Grundausbilung bei der Bundeswehr. Lisbeth steigt kurz vor der Vereidigung aus, während Florentine danach von Einsatz zu Einsatz zieht. So sehr es Lisbeth nicht schafft in einem bürgerlichen Leben Fuss zu fassen, so sehr droht die Gewalt das Leben der Kriegerin zu verschütten. Helene Bukowski schrieb einen Roman, der nicht nur inhaltlich an die Nieren geht.

Wir tragen alle Narben mit uns herum, sichtbare und unsichtbare. Dass Lisbeth an Neurodermitis leidet ist das eine, dass sie sich in Wellen manchmal am liebsten die Haut vom Leib kratzen würde, dass es zum aus der Haut fahren ist – aber Lisbeth erträgt auch jenes Gefühl, dass sie von sich selbst abstösst, nur schwer. Bis sie eines Tages Mann und Kind zurücklässt, „Ich habe etwas im Laden vergessen“ murmelt und die Familie, den Blumenladen, die Stadt, ihr Leben hinter sich lässt. Sie fährt an die Ostsee, findet den Bungalow, wo sie als Kind schon mit ihren Eltern ihre Ferien verbrachte, weil es hiess, es würde ihrer Haut gut tun; die Sonne, das Salz, der Wind. Nicht dass sie Malik nicht mehr lieben würde, schon gar nicht den kleinen Sohn Eden. Es ist ihr Leben. Es ist jenes Leben, das sie weggestossen hatte.

Florentine, die man trotz ihrer Zierlichkeit schon während der Grundausbildung „die Kriegerin“ zu nennen begonnen hatte, zu der Lisbeth wie zu keiner anderen während der Ausbildung Vertrauen gefasst hatte, die zu ihrer Beschützerin geworden war, taucht von Einsatz zu Einsatz. Dorthin, wo es weh tut. Und obwohl die beiden Frauen während Monaten kaum Signale der anderen erreichen, bleiben die beiden verbunden. Nicht bloss durch das gemeinsam Erlebte während der Ausbildung. Auch weil die Freundschaft etwas gab, was es sonst nirgends und bei niemandem zu geben schien.

„Habe ich verlernt, meine Narben zu verstecken?“

Helenę Bukowski «Die Kriegerin», Blumenbar, 2022, 256 Seiten, CHF ca. 33.90, ISBN 978-3-351-05107-5

Lisbeth heuert auf Kreuzfahrtschiffen an, arbeitet dort während langen Monaten in ihrem Beruf als Floristin, zehn Stunden und mehr, sieben Tage in der Woche. Eingesperrt, einer Aufgabe verschrieben, ein bisschen wie damals in der Grundausbildung, als alles Tun fokussiert war, die Aufgaben klar eingegrenzt, jeder Tag ein gleichgrosser Schritt in eine geschiente Zukunft. Den Kontakt zu Florentine verliert sie nie ganz. Zum einen treffen sie sich immer wieder, wenn auch durch stille Monate voneinander getrennt im kleinen Bungalow an der Ostsee oder die Kriegerin schreibt lange Briefe, die so ganz anderes erzählen, als das, was Lisbeth sonst von ihr weiss.

Lisbeth, eine Frau, die ohne Ankündigung Kind und Mann verlässt und nicht mehr zurückkehrt, erst nach Monaten anruft, erst nach Jahren wieder Nähe zulässt. Florentine, von der man den Namen erst im zweiten Teil des Romans erfährt, die sich mit jeder Faser ihres Körpers in der Männerdomäne Militär durchsetzen will, zur Kriegerin wird, einer Soldatin, die in ihrem Heimatland sogar bespuckt wird. Beide stossen ihr Trauma wie einen Sisiphosstein vor sich her, kämpfen an vielen Fronten. Lisbeth gegen Schuldgefühle, ihr Gefühl des Eingesperrtseins, nicht zuletzt in ihrer Haut. Florentine in den Bildern, die sie aus ihren Einsätzen nicht loslassen, die mit jedem Einsatz unerträglicher werden. Bis die grossen Steine mit ihrem Gewicht auf die Frauen zurückzurollen, bis alte, nie vernarbte Wunden aufzuplatzen drohen.

„Findest du es nicht absurd, wie friedlich hier alles aussieht?“

Helene Bukowski beschreibt das klaustrophobische Lebensgefühl der beiden Frauen auf eindrückliche Art und Weise. So wie die Kriegerin Steine sammelt, Einschliessungen der Zeit, so sammelt Lisbeth die Zeichen Florentines Freundschaft; jene Momente der Innigkeit, die Tage im Bungalow an der Ostsee, das Gefühl, mit ihr etwas zu „besitzen“, was ihr nicht zu nehmen ist.

„Die Kriegerin“ spitzt sich mit der Lektüre immer mehr zu. Es ist, als würde ich als Leser immer mehr in ein Geflecht verstrickt, das zeigt, wie sehr unsere Gegenwart in Wirklichkeit von all den mit Idealen zementierten Vorstellungen zugestellt wurde. Ein starker Roman von zwei Frauen, die in ihrer Stärke all ihre Verletzlichkeit einsperren.

Helene Bukowski, geboren 1993 in Berlin, lebt heute wieder in ihrer Geburtsstadt. Sie studierte am Literaturinstitut Hildesheim und leitet neben dem Schreiben auch Kurse und Workshops für Kreatives Schreiben. 2019 erschien ihr Debütroman «Milchzähne», für den sie u. a. für den Mara-Cassens-Preis, den Rauriser Literaturpreis und den Kranichsteiner Literaturförderpreis nominiert war. Der Roman wurde ins Französische und Englische übersetzt und eine Verfilmung ist in Vorbereitung.

Beitragsbild © Rabea Edel

Zaza Burchuladze «Touristenfrühstück», Blumenbar

Georgien war Gastland an der Frankfurter Buchmesse 2018. Über Gäste spricht man nicht schlecht. Aber wenn man den Gesprächen mit dem georgischen Schriftsteller Zaza Burchuladze im Netz folgt, dann wird klar, wie dieses Land am Schwarzen Meer, zwischen Russland und der Türkei eingekeilt, von innen und aussen zerbröselt wird. In „Touristenfrühstück“, vom Verlag als Roman bezeichnet, erzählt Zaza Burchuladze von diesem „Zerbröselungsprozess», nicht nur in seinem Heimatland, sondern als Folge auch ihn ihm selbst.

„Vielleicht werde ich damit leben müssen. Vielleicht ist das meine Prüfung. Vielleicht bin ich verdammt, Tbilissi in mir herumzutragen wie einen Flaschengeist.»

Zaza Burchuladze, der in Georgien als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren gilt, musste sein Land 2014 verlassen, nachdem ihm offen mit dem Tod gedroht und er auf der Strasse verprügelt wurde. Seither lebt der Autor in Berlin. Seine Bücher werden in seinem Heimatland öffentlich verbrannt.

In seinem 2017 ebenfalls bei Blumenbar veröffentlichten Roman «Adibas» erzählt Zaza Burchuladze vom «Fünf-Tage-Krieg» 2008 mit Russland. Während der Himmel über der georgischen Stadt Tiflis von russischen Kampfjets zerrissen wird, vergnügt sich die Mittel- und Oberschicht ausgiebig und ausgelassen. «Es wird gevögelt, gekokst, es wird gelebt, gefeiert, aber wenig nachgedacht.» Ein Bild, das sich nicht nur in Georgien zeigt. Während man anderorts verhungert, verdurstet, während selbst Kinder ertrinken und vergessen werden, verglüht und verraucht hier schnell, was an gewissen Tagen mediales Entsetzen hervorbringt.

Zaza Burchuladze lebt in Berlin, im Ungewissen darüber, ob er je in sein verlorenes Georgien zurückkehren kann. Zaza Burchuladze ist voller Zweifel darüber, dass seine Sprache «klebrig, pampig, wie Beton geworden ist. Sie fliesst nicht mehr so wie früher.» Zweifel darüber, nicht mehr zu wissen, für wen er schreibt.

«Natürlich bin ich nicht der einzige, der die Vergangenheit in sich und mit sich herumschleppt wie eine Flaschenpost auf offener See, wobei es fraglos ist, dass die darin enthaltene Nachricht keinen allgemeinen Wert hat.»

Als Leser begleite ich in «Touristenfrühstück» den Autor auf seinen Gängen durch Berlin, in seinem Alltag in einer Stadt, die ihm die Entfernung zu seiner Heimat unsäglich unendlich scheinen lässt, ein ander Mal nur durch Oberflächlichkeiten verborgen. Auf dem Weg zu seinem Arzt zur Interferonbehandlung von Hepatitis C, in Deutschland durch Kassen finanziert, in Georgien ein Grund, die Existenz zu verlieren. Zum Treffen mit seinem Verleger, der den Zweifel schürt, ans Bett seines Kindes, das eine Geschichte erzählt bekommen will, das unbekannte Begriffe wie glänzende Kiesel mit nach Hause bringt. Ein Leben zwischen Vergangenheit, Gegenwart und ungewisser Zukunft, hin- und hergerissen zwischen Zorn und Sehnsucht, Bitterkeit und verblassenden Träumen, aufgerieben in Gegensätzen.

«Vielleicht spiele ich hier mit Allgemeinplätzen, aber das Fazit ist doch, dass der ‹homo civis› hier in Berlin nur in besonderen Ausnahmefällen gegen die Ordnung verstösst, wir Georgier aber nur in besonderen Ausnahmefällen die Ordnung einhalten.Wenn keines von beiden eine Perversion ist, muss es eine Frage der Ehre sein»

Dass auf dem Buchdeckel «Roman» geschrieben steht, muss nach «Adibas» eine verkaufstechnische Notwendigkeit gewesen sein, Strategie des Verlags, um den Sog des einen Buches ausnützen zu können. «Touristenfrühstück» ist ein Berlin-Tagebuch, ein Buch der Auseinandersetzung, der Konfrontation. Ein Buch, das es mir zu Beginn schwer machte, bis der Autor zu meinem Begleiter wurde und mich neugierig auf «mehr» machte.

© Ira Koklozin

Zaza Burchuladze, 1973 in Tbilissi geboren, übersetzte Fjodor Dostojewski und Daniil Charms ins Georgische. Heute lebt und arbeitet er in Berlin. Für seine Romane wurde er mehrfach ausgezeichnet. Bei Blumenbar erschien 2015 sein Roman »adibas«, der von der Stiftung Buchkunst zum »schönsten Buch des Jahres« gewählt wurde. 2017 folgte sein Flucht- und Heimatroman „Touristenfrühstück“, für den er 2018 mit dem Brücke-Berlin-Preis ausgezeichnet wurde.

Beitragsbild © Sandra Kottonau