literaturblatt.ch fragt, Teil 8, Joachim B. Schmidt antwortet

Joachim B. Schmidt, 1981 im Bündnerland geboren, lebt seit Jahren zusammen mit seiner Familie auf Island. Ein junger Autor, der sich auf zwei Inseln weiss. Ein Talent, das bereits zwei Romane veröffentlichte; 2013 «Küstennähe» und ein Jahr später «Am Tisch sitzt ein Soldat». Im April erscheint sein 3. Roman «Moosflüstern», dem ich von Herzen viele LeserInnen wünsche. Beste Unterhaltung!

Es gibt Schreibende, die Geschichten erzählen wollen, mit Spannung fesseln. Andere, die politische und gesellschaftskritische Inhalte und Meinungen in literarisches Schreiben verpacken. Was wollen Sie mit Ihrem Schreiben? Ganz ehrlich! Ich möchte unterhalten. Ich möchte beim Leser Gefühle auslösen. Ich schreibe Bücher, die ich selber gerne lesen möchte. Ich mag es zum Beispiel sehr, wenn mich ein Buch (oder ein Film oder ein Lied) zu Tränen rührt. Beim Schreiben von Moosflüstern habe ich oft geheult. Ich finde das befreiend. Weinen wird leider noch immer mit Schwäche assoziiert. Dabei sind Weinen und Lachen fast dasselbe.

Wo und wann liegen in ihrem Schreibprozess der schönste oder/und der schwierigste Moment? Gibt es gar Momente vor denen sie sich fürchten?
Ich fürchte mich vor dem ungeschriebenen Werk. Ich habe ein Buch im Kopf, habe vielleicht ein paar Seiten geschrieben, entschliesse mich dann, das Buch zu schreiben, und das macht Angst. Der schiere Zeitaufwand, die brotlose Arbeit, das ist hart und braucht Überwindung. Obwohl alles dagegenspricht, schreibe ich dann trotzdem, denn die Geschichte muss raus. Die schönsten Momente sind die, wenn sich das Buch plötzlich selber zu schreiben beginnt. Manchmal geraten mir die Zügel aus den Händen, ich schreibe Dialoge, wo ich keine Kontrolle mehr habe, ein Stunde geht vorbei wie zehn Minuten, meine Hand schmerzt beim Schreiben, die Protagonisten erwachen zum Leben, ich halte den Atem an, lache manchmal, oder weine. Das sind die allerschönsten Momente, die aber selten sind. Doch ich jage ihnen nach, so oft ich kann.

Lassen Sie sich während des Schreibens beeinflussen, verleiten, verführen? Spielen andere Autorinnen und Autoren, Bücher (nicht jene, die es zur Recherche braucht), Musik, besondere Aktivitäten eine entscheidende Rolle?
Wenn ich nicht mehr weiter weiss, lese ich. Das ist die beste Möglichkeit, einen Schreibstau zu lösen. Wichtig dabei: Das Buch oder den Text, den ich lese, muss gut geschrieben sein. Manchmal genügt eine Seite, dann lege ich das Buch weg und weiss plötzlich genau, wie es in meinem Buch weitergeht. Nicht weil ich abschreibe, sondern weil ein gutes Buch die kreativen Kanäle öffnen kann. Musik hilft auch, um die passende Stimmung im Text zu schaffen. Beim Schreiben höre ich meistens Musik.

Hat Literatur im Gegensatz zu allen anderen Künsten eine spezielle Verantwortung? Oder werden Schriftstellerinnen und Schriftsteller gegenüber andern Künsten anders gemessen? Warum sind es vielfach die Schreibenden, von denen man in Krisen eine Stimme fordert?
Ich glaube nicht, dass Literatur eine Verantwortung hat, politisch sein oder die Welt verändern soll. Aber sie darf das von mir aus. Wenn sich Schriftsteller in Krisenzeiten äussern, sozusagen das Gewissen der Nation in Worte fassen, finde ich das bewundernd. Ich selber würde mir das nicht zutrauen – zumindest noch nicht, dafür fühle ich mich zu jung und zu unerfahren. Fakt ist, dass ein Buch oder ein Schriftsteller in der heutigen Zeit kaum noch Einfluss nehmen kann. Die Bücher werden von Gleichgesinnten gelesen – wie übrigens die Zeitungsartikel auch: Man liest nur die Kommentare, welche die eigene Meinung bestätigen. Deshalb lesen die Linken die Weltwoche nicht mehr, weil sie ihrem eigenen Meinungsbild nicht entspricht. Deshalb rümpfen Rechte die Nasen über linke Kunst ect. Ein schönes Beispiel ist Trump. Durchs Band haben sich Schauspieler, Schriftsteller ect gegen ihn gewehrt. Eigentlich die ganze intellektuelle Breite Amerikas. Gebracht hats nichts. Die Zeiten haben sich geändert. Dank dem Internet erhält jeder eine Plattform: Der US-Veteran, der die Kriege im Nahen Osten kritisiert, der Parkinson-Kranke, der dank Marihuana ein besseres Leben führt, ect. Ich denke, der Schriftsteller wird nicht mehr gebraucht, um Meinungen zu verbreiten. Die Leute an der Front haben heute eine Stimme.

Inwiefern schärft ihr Schreiben Sichtweisen, Bewusstsein und Einstellung?
Durch mein Schreiben spitze ich vermehrt die Ohren. Ich bin ein guter Zuhörer.

Es gibt die viel zitierte Einsamkeit des Schreibens, jenen Ort, wo man ganz alleine ist mit sich und dem entstehenden Text. Muss man diese Einsamkeit als Schreibende(r) mögen oder tun Sie aktiv etwas dafür/dagegen?
Die Einsamkeit des Schreibens stört mich nicht, aber die physische Bewegungslosigkeit ist ein Problem. Ich vernachlässige meinen Körper. Eigentlich habe ich einen Körper zur Verfügung, mit dem ich über alle sieben Berge wandern könnte, Trockenmauern bauen oder Möbel zimmern könnte. Aber ich brauche nur meinen Kopf und mein Herz. Der Rest wird vernachlässigt. Das ist schade. Die Einsamkeit bleibt mir erspart, da ich Kinder habe und gelegentlich als Tourguide arbeite, also viel schwatzen und erklären muss – das pure Gegenteil zum Schreiben. Wenn die Tage 50 Stunden hätten, wäre ich Schriftsteller, Familienvater, Schreiner, Trockenmaurer, Musiker, Denker …

Gibt es für Sie Grenzen des Schreibens? Grenzen in Inhalten, Sprache, Textformen, ohne damit von Selbstzensur sprechen zu wollen?
Momentan lote ich noch immer meine Grenzen aus. Zum Beispiel in Sexszenen. Wie weit kann man gehen, ohne dem Leser den Lesespass zu verderben? Ohne vulgär zu werden? Doch mit dem eigenen Erwachsenwerden weitet sich glücklicherweise mein Horizont.

Zählen Sie 3 Bücher auf, die Sie prägten, die Sie vielleicht mehr als einmal gelesen haben und in Ihren Regalen einen besonderen Platz haben?

«Bis bald», Markus Werner
«Die kalte Schulter», Markus Werner
«Froschnacht», Markus Werner
«Pferde stehlen», Per Pettersen

Frisch hätte wohl auch als Architekt sein Auskommen gefunden und Dürrenmatt kippte eine ganze Weile zwischen Malerei und dem Schreiben. Wären Sie nicht Schriftstellerin oder Schriftsteller, hätten sich die Bücher trotz vieler Versuche nicht verlegen lassen, hätte es eine Alternative gegeben? Gab es diesen Moment, der darüber entschied, ob Sie weiter schreiben wollen?
Ich bin noch immer auf der Kippe. Wenn ich nicht bald mal meinen Lebensunterhalt als Schriftsteller bestreiten kann, muss ich eine andere Tätigkeit suchen. Momentan verdiene ich mein Brot als Reiseleiter und Filmkritiker.

Was tun Sie mit gekauften oder geschenkten Büchern, die Ihnen nicht gefallen? Es fällt mir schwer, ein Buch fortzuschmeissen, selbst wenn es schlecht ist. Solange der Umschlag schön ist, bleibt es im Regal. In der Regel lese ich ein schlechtes Buch gar nicht zu Ende. Das wäre Zeitverschwendung.

Vielen Dank für das Interview!

Im kleinen Emmentaler Landverlag erscheint im kommenden April «Moosflüstern», ein Roman über einen Mann, der auf Island nach seiner Mutter sucht. Ein Roman, den es unbedingt zu lesen lohnt! Tun Sie es! Ich verspreche Lesevergnügen!

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