Sven Recker „Fake Metal Jacket“, Nautilus

Während die Wirklichkeit tobt, trübt sich der Blick in das Antlitz dieser Wirklichkeit immer mehr. Staatsoberhäupter entkräften Tatsachen mit dem Aufschrei „Fakenews“. Zeitungsleser und Nachrichtenagenturen tappen im Nebel von Verunsicherung und permanenter Behauptung. Wo man einst Wahrheit zu finden glaubte, grassiert der Zweifel. Sven Reckers zweiter Roman «Fake Metal Jacket» beschreibt die Entgleisungen eines jungen Journalisten, der es mit der Wahrheit nicht so ernst nimmt. Ein Roman über die kalte Schnauze eines Journalisten, dem es nur um das perfekte Bild geht.

Sven Recker weiss, wovon er schriebt. Er war Journalist und bildet solche aus, bewegt sich in Gebieten, die Krisen viel unmittelbarer angebunden sind, als wir in Mitteleuropa, die, wenn überhaupt, höchstens mit den Auswirkungen zu kämpfen haben.

Larsen produziert News. Aber mit der Nachprüfbarkeit seiner Meldungen von den Fronten der Aktualität nimmt es Larsen nicht so genau. Nichts, was er schreibt, ist grundsätzlich erfunden. Aber nichts, was er schreibt, entspricht nur annähernd den Tatsachen. Alles ist irgendwie wahr und doch erfunden, inszeniert. Larsen weiss, was die Redaktionen mögen, was am ehesten den Weg auf Titelseiten findet. Larsen illustriert das, was Medien und Konsumenten erwarten; Bilder, die bestätigen, die anrühren, die die perfekte Geschichte erzählen. «Der Schein mag trügen, aber er scheint.»

Angefangen hatte es in Lybien. «Es wurde geschossen, aber schlimm war es nicht. Es gab wenig zu tun, aber wenn doch, dann ganz viel. Endlich ein historischer Or. Das Internet kollabierte, der Strom fiel aus, mindestens zehn Mal am Tag.» Dann hatte er zu aller erst Internet und damit die Möglichkeit, auch als erster seine Schlagzeilen in die Welt zu schicken. Hauptsache Schlagzeilen, Hauptsache das Soll erfüllt. Und wenn man dann auch noch entsprechend Kohle damit macht, heiligt der Zweck die Mittel. Larsen ist erfolgreich, wird bewundert, gefeiert, aufs Podest gehoben, bis man ihn mit dem ersten Fehler, der sich fünfstellig auswirkt, wie eine heisse Kartoffel fallen lässt. Mit der Bitte eines Bauern, endlich mit dem Filmen in der Grube aufzuhören, doch endlich über die wirklichen Probleme zu schreiben, z. B. über das Gesocks, das sich im ganzen Land breit macht, beginnt Larsens Konstrukt auch in seinem Innern zu wackeln.

Und mit dem Wunsch, eine junge Frau aus den Wirren des Nahostkrieges zu «befreien», nun endlich mit dem richtigen Berichten zu beginnen, reitet sich Larsen in eine Geschichte, bei der ihn die Wahrheit und die Realität an Wände ketten. Larsen, der das Leben als eine einfache Gleichung sieht, muss sich eingestehen, dass nichts so ist, wie er es sich denkt. Von Einfachheit keine Spur mehr.

Ein kleines Interview mit Sven Recker:

So wie ihr Roman sich mit „Fake-news“ beschäftigt, ist es die Geschichte eines Mannes, der auf einem einmal eingeschlagenen Weg nicht mehr zurück kann und will. Zum einen, weil er für minimalen Aufwand maximalen Erfolg generiert, weil die „Sache“ zu lange gut geht, zum andern weil er sich selbst versichert, doch eigentlich bei der Wahrheit zu bleiben, Kopien der Wahrheit zu produzieren. Ist Journalismus ein Beruf, bei dem Moral eine besondere Rolle spielt oder hängen wir Informationskonsumenten dem Idealbild des heldenhaften Enthüllungsjournalismus nach?
Journalisten haben ihrem Publikum gegenüber die Verantwortung, es möglichst ausgewogen zu informieren. Moral ist mir in diesem Zusammenhang ein zu großer Begriff. Idealerweise entsteht so ein Vertrauensverhältnis zwischen Medienproduzent und Medienkonsument, vereinfacht gesagt, der Leser einer Lokalzeitung fühlt sich durch die Berichterstattung seines Heimatblattes gut informiert. Soviel zum Idealzustand. Derzeit lässt sich allerdings in zahlreichen Ländern beobachten, dass das Vertrauen des Publikums in die Medien nachlässt. Alle Gründe hierfür aufzuzählen würde an dieser Stelle zu weit gehen. Ein Grund, der auf den zweiten Teil Ihrer Frage anspielt, ist, dass sich viele Journalisten, wie Larsen, in den sozialen Medien inszenieren und andauernd zu allem möglichst pointiert Stellung beziehen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Tweets und Posts fast ausschließlich Meinungsbeiträge sind. Wie aber soll der gleiche Journalist, der kurz zuvor auf Twitter den Beitrag eines Politikers wohlwollend oder ablehnend kommentiert hat, danach möglichst ausgewogen darüber informieren? Klar, die unterschiedlichen, journalistischen Formate, Kommentar, Bericht, Hintergrund gab es schon immer und wurden auch früher schon oft von ein und demselben Journalisten verfasst. Die Reihenfolge, beziehungsweise Gewichtung, war nur anders. Gross aufgemacht wurde der Bericht/Hintergrund, der Kommentar war die Spalte nebendran. Heute kommt oft erst die Meinung auf den sozialen Medien, dann der ausführlichere Bericht.

Peter Larsen lässt sich instrumentalisieren. Zuerst von seinem Erfolg, der Dynamik, die das scheinbar raffinierte Spiel als Reporter an der „Front“ entwickelt, später von einer Gegenseite, mitten im Nahostkonflikt, mit der Waffe an der Stirn. Ist ihr Buch auch der Versuch zu zeigen, in welches Dilemma Berichterstattende unweigerlich geraten? Wie schwierig oder gar unmöglich es ist, neutral, unvoreingenommen, objektiv zu sein?
Na ja, gegen Instrumentalisierung kann man sich als Journalist wehren. Ein Dilemma ist das nicht, das ist eine Frage der Haltung. Eine objektive Realität gibt es nicht, die Wahrnehmung der Welt setzt sich immer zusammen aus eigener Erfahrung, Bildung, familiärem oder religiösem Hintergrund sowie den eigenen Zielen. Es geht also um eine möglichst ausgewogene Berichterstattung, nicht um eine objektive, denn an diesem Anspruch kann man nur scheitern.

Der Besuch der AfD-Politiker in Syrien und ihr anschliessender Appell an die Öffentlichkeit und die Politik, die Syrer in Deutschland doch wieder in ihr „Heimatland“ zurückzuschicken, denn das Land brauche sie für den Wiederaufbau, zeigt doch, wie sehr man sich von Eindrücken, Begegnungen, Einstellungen beeinflussen lässt? Wer sagt dem einfachen Bürger, der Leserin in der warmen Stube zuhause, wessen Sicht man trauen kann?
Im Falle Syriens ist es in der Tat schwierig ein allgemein gültiges Bild zu zeigen. Jeder, der dort hingeht, läuft Gefahr von der einen oder anderen Seite instrumentalisiert zu werden. Die AfD-Politiker sind brav in die Falle getappt, die ihnen das Regime von Assad gestellt hat. Nicht, dass es die Wirklichkeit, die sie gesehen haben nicht gibt. Aber den Preis, den viele Syrer dafür bezahlen müssen, sahen sie nicht und wollten ihn wahrscheinlich gar nicht sehen, da die Agenda der AfD, nämlich Syrer zurückzuschicken, so schön zu dem Bild passt, das Assad von Syrien zeigen möchte. Wem man bei der Berichterstattung über Syrien trauen kann? Generell noch immer den deutschsprachigen Qualitätsmedien sowie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das Problem ist allerdings, dass es aus Sicherheitsgründen in Syrien für ausländische Journalisten fast unmöglich ist, alle Konfliktparteien- und Regionen zu besuchen. Hinzu kommt die Fokussierung auf aktuelle Militäraktionen, so dass über die Jahre hinweg der Eindruck entstanden ist, ganz Syrien würde in Schutt und Asche liegen. Die AfD hat versucht, diese Informationslücke zu nutzen.

Sie schulen neben ihrer Arbeit als Schriftsteller und Journalist künftige Journalisten in Libyen, Ägypten, Tunesien, Irak, Sudan, Sri Lanka und Ruanda vor Ort aus. Lauter Regionen, in denen es kocht und brodelt. Geht es dabei nur um das Handwerk oder spielt auch ein Funken „Mission“ mit?
Kommt darauf an, was Sie mit Mission meinen. Die Vermittlung von journalistischem Handwerk ist Grundlage. Im größeren Sinne geht es aber immer darum, ein journalistisches Verständnis zu vermitteln, dass die Konflikte in den jeweiligen Ländern eher befriedet als verstärkt, also beispielsweise Hate-Speech-Artikeln entgegenzuwirken, indem man Journalisten die Grundlagen des Kommentars vermittelt. In einigen Ländern, Sri Lanka beispielsweise, ist bereits der Ansatz unserer Trainingsmaßnahmen ein Beitrag zur Versöhnung, in dem wir dort singhalesische und tamilische Journalisten nicht nur zusammenbringen, sondern sie auch beim gemeinsamen Verfassen von Beiträgen begleiten und unterstützen. In Sri Lanka hat es fast zwei Jahre gebraucht, dass der Dialog zwischen tamilischen und singhalesischen Journalisten einigermaßen funktioniert.

Zur Wahrheit, auf den Boden der Realität, kommt Larsen erst auf den Dächern von Damaskus. Mit Zucker und Peitsche, während nicht weit von seinem „Gefängnis“ Bomben hochgehen und Schüsse peitschen. Es ist nicht die freiwillige Umkehr, die Einsicht. Erst die Not, lebensbedrohliche Not und die Enttäuschung darüber, sich masslos getäuscht zu haben, zwingen Larsen zur „Umkehr“. Muss ein Journalist mehr Gutmensch sein als andere?
Nein! Siehe Hans Joachim Friedrichs: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache, dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.“

Vielen Dank!

«Fake Metal Jacket» lässt einem nach der Lektüre mit einer ordentlichen Portion Verunsicherung zurück. Dieser fast kindliche Reflex, dass alles wahr sein muss, was man sieht, ist mit einem Mal pulverisiert. Ein schonungsloses, entlarvendes Buch – ein wichtiges Buch!

Sven Recker wurde 1973 in Bühl/Baden geboren und lebt in Berlin. Er arbeitete mehrere Jahre lang als Journalist, bevor der ab 2002 einige Zeit als Not- und Katastrophenhelfer in Krisenregionen reiste. Seit 2009 schult er zudem Journalisten aus Libyen, Ägypten, Tunesien, Irak, Sudan, Südsudan, Sri Lanka und Ruanda vor Ort.
2015 las er mit einem Auszug aus seinem Debütroman »Krume Knock Out« bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt.

Titelfoto: Sandra Kottonau