Max Küng «Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück», Kein & Aber

Lieber Max

Wir sassen auf dem Dach des Verlags Kein und Aber, zusammen mit deinem Verleger, deiner Lektorin, der Pressefrau, ein paar von den Printmedien und dir und deiner Frau. Das neue Buch „Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück“ lag neben Sandwiches, eingeschweisstem Salat und Petflaschen auf dem Tisch unter der ungewöhnlich heissen Spätsommersonne Zürichs. Das Buch, dein neuer Roman, war flügge!

Am Schluss, kurz bevor ich mit heisser Glatze das Dach verliess, schriebst du „I hope you like it“ aufs Vorsatzpapier deines Zweitlings. Ich verabschiedete mich und begann noch im Zug zurück nach Amriswil mit der Lektüre.

Yes, I like it! Ich wünsche deinem Buch viele LeserInnen, nicht nur weil es die Neugierde der Menschen stillt, die wie ich so gerne wissen, was hinter all den Fassaden steckt. Auch nicht nur darum, weil es in der CH-Literaturszene fast konkurrenzlos scheint, was Witz und Biss angeht. Sondern weil es überrascht, wenn auch nicht bis zur allerletzten Seite. Wer nach der Ankündigung auf dem Buchdeckel einen Hausbesetzerroman oder den Kampfroman gegen den aus dem Ruder laufenden Immobilienmarkt erwartet, mag enttäuscht sein. Aber wer dein Motto: „Wir wissen nichts über unsere Nachbaren. Das ist gut so. Wenigstens im richtigen Leben“, liest und weiss, wie gerne du mit scharfer Zunge kommentierst, der kommt auf seine Kosten. Und nicht weil du scharf machst, was fade ist. Du kannst auch feine Töne zelebrieren, ganz leise, pastell, um dann die nächste Pointe umso lauter platzen zu lassen.

img_0150An der Zürcher Lienhardstrasse 7 (braucht man nicht zu googlen) bekommen alle fünf Parteien auf fünf Stockwerken die An-Kündigung. Das filigrane Biotop eines Mehrfamilienhauses von Spekulation, Toleranz, Weghören und Heimlichkeiten ist nicht nur bedroht, sondern die einzelnen Spezies werden genötigt, ihre Distanziertheit, mit der man sonst doch so gut fährt, für den Kampf beiseite zu legen. Und mir als Leser, der zusammen mit dir als Schöpfer in ein offenes Puppenhaus blicken kann, offenbaren sich nicht nur Einsichten, sondern genauso viele Abgründe, von denen mich schon meine Eltern mit dem Satz „Was andere Leute tun und denken, geht uns nichts an“ zu schützen versuchten.

Im Erdgeschoss wohnt der Fahrradeinsiedler Vischer, zusammen mit seinen Drahteseln im Dunst von Schostakowitsch und Kriechöl. Ein wortkarger Sonderling, dessen einziges Ziel es scheint, alle 127 Pässe der Schweiz mit seinen Fahrrädern abzuklappern. Im ersten Stock Gutjahrs, er eine selbstverliebte TV- Grösse, ein Opportunist, ständig paarungsbereit, weit weg von seiner Familie, seiner Frau, die hadert mit Vergangenheit und Gegenwart. Im zweiten Stock Paola und Fabio, glücklich kinderlos, sie Journalistin, er Immobilienheini, beide blind und geil, sie nach der ultimativen Enthüllungsstory, er nach dem grossen Geschäft und der ultimativen Wette. Im dritten Stock Virginia mit ihrer pubertierenden Tochter Cosima. Virginia, verlassen nicht nur von ihrem Mann, sondern allzuoft von guten Geistern, wenn sie nachzuholen versucht, was ihr ihr Mutterunglück während Jahren entzog. Und oben unterm Dach Delphine, eine Kunststudentin auf der Suche nach dem Nichts und Empfangsdame im Fitnesscenter Mangenta.

Da liegt Zündstoff. Und du zündelst mit Wonne. Ich spüre das Vergnügen, dass das Schreiben dir gemacht haben muss. Sonst schreibst du Kolumnen im Tagesanzeiger Magazin. Eine gute Schule für den scharfen Blick. Den spürt man auch im Roman, jenen für die kleinen Dinge, den Blick dahinter, in Gegenden, wos wehtun kann, für den Schauenden und den Beobachteten, mit einem gehörigen und erfrischenden Schuss Respektlosigkeit. Falls empfindliche Stadtzürcher, Politgrössen wie Toni Brunner oder Redaktionsmenschen aus Bildchenzeitschriften den Roman angewidert und mit erhöhtem Puls weglegen, verstehe ich das gut und amüsiere mich doppelt.

Was ich jetzt schon weiss: „Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück“ ist ein Buch, das man hören sollte. Ich freue mich, wenn ich im dunklen Zuhörerraum sitzen werde und deiner Stimme lauschen kann!

Liebe Grüsse
Gallus

Max Küng liest
am 22. November in Luzern, Neubad
am 23. November in Basel
und am 1. Dezember in Stuttgart, Merlin

e8451401b40c7b16dfe666f193741db3Max Küng, geboren 1969 in Maisprach bei Basel, besuchte nach der Ausbildung zum Computer-Programmierer die Ringier Journalistenschule. Seit 1999 ist er Reporter und Kolumnist beim «Magazin» des «Tages-Anzeigers». Neben diversen Musikkompositionen und Veröffentlichungen erschien zuletzt sein erfolgreicher Roman «Wir kennen uns doch kaum» bei Rowohlt. Max Küng lebt seit 2005 in Zürich, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

(Titelbild: Sandra Kottonau)

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