Lieber Bär, lieber Gallus #SchweizerBuchpreis 23/04

Lieber Bär

Ein Schriftsteller schrieb mir, die Liste der Nominierten zum Schweizer Buchpreis 2023 würde BuchhändlerInnen wohl keine Freude machen. Keine Bestseller, keine grossen Namen, die in aller Munde sind, so wie Martin Suter oder Lukas Bärfuss. Das kann ich nur schwer beurteilen, da ich mich derart tief in der Szene bewege, dass ich längst nicht mehr beurteilen kann, wer es in den Mainstream schafft, was zum Verkaufshit wird. Du hast den norwegischen Grossmeister Jon Fosse erwähnt. Jon Fosse ist ein Fixstern am Literaturhimmel und trotzdem kennt ihn fast niemand, zumindest hierzulande. Sicher findet man seine Bücher kaum in einem Bookshop am Flughafen oder in den Regalen mit den Bestsellern. Aber Verkaufszahlen sind kein Qualitätsmerkmal.

Keine Ahnung ob Lukas Bärfuss oder Martin Suter enttäuscht darüber sind, dass sie nicht auf der Liste der Nominierten zu finden sind. Ich kenne sehr wohl SchriftstellerInnen, die einen schwelenden Schmerz mit sich herumtragen, dass sie noch nie auf dieser Liste erschienen. Aber vielleicht ist das gar nicht die Intension einer Jury, die im Auftrag des Schweizer Buchhandels und Verlagsverbands nach dem „besten Buch“ sucht. Dafür gibt es ganz andere Preise, deren PreisträgerInnenlisten viel schwergewichtiger sind, als die des noch jungen Schweizer Buchpreises.

Aber, um auf die nominierten Bücher zurückzukommen, da ist doch kein Buch auf der Liste der Nominierten, über das man die Stirne runzeln oder gar den Kopf schütteln müsste. „Sich lichtende Nebel“ ist ein philosophisch durchsetztes Sprachkunstwerk, „Mr. Goebbels Jazzband“ ein Sprache gewordenes Musikabenteuer, „Bild ohne Mädchen“ ein tiefgründiger Tauchgang in menschliche Abgründe, „Glitsch“ ein waghalsiges Experiment zwischen Alptraum und fellinischer Fantasie und „Der graue Peter“ eine Sprachperle mit dunklem Glanz.

Du arbeitest an einem Tag in der Woche in einer Buchhandlung. Ist der Schweizer Buchpreis ein laues Lüftchen oder wie stark bläst der Wind? Auch wenn Du in die nähere Vergangenheit schaust.

Liebgruss
Gallus

Schweizer-Buchpreis-Rezension von «Der graue Peter» von Matthias Zschokke erscheint am 24. September!

Lieber Gallus

Ich arbeite in einer kleinen Buchhandlung, und mein Bärenfell wird durch die Nominierten zum Schweizer Buchpreis nicht durcheinandergewirbelt. Der Wind weht aus Erfahrung der letzten Jahre eher lau. Immerhin erwarte ich dieses Jahr eine stärkere Brise, da mich alle fünf Nominierten ansprechen und ich alle fünf Bücher lesen werde (vier davon bereits mit Genuss!). 2022 war die Situation anders, weniger harmonisch.

Sofort mitnehmend und sehr berührend war für mich aktuell «Der graue Peter» von Matthias Zschokke, dies nach der Lektüre von Jon Fosse «Der andere Name», was sich erstaunlich gut angefügt hat. Die Erzählung der Erlebnisse des Mannes  mit dem fehlenden Empfindungschromosom hat in mir tiefe Emotionen und nachhaltige Gedanken ausgelöst. Ein Stern, der auch stark leuchtet am Literaturhimmel. 

Ganz anders «Glitsch» von Adam Schwarz, einem mir bisher unbekannten Erzähltalent. Wenn der Protagonist auf der Suche nach seiner Freundin immer tiefer in das arktische Kreuzfahrtsschiff hinuntersteigt, erleben wir eine hochspannende, tiefgründige Liebesgeschichte und die irrwitzige Absurdität einer Schifffahrtgemeinschaft in einer wunderbar frischen Sprache.

2022 hat Kim de l`Horizon mit seinem Blutbuch mich durch Lektüre und dann die Auszeichnung stark durchgeschüttelt. Ist der Doppelpreis in Anbetracht der anderen, auch nicht nominierten Bücher gerechtfertigt? Auch bei uns wurde das Buch gut verkauft. Von den übrigen Nominierten konnte nur Thomas Hürlimann diesem Preisträger bezüglich Verkauf die Stange halten. Damals wie heute werfen Preise für mich Fragen auf: Welche Bücher sind lesenswert? Was zeichnet gute Literatur aus? Welche AutorInnen sprechen mich an? Welche kann ich wem empfehlen? Eine kleine Buchhandlung braucht natürlich auch Bestseller, um überleben zu können. Neben dem Inhalt sind auch die Ausstattung und besonders das Cover meines Erachtens für den Verkauf wichtig. Das haptische Moment spielt gerade bei den Büchern eine grosse Rolle. 

Trotzdem finden literarisch wertvolle Bücher oft keinen Weg zu einer Leserin, einem Leser. Auch Lyrik ist bezüglich Verkauf bei uns ein Stiefkind. Hat es schon einmal einen Schweizer Buchpreis für einen Gedichtsband gegeben? Immerhin waren bei der Preisträgerin Martina Clavadetscher die «Knochenlieder» dabei.

Die Orientierung unter den unzähligen Neuerscheinungen ist für mich als Senior-Bär im Buchladen ebenso schwierig wie Honig zu finden im Winter. Ich liebe «leise» Autorinnen und Autoren, beispielsweise aus der Schweiz: Lukas Maisel, Anna Ospelt, Leta Semadeni und Urs Faes, um nur einige wenige zu nennen. Bei der Wahl hilft mir dein wunderbar gestaltetes und inhaltlich unschlagbares »literaturblatt» neben den Literaturartikeln in den Medien. Entscheidend sind auch immer wieder persönliche Begegnungen anlässlich von Lesungen und Literaturfestivals.

NB: Neben der Schweizer Literatur interessieren mich seit Jahren Autorinnen und Autoren aus dem Osten, beispielsweise aus der Ukraine, aus Russland, Bulgarien und Rumänien. Darüber vielleicht ein andermal.

Liebe Grüsse

Bär 

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Die erste Einsendungen, die mit einer Mail oder über «Kontakt» einen Kommentar (mit Erlaubnis, diesen zu veröffentlichen!) zu «Der graue Peter» von Matthias Zschokke einsendet, bekommt von mir ein signiertes Exemplar des Romans per Post zugesandt. Allerdings brauche ich dafür eine Postanschrift!
Gallus Frei