Leukerbad ist tot – es lebe das Literaturfestival Leukerbad!

Das 21. Literaturfestival Leukerbad ist Geschichte. 33 Autorinnen und Autoren aus über einem Dutzend Länder, lasen und diskutierten in 58 Veranstaltungen vor einem immer grösser werdenden Publikum. Einem Publikum, das voll auf seine Kosten kam und sich durch die Nähe zu den Akteuren begeistern liess.

«Das Ziel des Schreibens ist das Verschwinden.» Adolf Muschg

Dieses Jahr standen Reportagen und Essays im Brennpunkt. Die Frage «Was bedeutet die essayistische Freiheit in der persönlichen Auseinandersetzung mit einem Thema?» diskutierten Autoren in Gesprächen, Lukas Barfuss mit dem amerikanischen Essayisten Eliot Weinberger, Jonas Lüscher mit dem ägyptischen Schriftsteller Youssef Rakha, der sich in einem Essay auf die Suche nach dem aktuellen arabischen Sexleben – vor der Kamera, hinter dem Schleier, in den Privathäusern und im Internet machte. Er zeigt auf, dass Freiheit und sexuelle Freiheit Hand in Hand gehen und dass die Forderungen des arabischen Frühlings allumfassend und nach wie vor aktuell sind. Und Adolf Muschg mit dem deutschen Literaturwissenschaftler und Philosophen Jan Philipp Reemtsma, dessen Erfahrungsbericht «Im Keller» vor 20 Jahren geschrieben über seine 33 Tage dauernde Gefangenschaft und seine traumatischen Erfahrungen mit Allmacht und Ohnmacht unauslöschlich in meinem Gedächtnis blieb.

«Ein Roman ist ein Gemälde, über das ich weniger Gewalt habe, als das ich gerne hätte.» Adolf Muschg

Aber es waren auch die Begegnungen mit grossen Namen: Adonis, den grossen Dichter der arabischen Avantgarde, Viktor Jerofejew und Vladimir Sorokin, zwei provokante Kritiker Russlands, Jérôme Ferrari aus Frankreich, der 2012 mit dem bekanntesten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Aber auch «kleinere» Namen wie Perdo Lenz, der Mundart vom Fensten bot, Anita Siegfried, die vom verrückten Plan eines Kanals über die Alpen erzählte oder Sabine Gruber, die Südtirolerin, die uns Zuhörer mit der Buchpremière ihres neuen Romans «Daldossi oder das Leben des Augenblicks» über die Innenseite eines erfolgreichen Krisen- und Kriegsfotographen beschenkte. Die Liste wäre noch viel länger – beeindruckend lange, auch wenn vielversprechende Begegnungen wegen Krankheit der Akteure abgesagt werden mussten.

«Schreiben ist Evolution. Aber nicht wie bei Darwin. Es überlebt nicht der Stärkere, sondern das das Zarteste, das am meisten Zuwendung braucht.» Adolf Muschg

DSCN1317So deplatziert und morbid mir der Ort Leukerbad mit jedem Jahr sauer aufschlägt, mit seiner Anhäufung von leerem Raum, Plastiktischtüchern, russisch sprechendem Personal und Einmannmusikunterhaltung unter meinem Hotelzimmer, so beeindruckend war die Gewalt der Bergkulisse und die der Sprache. Schon erstaunlich, was Hans Ruprecht und Anna Kulp, die Leiter des Festivals, in Leukerbad zu konzentrieren vermögen – und ganz offensichtlich nicht nur zur Freude des angereisten Publikums. Ich freue mich schon jetzt auf den kommenden Literaturhochsommer 2017 in Leukerbad.

«Schreiben beginnt mit Staunen.» Adolf Muschg

Weiter auf diesem Blog folgen Berichte über Urs Mannhart und seine seltene Erde «Papacitanium» und die beiden literarischen Schwergewichte Julia Kissina und Vladimir Sorokin.

20160703_121834Radio Rotten Kurzinterview

Schreiben Sie einen Kommentar