Igor Rems «Wallfahrten», ein Abend mit dem Dichter und Maler

Igor Rems, Dichter und Maler, in Montenegro und in Köln wohnhaft, verbrachte, kurz bevor die Pandemie das kulturelle Leben der Schweiz lahmlegte, einige Tage bei Freunden in Zürich. Gelegenheit genug, einen Mann kennenzulernen, der beide Ausdrucksformen mit grosser Leidenschaft betreibt, für die Leidenschaft lebt, sowohl sprachlich wie bildnerisch in zwei „Sprachen“ sein Publikum zu fesseln weiss.

ANYBODY  SEEN  MY  BABY

Незнам у ком ћу кругу
Срести Твоје смеђе увојке
Груди уздигнуте до месеца
Оставих звук песка потопљеном уху
Злато и ваздух грлу ужареном
Израњаш голим гласом
Попут бескраја
Спајаш море са тамом
Узимам прстен самоће
Пустиња сам
Где ни речи не расту 

A ANYBODY  SEEN  MY  BABY

Webb werde ich dich wohl wiedersehen
Deine braunen Locken
Deine Brüste zum Himmel erhoben

Der Klang des Sands bleibt im Ohr versinken
Luft und Gold in der kühlen Kehle

Du tauchst auf mit nackter Stimme
Verbindest Meer und Dunkel
Zum unendlichen Sein

Ich nehme den Ring der Einsamkeit

Wüste bin ich
Wo nicht einmal Worte wachsen

Es sind Liebesgedichte. Aber viele dieser Gedichte sprechen aus der Einsamkeit. Es heisst: „Ich nehmen den Ring der Einsamkeit.“ So wie man den Ring der Liebe nimmt. Ist die Einsamkeit der Boden der Sehnsucht?
Da, samoca moze, ali ne mora, da bude osnovna pokretacka snaga ali isto tako moze da bude i nesreca, euforija, sve zavisno u kakvom emocionalnom krugu se pesnik nalazi i na koji nacin spreman da to zabelezi.
Ja, Einsamkeit kann, muss aber nicht die Antriebskraft sein. Genauso kann es auch Unglück, Euphorie sein, immer abhängig davon, in welchem emotionalen Kreis sich der Poet befindet, und auf welche Art und Weise er bereit ist, es niederzuschreiben. 

So wie die Einsamkeit durch ihre Gedichte spricht, so ist es die Leidenschaft. Ist Leidenschaft nicht genau der Motor, der Kunst, sei es Literatur oder Malerei entstehen lässt? Leidenschaft als eine Form des ungestillten Hungers?
Moze se tako reci – gladi za ljubavlju, gladi za dodirom, duhovne gladi…
Man kann es so sagen – Hunger nach Liebe, Hunger nach Berührung, spiritueller Hunger…

Im Unterschied zu ihren Bildern, die sich an Gegenständlichkeit halten, sind ihre Wortbilder verschlüsselt, viel mehr dem zugewandt, was zwischen den Zeilen steht. Und trotzdem können Malerei und Lyrik, was das Gebot der Objektivität nie kann; das Rätsel stehen lassen, so wie in ihrem Gedicht mit dem Titel „Peter Handke“, in dem ein Leser wie ich viel zu schnell nach Zeichen sucht. Ist Lyrik eine Sprache in der Sprache?
Apsolutno, mislim da je poezija zaista „jezik“ u „jeziku“, narocito je to izrazeno kod hermeticnih pesnika koji su okrenuti ka metafizickom izkazu.
Absolut! Ich denke, dass Poesie tatsächlich Sprache in der Sprache ist. Insbesondere fällt es bei den hermetischen Poeten auf, die sich metaphysisch ausdrücken.

Was passiert, wenn ein Gedicht von seiner ursprünglichen Sprache in eine andere übersetzt wird, die man wohl versteht, in der man aber nicht kreativ schreibt. Entfernt sich das Gedicht?
Mislim da bih na to mogao da dam odgovor kada bih jos jedan jezik poznavao kao svoj maternji jer onda covek ima najbolji pregled.Znacenje nekih reci na jednom jeziku tesko se moze transponovati na drugom bar je tako sa srbskim i nemackim, tako da se sintaksa ne poklapa i verovatno se onaj lepi rafinirani sarm jednog jezika gubi prevodom.
Ich denke, dass ich darauf antworten könnte, wenn ich noch eine Sprache sprechen würde wie meine Muttersprache. Denn dann hätte man den besten Vergleich. Bedeutungen gewisser Worte kann man nur schwer in eine andere Sprache übersetzen. Im Serbischen und Deutschen ist nur schon die Syntax sehr unterschiedlich, und wahrscheinlich verliert sich der schöne, raffinierte Charme einer Sprache durch die Übersetzung… 

Шума се рађа у мојим очима од земље

Црни храст пробија теме -химну моје радости
Гране ударају у манастирско звоно
Нарасло од млека звезда од зрелог камења
Напуштам те да бих Ти се изнова вратио
Повезани попут корења враћаш ме праГласу
Завичајном водом опран силазим у огањ сећања
Не могу да Те волим иако си прогутала
Сву моју таму и црно моје семе  

Ich kann dich nicht lieben

Der Wald erwächst in meinen Erdaugen.
Die schwarze Eiche durchbricht den Scheitel,
Meiner Freude Hymne.
Die Äste schlagen gegen die Klosterglocke,

Entsprossen den milchweissen Sternen,
Dem reifen Gestein.
Ich verlasse dich, um erneut zurückzukehren,
Wie Wurzeln verbunden, gibst du mich
Der Urstimme wieder.
Gereinigt vom Heimatwasser steig’
Ich hinab ins Erinnerungsfeuer.
Ich kann dich nicht lieben,
Auch wenn du verschlangst
All mein Dunkel und meinen schwarzen Samen.

Sie erzählen auch von der Liebe zu ihrer Heimat, wie im Gedicht „Ich kann dich nicht lieben“, in dem diese eine Zeile im Titel und fast am Schluss des Gedichts zeigt, wie sehr Liebe mit Schmerz verbunden ist. Dort steht auch „Gereinigt vom Heimatwasser steig’ / Ich hinab ins Erinnerungsfeuer.“ Heimat verbunden mit den Elementen Wasser und Erde, an anderer Stelle mit Luft und Erde. Was bedeutet Heimat für Igor Rems?
Otadzbina je za meine sve: Drvo, Sekira, Stit!!!
Heimat ist für mich alles: Holz, Axt, Schild (Schutz)!!! 

ЋУТЊA

Ћутња је птица

Уздрхтала кугла перја
Лет
У зрачној свадби тренутка

Ћутња је мирисна свила осмеха
У тиха свитања
Када морска копрена
Обруби успомена жар

Ћутња је дрво
Секира
Штит

Ћутња је исликани зид
Пред којим покорно клечимо у молитви

Ћутња је разцветала трешња
У прегибу препона
Језива тама која отвара
Снажна мушка једра

Ћутња је покрет тела

У немом завеслају
Бездан звезда
У бескрајном воденом кругу

Ћутња је шутња
Близнакиња
Љубав

Ћутња је слобода избора

Schweigen

Schweigen ist ein Vogel
Zitterndes Federknäuel
Flug
In strahlende Hochzeit des Augenblicks

Schweigen ist duftende Seide des Lächelns
Im stillen Morgengrauen
Wenn dünne Meeresflut
Die Glut der Erinnerung hüllt

Schweigen ist Baum
Axt
Schutz

Schweigen ist die bemalte Wand,
Vor der wir gefügig knien im Gebet

Schweigen ist der Kirschbaum in Blüte
Die Scham in der Leiste
Unheimliches Dunkel
Das starke Manneskräfte weckt
Stummer Ruderschlag des Körpers
Sternenabgrund in endlos blauen Kreis

Schweigen ist Schweigen
Zwilling
Liebe

Schweigen ist die Freiheit der Wahl

In ihrem Gedicht „Schweigen“ besingen sie den Zwilling der Liebe. Dieses Gedicht ist auch eine Kampfansage gegen das Dröhnen der Gegenwart. In der letzten Zeile schreiben Sie „Schweigen ist die Freiheit der Wahl“. Und doch liebe Welten zwischen Schweigen und Verstummen. Wer verstummt, nimmt sich und verliert sie gleichzeitig – die Wahl. Im gleichen Gedicht heisst es „Schweigen ist Baum / Axt / Schutz“. Erklären Sie dieses Dreigespann?
U nasoj mitologiji Drvo ima posebno znacenje, narocito Hrast i Lipa kao i sekira, nasi preci su nazivani Narod pcele i sekire i tu se kriju znamenja, koja  kod neupucenog izaziva nedoumicu mozda i nemogucnost da do pesme dohodi da je vidi iznutra!
In unserer Mythologie hat Holz eine besondere Bedeutung, insbesondere Eiche und Linde, wie auch die Axt. Unsere Vorfahren wurden als Volk der Bienen und der Axt genannt. Darin sind Zeichen versteckt, die bei nicht informierten Leserschaft Verwirrung und Zweifel hervorrufen könnten, vielleicht auch die Unmöglichkeit sich dem Gedicht anzunähern, es von innen zu erfassen.

ПИСМО  МАЈЦИ
Мајко

Годинама пријањам за тле
Зрелошћу кротим осећања
Откривам неиспијени океан
Твоје љубави

 Јесен пева шумама моје главе

 Разумевање постаје дар ланене душе
У белим куполама рађа се слобода
Треба ми Твоја нежност да не изгубим
Најдрагоценије семење
Које си ми топлим уснама утиснула

 Испуњен земљом Средоземља
Мирисима ловора и нара
Отвореним ребрима вришти дечак
Израстао из краљевског детињства

 И не буди тужна мати
Кад ми због Тебе теку сузе
Данима седиш сама
И као старинска ура
Мериш време и невреме

Brief an die Mutter

Jahrelang hafte ich am Boden
Mit Reife bändige ich Gefühle
Enthülle den umausgetrunkenen Ozean
Deiner Liebe

Herbstgesang durchdringt meinen Kopf

Die Liebe steigt hinauf
Wie ein Gebet
Aus leuchtend weissen Wortkuppeln
Deiner Pupillen

Ich brauche deine Zärtlichkeit
Die schaumige Quelle
Die blüht aus kostbarem Samen
Eingedrückt mit warmen Lippen

Erfüllt von mediterraner Erde
Lorbeer- und Granatapfelduft
Mit offener Brust schreit der Junge
Entwachsen der Kindheit Königreich

Sei nicht traurig Mutter
Wenn ich deinetwegen weine
Tagelang sitzt du alleine
Und wie eine antike Uhr
Misst du die Zeit.

Igor Rems, 1957 in Bar/Montenegro geboren, studierte Philosophie und Sport an der Universität Belgrad. Er veröffentlichte Gedichtbände auch auf Deutsch wie «Am Tor des Himmels», «Wilder Fluss», «Städte» oder «Wallfahrten». 2000 erhielt Igor Rems den Literaturpreis Rastko-Petrovic und 2003 den internationalen Naji-Naaman-Preis in Libanon. Seit 1993 lebt Igor Rems auch in Köln.