Ein Unikat der CH-Literatur feierte im März seinen 80.! Zu seinem Geburtstag macht er seinen Leser*innen und mir seine Autobiografie „Kind der Aare“ zum Geschenk. Zum ersten Mal begegnete ich Schneiders Werk, als man 1981 (Ich war 19!) den Fernseher ausschaltete, als bei der Ausstrahlung des Theaterstücks „Sennentuntschi“ nacktes Fleisch und rohe Lust unübersehbar wurden. Ich ging zu Bett, meine Lust auf Hansjörg Schneider aber war geweckt!
In seiner unaufgeregt erzählten Autobiografie schreibt der mit seinen Hunkeler-Krimis zur Krimi-Ikone gewordene Schriftsteller und Dramatiker von seiner Kindheit und Jugend in der sanften Landschaft der Aare bis zu seinen Grosserfolgen mit der Figur Hunkeler, die mit dem 2015 verstorbenen Schauspieler Mathias Gnädinger zu einer Identifikationsfigur wurde.
„Ich habe geschrieben, was ich schreiben wollte.“
Warum sich 340 Seiten antun, wenn seine Prosa und Theaterstücke mitreissend und entlarvend sind und keiner Erklärung bedürfen? Hansjörg Schneiders Leben als mittlerweile längst etablierter Schriftsteller verlief alles andere als geradlinig. Wer den Autor schon einmal getroffen hat oder gar mit ihm zu tun hatte, ahnt, wie wenig sich dieser um Konventionen und Schein schert. Hansjörg Schneiders Auftreten ist direkt, eigenwillig, durchaus schüchtern und manchmal gut schweizerisch hölzern. Seien es die obligaten Bauernhemden ohne Kragen oder Schuhe mit Klettverschluss, träfe Sprüche oder die kantigen Figuren, die er mit seinen Geschichten lebendig werden lässt. So wenig, wie sich Hansjörg Schneider um Künstlichkeit bemüht, so sehr ist sein Schreiben Resultat genauer Beobachtung und erfrischender Bodenhaftung. Und noch viel mehr!
“Ich bin stets ohne Sauerstoff getaucht. Ich brauche kein Hilfsmittel ausser der Brille, ich war mir Fisch genug.“
Hansjörg Schneider ist ein Mann des Wassers. Vielleicht ist mir deshalb keines seiner Werke so sehr in Erinnerung geblieben und eingeritzt wie der Roman „Das Wasserzeichen“. Die Geschichte von Moses Binswanger, der mit einer kiemenartigen Öffnung zur Welt kommt und sich immer wieder wässern muss. Die Geschichte eines schwierigen Lebens unter Menschen, vor denen sich Moses immer mehr zurückziehen muss. Erst recht, als die Liebe die Frauen mit ihm ins Wasser zieht.
So wie der Autor aus dem Land der Aare kommt, jenem Fluss, der bei Zusammentreffen mit dem Rhein seinen Namen verliert, obwohl sie meist mehr Wasser mit sich führt als ihr „Bruder“, so ist sein Schreiben und seine Herkunft mit dem Wasser verbunden, seien es die „Wasserzeichen“ in meinem Lieblingsroman oder die am Rhein spielenden Hunkeler-Krimis.
In seiner mit Witz und Schalk geschriebenen Autobiografie erzählt Hansjörg Schneider nicht nur von seinem Werdegang, sondern auch von den kleinen und grossen Demütigungen eines Schreibenden, der in keine Schublade passt, sich nicht in die Reihe der Intellektuellen einschleichen will und Theater schreibt, die sich keiner Modeströmung unterwerfen. Dass er damals mit seinem Theaterstück „Sennentuntschi“ einen Mehrfachskandal auslöste, zuerst im Theater und später im Fernsehen, ist nicht das Ergebnis eines wirklichen Skandalstücks, sondern der allgemeinen Prüderie.
Hansjörg Schneider, der früh seine Mutter verlor und sich einer übermächtigen Vaterfigur zu stellen hatte, der mit seiner Frau seine grosse Liebe fand und sie durch Krankheit und Tod wieder verlieren musste, erzählt aus seinem Leben, breitet nicht aus, wühlt nicht in Wunden, auch wenn der Zorn zuweilen aufblitzt. „Kind der Aare“ ist eine Hommage an eine verschwundene Welt. Das Schicksal aller, die alt werden und dabei nichts von ihrem scharfen Blick einbüssen. Bei der Lektüre fast schwarz-weiss, mit viel Bakelit und Stimmen und Bildern, die auch zu meinen Erinnerungen gehören. Hansjörg Schneider schlägt an und es schwingt mit.
Hansjörg Schneider liest anlässlich der 40. Ausgabe der Solothurner Litereraturtag an der Aare, seinem Fluss. Das Literaturfest findet vom 11. bis 13. Mai statt.
Hansjörg Schneider, geboren 1938 in Aarau, arbeitete nach dem Studium der Germanistik und einer Dissertation unter anderem als Lehrer, als Journalist und am Theater. Mit seinen Theaterstücken war er einer der meistaufgeführten deutschsprachigen Dramatiker, seine ›Hunkeler‹-Krimis führen regelmässig die Schweizer Bestsellerliste an. 2005 wurde er mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt als freier Schriftsteller in Basel und im Schwarzwald.
Titelfoto: Sandra Kottonau