Friedrich Christian Delius «Die Zukunft der Schönheit», Rowohlt

Der Georg-Büchner-Preisträger Friedrich Christian Delius war mit 23 für ein paar Wochen als ganz junger Autor nach New York eingeladen. Mit Freunden besuchte er dort einen Jazzclub in der verrufenen Lower East Side, ein Konzert des Saxophonisten Albert Ayler und seiner Band. Ein Gig, der Jahrzehnte nachhallt.

Friedrich Christian Delius erinnert sich 75 geworden an den einen Abend am 1. Mai 1966 in Slugs› Saloon in New York. Es war ein Ausflug mit Freunden in der Fremde, zum ersten Mal im «Land der Sieger», auf einer eben erst begonnenen, langen Reise als Schriftsteller

Es gibt sie, jene Momente, jene Schalt-, Wende-, Angel- und Kulminationspunkte im Leben. Ob dieser 1. Mai 1966 einer in Friedrich Christian Delius Leben war, ist vielleicht zum Teil Fiktion – aber in Buchform perfekt konstruiert und komponiert. Ganz anders wie der Freejazz damals in New Yorks Downtown, der alles andere sein wollte, als in Konstruktion und Komposition eingezwängt.

«Die Zukunft der Schönheit» ist das Porträt eines Mannes am Scheidepunkt, ein Abend in Echtzeit. Der Sound ist ohrenbetäubend, pulverisiert mit Synkopen und schrillen Tönen alles, brennt wie ein Feuersturm alles nieder. Eingemauertes im Nachkriegskopf des jungen Schriftstellers beginnt einzustürzen.

Schreiben war und ist Delius Stimme, sein Instrument, sein Sound. Nach dem Tod seines Vaters auf dessen Schreibmaschine getaktet. Er, der damals verschreckte Musiklaie, das Dorfkind, der Provinzler, der Predigersohn, Spätzünder sass mit einem Mal dort, wo sich die amerikanische Seele mit aller Radikalität und Intensität von den Verkrustungen und Verunsicherungen befreien wollte. Sei es der nie zu gewinnende Vietnamkrieg, das Attentat auf Kennedy. Alle Grenzen und Mauern sollten mit den Hörnern von Jericho niedergerissen werden, auch die Grenzen und Barrieren zwischen Schwarz und Weiss, dem zementierten Establishment und unüberwindbarer Armut.

Die Musik an jenem Abend provozierte und riss auf. Genau das, was Friedrich Christian Delius in den Jahren nach Kriegsende in seiner kleinbürgerlichen Heimat mit seinem Schreiben einreissen wollte. Im Kampf gegen den freundlichen Drogisten im Ort, der Jahre zuvor Stellvertreter Adolf Eichmanns war, der als Musterbürokrat den Tod Hunderttausender organisierte.

«Die vulkanische Gewalt der Musik» soll aufbrechen, erst recht die eben erst erkalteten Krusten in einem Deutschland, in dem sich Altnazis hinter Biederkeit verschanzten.
Delius schreibt, wie jedes Freejazz-Musikstück Fenster und Türen aufreisst, auch jene zu seinem Vater, den ihm der Tod unversöht durch Krankheit entreisst. Kurze Kapitel, nie mit einem Punkt endend, jedes am Schluss mit einem Gedankenstrich ins Leere. Als würde Delius immer wieder den Weg zurück in den Sound der Musik suchen, um sich gedanklich erneut wegtragen zu lassen.
Musik als Flammenmeer, in das alles versinken soll, was sich als Nazibodensatz in seiner Jugendstadt unter die Normalität abgesetzt hatte.

Ein musikalischer Einstieg in den vielfältigen Kosmos eines grossen Deutschen!

Friedrich Christian Delius, geboren 1943 in Rom, in Hessen aufgewachsen, lebt seit 1963 in Berlin. Seine Werkausgabe im Rowohlt Taschenbuch Verlag umfasst derzeit achtzehn Bände. Friedrich Christian Delius wurde unter anderem mit dem Fontane- Preis, dem Joseph-Breitbach Preis und 2011 mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt.

Titelfoto: Sandra Kottonau