Franzobel „Die Trinkersonne“, Burgart-Presse

Gute Gründe, seine Zeit in den sozialen Netzwerken zu vertrödeln, gibt es wenige. Aber wer lange genug im Mist kratzt, stösst auch mal auf ein Samenkorn, vielleicht ein Geldstück oder sogar einen Funkelstein. „Die Trinkersonne“ von Franzobel aus der Burgart-Presse ist ein Funkelstein! 

Franzobel, 2017 vielen bekannt geworden mit seinem preisgekrönten Roman „Das Floss der Medusa“ legt zusammen mit dem Illustrator Kay Voigtmann einen ganz besonderen Erzählband vor. „Die Trinkersonne“, vier Erzählungen nebst fünf Radierungen Kay Voigtmanns, handkolorierte Bilder, die genauso wie Franzobels Erzählungen dem Schrägen huldigen. Skurrile Illustrationen neben skurrilen Erzählungen – als wären die beiden Künstler Brüder.

Vom Moment des Elfmeters im vollen Stadion, wenn nicht nur die Uhren langsamer ticken, sondern Menschen. Vom Tierpfleger im Zoo und den Geheimnisse in der Nacht, wenn alle Besucher für ein paar Stunden ausgeschlossen sind. Von einer höllischen Gondelfahrt, bei der man trotz Bergfahrt fällt und fällt. Und von der Müllsacksammlerin, dem letzten Menschen, der so etwas wie ein ganzheitliches Welterklärungsmodell besass. Wundersame Geschichten knapp an der Wirklichkeit. Geschichten, die einem mit einem Schmunzeln stehen lassen und man sich wie bei einem intensiven Traum wundert, was alles geblieben ist.

Zugegeben, wer das Buch kauft, muss tief in die Tasche greifen. Aber dieses Buch ist kein Gebrauchsgegenstand, kein Mitbringsel, niemals Altpapier. Es ist in dreifacher Hinsicht ein Kunstwerk; vier witzig, phantasievolle Geschichten, fünf kongeniale Radierungen, die eigentlich nie und nimmer ins Bücherregal gehören und ein Buch, dass sich in Buchkunst und Sorgfalt vom meisten, dass sich Buch nennt, deutlich abhebt. Ein Buch, ein Schatz.

Der Buchverlag burgart-presse wurde von Jens Henkel im Februar 1990 in Rudolstadt gegründet und ediert seither ausgesucht literarische und gestalterische Kostbarkeiten. Vorausgegangen waren seit 1985 einige bibliophile Bucheditionen für die Pirckheimer-Gesellschaft der DDR und für die Galerie Oben Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Heute ist die burgart-presse der einzige Verlag in Thüringen, der sich fast ausschließlich auf originalgrafische Künstlerbücher konzentriert.

Jens Henkel, Leiter der Burgart-Presse und Kustos der Heidecksburg Rudolstadt

Im Mittelpunkt des Verlagsprogramms, bisher sind über 110 Editionen entstanden, stehen Erstveröffentlichungen zeitgenössischer Autoren und Künstler. Die Einbeziehung von Originalgrafik und der Buchdruck im Handsatz lassen lediglich limitierte Editionen in einer Auflage von 50 bis 100 Exemplaren zu. Bücher und graphische Arbeiten für ausgesuchte Liebhaber. Für Bibliophile, die nicht nur einfach lesen wollen. Für Leidenschaftliche, denen Bücher durch die Hände mitten ins Herz gehen!

Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, ist einer der populärsten und polarisierendsten österreichischen Schriftsteller. Er erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Ingeborg-Bachmann-Preis (1995), den Arthur-Schnitzler-Preis (2002) und den Nicolas Born-Preis (2017). Bei Zsolnay erschienen zuletzt die Krimis „Wiener Wunder“ (2014) und „Groschens Grab“ (2015) sowie 2017 sein Roman „Das Floss der Medusa“, für den er auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand und den Bayerischen Buchpreis erhielt.

Rezension zu „Das Floss der Medusa“ auf literaturblatt.ch

Titelfoto: Umschlagentwurf des Künstlers Kay Voigtmann