Christoph Simon «Die Dinge daheim», edition taberna kritika

Das kann so nur ein Schriftsteller! Vielleicht gibt es unter den SchriftstellerInnen auch nur ganz wenige, die es können, die es wirklich können. Und vielleicht ist Christoph Simon einer der ganz wenigen, die es meisterlich können: Den Dingen Leben einhauchen.

Christoph Simon zeichnet seine Dinge, all das, was er täglich benützt, was in seiner Wohnung steht, das eine verborgen, nur selten zur Hand genommen, das andere immer wieder. Er zeichnet sie mit Stift und Worten. Mit Stiften klar umrissen und mit Worten aufgebrochen und ausgefüllt, mit Leben und Seele: Die konservative Stimmgabel, die Spülmaschine, die zum Ort der Begegnungen wird, der nachdenkliche Staubwedel, der eingebildete Stöckelschuh, Madame Kuhn Rikon, die alte Pfanne in der Küche mit ihren Kratzern und Verbrennungen. Christoph Simon gibt den Dingen eine Seele, lässt sie reagieren, antworten, erkennen und zweifeln.

Ich wohne im Parterre. Als ich an diesem kleinen Bericht schrieb, fuhr ein fettes, schwarzes Auto auf den Besucherparkplatz vor der Tür. Ein Mann mit Krawatte und Mappe entstieg dem sichtbar teuren Gefährt, schloss die Tür und verriegelte seinen Schlitten mit seiner Fernbedienung. Er blieb einen kurzen Moment stehen, blickte zurück, einen Moment länger, als nur festzustellen, ob das Auto mit seinen Blinkern zwinkert. Es war der Blick eines besorgten Vaters, der nicht sicher ist, ob er seinen Schützling so ganz allein an einem fremden Ort sich selbst überlassen darf. Christoph Simon hätte dem Auto eine Stimme gegeben, hätte den Blick der sich entfernenden Biomasse nicht nur erwidert, sondern verbalisiert.

Christoph Simon «Die Dinge daheim», edition taberna kritika, 2021, 80 Seiten, CHF 15.00, ISBN 978-3-905846-61-4

Christoph Simon vermenschlicht die Dinge mit voller Absicht. Nicht aus Bewusstseinsgründen oder um das spezifische Gewicht der Dinge zu erhöhen. Christoph Simons Schreibe ist ein Spiel mit den Dingen. Er atmet den Dingen Leben ein, lässt sie unser eigenes Tun und Lassen spiegeln. Und Christoph Simon tut er meisterlich, in köstlicher Manier, sodass man den eigenen Dingen mit einem Mal ebenfalls versucht ist, Stimmen zu geben. Eigentlich müsste man das Büchlein in lauter Sprechblasen zerschneiden, um sie den Dingen überall an die Kontur zu kleben. Was Christoph Simon tut, hat etwas fein Subversives. 

Christoph Simon weiss, wie Dialog funktioniert. Auch den Dialog mit sich selbst. Er weiss es, weil er auf der Bühne steht und unmittelbar gezeigt bekommt, ob im Hinundher ein Wiedererkennungswert liegt oder nicht. Und doch sind die kleinen Miniaturen viel mehr als nur Minutengeschichtchen. Sie spiegeln die Welt des Menschen; all die Eitelkeiten, Eigenheiten und Einbildungen.

Man kaufe das Büchlein und stecke es in die Westentasche. Dann wird das Warten bei der Ärztin, die Fahrt im Zug, die Minuten im Bus zum reinsten Vergnügen!

Leseprobe auf der Homepage der edition taberna kritika

Christoph Simon, geboren 1972 im Emmental, lebt als Schriftsteller und Kabarettist in Bern. Er ist Gewinner des Salzburger Stiers 2018 und zweifacher Schweizer Meister im Poetry-Slam. Seine Romane (u. a. «Spaziergänger Zbinden», «Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen») sind in mehrere Sprachen übersetzt und mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet worden. Zu seinen Dingen daheim pflegt er ein entspanntes Verhältnis.

Rezension von «Swiss Miniatur» auf literaturblatt.ch

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Beitragsbild © Michael Isler