Eine Frau alleine in ihrer Wohnung, dem letzten Rückzugsort in einer Zeit, in der alles zerbricht, was einmal zu ihrem Leben gehörte. Nicht bloss Familie und Beziehungen, sondern eine ganze Welt. Frankreich bricht ab in einer Diktatur, in ein Land, dass sich der Geschichte verweigert und aus Menschen bloss noch Existenzen macht.
Cécile Wajsbrot schrieb keine chronologische Geschichte. Sie nimmt mich mit in ein dystopisches Paris, in die klein gewordene Welt einer Schriftstellerin, die von rätselhafter Seite her aufgefordert wird, einen „Soundblog“ zu führen. So erzählt die Protagonistin keine Geschichte, auch nur stückweise ihre eigene. Sie schildert eine Realität, die in vielen Belangen nur wenig entfernt von der Wirklichkeit zu sein scheint. In Coronazeiten erst recht.
„Wir dachten … Wir glaubten … Wir träumten …“
In Frankreich gab es umwälzende politische und gesellschaftliche Veränderungen. In einem Frankreich, das nicht in ferner Zukunft liegt, eher in unmittelbarer Gegenwart. In einem Frankreich, einem Europa, das in vielen Belangen schon die Neigung zeigt, sich in eine beängstigende Zukunft zu begeben, eine Zukunft der totalen Kontrolle, einer Zukunft ohne Vergangenheit, in eine Zukunft, in der Kultur zur blossen Unterhaltung degradiert wird, man in Konzert- und Opernhäusern nur noch Operettenhaftes zeigt, Bücher nur noch lauwarme Unterhaltung bieten und man alles dem Erdboden gleich macht, was älter als ein Jahrzehnt ist.
Die Protagonistin ist einsam geworden, mäandert, philosophiert und schweift gedanklich in einer Welt herum, die sie sich mit niemandem mehr zu teilen traut, ausser mit dem anonymen Kanal eines Soundblogs. Eine Frau, die dem nachtrauert, was einst das Leben ausmachte. Erinnerungen an eine Zeit, in der einst die Literatur der Leuchtturm der Gesellschaft war. Jener Turm, der vor den Untiefen in stürmischen Zeiten warnt. In einem Land, einer Stadt, die sich einst als Nabel der Welt, der Kultur, des Fortschritts, der Wissenschaft und der Eroberung verstand. In einem Land, einer Stadt, in der alles flach geworden ist, alles in Angst und Dunkelheit versinkt.
„Was nicht weitergetragen wird, gibt es irgendwann nicht mehr.“
Cécile Wajsbrot stellt sich in „Zerstörung“ aber nicht nur Fragen, sondern stellt sich selbst in Frage. „Zerstörung“ ist nicht das Protokoll einer äusseren Zerstörung, sondern jener gegen innen, gegen das eigene Selbst, gegen das Bewusstsein, ein Stück in einer Geschichte, in der Geschichte zu sein, wirksam zu sein bis in die Zukunft. Sie schreibt von einem Land, das Leck geschlagen mit Seitenlage sinken wird, auf dem die Menschen aber immer noch zur Musik tanzen. Über einen Staat, der das reine Vergnügen verordnet hat nach dem Motte „Lacht und vergesst, wir kümmern uns um alles Übrige“.
Schreiben und das stille Sprechen ist das einzige, was der Protagonistin geblieben ist. In einer Welt, in der Toleranz auf der Strecke geblieben ist, sich abschottet, sowohl gegen innen wie gegen aussen. „Zerstörung“ ist eine Analyse dessen, was einer Gesellschaft blüht, die nur noch ihren Hunger nach Unterhaltung stillen muss. Einer Gesellschaft, in der das Denken und Handeln nicht im plumpen Protest stecken bleibt und mit Engagement verwechselt wird. „Zerstörung“ bietet 230 Seiten gesellschafts- und kulturpolitischen Zündstoff, ohne je platt oder plakativ zu sein.
Cécile Wajsbrot untergräbt mein Denken, mischt sich ein bis in die scheinbaren Tiefen meiner Sicherheit.
Ein Buch wie ein mahnender Monolith!
Cécile Wajsbrot, geb. 1954, lebt als Romanautorin, Essayistin und Übersetzerin aus dem Englischen und Deutschen in Paris und Berlin. Sie schreibt unter anderem für die Zeitschriften «Autrement», «Les nouvelles Littéraires» und «Le Magazine littéraire». 2007 war sie Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 2016 erhielt sie den Prix de l’Académie de Berlin.
Anne Weber, geb. 1964, ist eine deutsche Autorin und literarische Übersetzerin. Sie arbeitete bei verschiedenen französischen Verlagen und übersetzte nebenbei Texte deutscher Gegenwartsautoren und Sachbücher ins Französische. Ihr Roman «Kirio» stand auf der Shortlist des Preises der Leipziger Buchmesse 2017.
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