Angelika Waldis nimmt alle mit.

Alles scheint erzähltes Leben. Alles durchsetzt von der Weisheit einer Sehenden. Wer sich auf die Webseite der fast 80jährigen Schriftstellerin Angelika Waldis hineinliest, findet ein Mindestmass an Fakten und einen Brunnen voller Geschichten. Und genauso sind Begegnungen mit der Autorin. Angelika Waldis las in der Kellerbühne St. Gallen aus ihrem neuen Roman «Ich komme mit» und man kam mit auf einen Roadtrip an den Rand des Lebens.

Literatur soll und kann Grenzen überschreiten, dorthin führen, wo einem Angst, Beklemmung, Rücksicht, Schüchternheit und Feigheit den Zugang verwehren – vielleicht zum Glück, aber nur vielleicht. Angelika Waldis erzählt in ihrem neuen Roman die Geschichte einer ungleichen Schicksalsgemeinschaft. Der 21jährige Lazy (eigentlich Lazar, von Lazarus, jenem Mann, der im Neuen Testament von den Toten zurückgeholt wurde) ist Student, eigentlich glücklich und bis über beide Ohren verliebt. Bis die Diagnose Leukämie dem Leben eine nicht zu korrigierende Wendung gibt und alles in Frage stellt. Im gleichen Haus wohnt die Witwe Vita, die in den Jahren nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben verwaltet, eine alt gewordene Frau.

«Ich komme mit» ist die Geschichte einer seltsamen, vergnüglichen und gleichermassen traurigen Freundschaft. Beide wollen nicht mehr, zumindest nicht das, was man ihnen zugedacht hat. Sie unternehmen eine letzte Reise gemeinsam. Während es Lazy immer schlechter geht, er sich langsam vom Leben entfernt, kommt Vita in ein Leben zurück, das sie vergessen hatte. Sie kocht für den jungen Mann, gibt ihm, als es ihm immer schlechter geht, eines der leeren Zimmer in ihrer Wohnung. Und als Lazy beschliesst, zur letzten Reise aufzubrechen, sagt Vita: «Ich komme mit.»

Ursprung der Geschichte sei eine Reportage gewesen über einen jungen Mann mit einem Tumor im Kopf. Die Krankheit sei das eine gewesen. Viel übermächtiger aber die Angst. Was würde sie tun, wäre ein Enkel in der gleichen Verfassung? Wäre sie bereit, mit dem Satz «Ich komme mit» mehr als nur zu trösten? Angelika Waldis Art zu erzählen, ihre Meisterschaft das Geschehen mit Witz, Galgenhumor, Schalk zu durchsetzen, ohne die Fährte zu verlieren, macht aus einem Stoff, der alle Untiefen von Kitsch in sich birgt, einen Roman voller Weisheit und Kraft. Voller Metaphern, die beinahe schmerzen. Nicht weil sie sich nicht vergreifen, sondern beissen, packen und nicht loslassen

Es ist der Witz, der Humor, die Fähigkeit, die Welt nicht tierisch ernst zu nehmen, selbst jene Themen, die ans wirklich Eingemachte gehen. Die Verschmitztheit und Weitsicht einer Weit-gegangenen. Angelika Waldis liest zwar hinter einem Tischchen mit künstlicher Patina. Aber an ihr und ihrem Schreiben ist weder Künstlichkeit noch Patina. Angelika Waldis sprüht vor Leben, genau wie es ihre Protagonisten tun, dem Leben trotzend.

Foto © Dominique Schütz

Sie sitze zuhause am Fenster, an einem Tisch, darauf ein Computer. Sätze und Geschichten flögen ihr zu. Sie brauche nur hinaus in den Garten zu sehen. Ich glaube der alten, weit gegangenen Dame, würde ihr fast alles glauben, denn was sie tut, tut sie ohne Aufhebens, authentisch. Man muss sie mögen, als Schriftstellerin mit ihren Büchern. Aber von Nahem noch viel mehr, wenn sie liest, erzählt und mit ihrer spritzig frischen Liebenswürdigkeit die Neugier der Zuhörenden stillt.

Angelika Waldis ist 1940 geboren und denkt immer noch, sie sei nicht alt. Sie ist in Luzern aufgewachsen, hat an der Universität Zürich eine Weile studiert (Anglistik/Germanistik), ist aber bald abgehauen in den Journalismus und in die Ehe mit ihrer ersten Liebe, dem Gestalter Otmar Bucher. Mit ihm hat sie einen Sohn, eine Tochter und eine Jugendzeitschrift gemacht. Heute hat sie drei Enkel sowie Freuden und Ängste beim Bücherschreiben. Ihr Roman »Aufräumen« (2013) war in der Schweiz ein Bestseller. Was sie häufig tut: in Gartenerde wühlen, mit Wörtern spielen, sich über dumme Zeitgenossen ärgern, neugieren und staunen.

Rezension von E. Berger auf literaturblatt.ch von «Ich komme mit»

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