Aharon Appelfeld zum Gedenken

Aharon Appelfeld starb am 3. Januar im Alter von 85 Jahren. Eine jener ganz Grossen, die trotz der Tatsache, dass die Bücher fast immer um dasselbe Thema kreisen, dennoch universelle Bedeutung und Kraft haben. Aharons Appelfelds Thema, an dem er sich abarbeitete, waren die letzten Kriegsjahre, zwei Jahre Überleben als nicht einmal Zehnjähiger in den Wäldern der Ukraine, die Flucht, die Jahre im Chaos nach einem alles zerstörenden Krieg. Ein Autor, der bleiben wird. Nicht nur in meinem Bücherregal!

Wer einsteigen will, dem empfehle ich den 2015 bei Rowohlt erschienenen Roman «Ein Mädchen nicht von dieser Welt».

Zwei verzweifelte Mütter bringen ihre beiden neunjährigen Knaben über Schleichwege aus der Stadt in den Wald, den einzigen Ort mitten im Krieg, der hoffen und leben lässt. Aber trotz Versprechen  bleiben die beiden Kinder abends allein und für unendlich lange auf sich gestellt. Nur ein Mädchen rettet sie unter Lebensgefahr bis in den Winter. Vor unsäglich dunklem Hintergrund erzählt der grosse jüdische Schriftsteller, wie glasklar die Welt in Kinderseelen sein kann, auch wenn Angst und Verzweiflung Gründe genug wären, Hoffnung und Leben verlieren zu wollen. Aharon Appelfeld, 1932 geboren, selbst als Junge in den ukrainischen Wäldern ein einsames Versteck vor den Schrecken des Krieges gefunden, schrieb eine eindringliche Geschichte über Mut, Liebe und Freundschaft. Ein trotz des Schreckens durch und durch poetisches Buch. Jedes seiner Bücher ist eine Offenbarung, eine Hymne darauf, was der Schrecken so leicht vergessen lässt.

Im November 2017 erschien bei Rowohlt sein bislang letzter Roman «Meine Eltern»: «August 1938: Am Ufer des Flusses Prut in Rumänien versammeln sich die Sommerfrischler, überwiegend säkularisierte Juden, darunter ein Schriftsteller, eine Wahrsagerin, eine früher mit einem Christen liierte Frau, die nun auf Männerschau ist. Auch der zehnjährige Erwin und seine Eltern sind hier, doch das Kind spürt, dass etwas anders ist: Hinter den Sommerfreuden, den Badeausflügen und Liebeleien geht die Welt, die alle kennen, zu Ende. Einige reisen früher ab, andere verdrängen die Nachrichten aus dem Westen. Spannungen bleiben nicht aus, auch nicht zwischen den Eltern, der Mutter, die Romane liest, an Gott glaubt und an das Gute, und dem Vater, dem Ingenieur, der alles rational und pessimistisch sieht. Als die Familie in die Stadt aufbricht, überfällt Erwin die Furcht. In der Schule wurde er geschlagen und als «Saujude» beschimpft – und er beginnt zu ahnen, dass an den unterschiedlichen Haltungen seiner Eltern noch viel mehr hängt: die Zukunft, das Überleben.
Ein feinfühliger Roman, der seismographisch die Brutalität des heraufziehenden Krieges verzeichnet – und zugleich das Porträt einer bürgerlichen Welt vor der Katastrophe. Eines der persönlichsten Bücher von Aharon Appelfeld, direkt, ehrlich und doch auch kindlich-schön.» (Informationen des Verlags)