Frédéric Pajak «Ungewisses Manifest 1», edition clandestin

Was eben erst in deutscher Übersetzung bei einem kleinen Bieler Verlag herausgekommen ist, soll der erste Teil eines neunteiligen Werks werden. Die edition clandestin verlegt belletristische Werke in Kombination mit Fotos, Zeichnungen und Illustrationen. Mit Sicherheit ein aufwändiges und kostspieliges Unternehmen, das dafür einen Bücherliebhaber wie mich umso mehr in Verzückung bringt.
Was Frédérik Pajak schuf, ist kein Roman, keine Geschichte, auch kein Graphic Novel. Ich als Leser muss mich einlassen in dieses aussergewöhnliche Buchprojekt, das mäandert zwischen essayistische Gedanken um Vergangenheit, Politik, Stationen aus dem Leben des Philosophen und Kulturkritikers Walter Benjamins uPoster20 3nd tagebuchartigen Notizen und Erinnerungen mit den Augen des Schriftstellers und Zeichners Frédérik Pajak. Walter Benjamin, der zu Beginn des 2. Weltkriegs vor der faschistischen Welle flieht, aber nirgend mehr Ruhe findet, vielleicht noch am ehesten auf der Mittelmeerinsel Ibiza, die damals noch weit weg war von der Tristess eines verschandelten Touristeninsel. Walter Benjamin war verzweifelt, allem beraubt, nicht zuletzt seiner Hoffnung.
Aber ebenso stark wie die Texte sind die Tuschzeichnungen, die als Tafeln über den Texten stehen, machmal illustrierend, manchmal klärend, manchmal wie eine Assoziation. Frédérik Pajak nimmt mich mit in seine Welt, seine Gedankenwelt. Ein Buch, das ich mir in kleinen Portionen schenke, ein Bilderbuch für Erwachsene, mit Bildern, die sich einbrennen und Texten, die neugierig machen.

Frédéric Pajak, geboren 1955 bei Paris, Franzose und Schweizer. Autor, Künstler und Verleger. Seine Bücher, für die er zahlreiche Preise bekam, 2014 Prix Médicis, 2015 Schweizer Literaturpreis, kombinieren Zeichnung und Text. «Ungewisses Manifest 1» ist der erste Band eines insgesamt neunteiligen Werks, welcher erstmals in deutscher Übersetzung erscheint.

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Bettina Spoerri «Herzvirus», braumüller

«Jetzt ist alles anders; ich weiss nie, wann sie diese völlig Fremde ist, eine unheimliche Frau, die ich nicht kenne und die mich nicht kennt.»

Nach Jahrzehnten nimmt die Erzählerin den Deckel von einer Kartonkiste mit der Aufschrift «PREMIUM BANANA Chiquita». Eine Kiste voller Erinnerungen an ihre Mutter, eine Kindheit, aus der der Vater früh verschwand und sie sich mit den beiden Brüdern an die Mutter klammerte, die von Ort zu Ort weiterzog, auf der Flucht vor sich selbst. Doch selbst die Brüder schimpften sie «die Nachgeburt». So bleibt die Tochter weggeschlossen, auf Distanz. «Herzvirus» ist die Geschichte einer zerbrechenden Familie, die die Verankerung verliert, der Leidensweg einer Mutter, die vom Herzvirus infiziert ist, die in eine «Ohnmacht fiel, aus der sie nicht mehr zurückkann». «Ich dachte: ein Herzvirus – das passt. Ihr Herz wurde infiziert, langsam vergiftet, paralysiert, es war zu viel für sie hier.» Während die Mutter langsam im Wahn zerfällt, die Kadenz ihrer Einbrüche immer schneller wird, zwingt es die Tochter, eigenen Gesetzmässigkeiten zu gehorchen, der vergifteten Welt ihrer Mutter zu trotzen. Und weil die Familie immer dann weiterzieht, wenn die Mutter erneut zur Flucht ansetzt, ist es die Literatur, das Lesen, Pippi Langstrumpf, Peter Pan oder das Märchen vom Kalif Storch, die der Tochter einen Ersatz für die verlorene Heimat schenkt. Literatur gibt nicht nur Geschichten, sondern Geschichte. Im zweiten Teil des Romans reflektiert die erwachsen gewordene Tochter lange nach dem Sterben der Mutter auch nach sich selbst, was ihr die Kraft gab, damals zu überleben.
«Wenn ich lese, verschliesse ich meine Ohren. Mit einem Satz saugen mich die Erzählungen auf, vieles, was ich im Leben nicht verstehe, erscheint verwandelt in den Büchern wieder, stärker, deutlicher, unvergleichlich wunderbar.»
Bettina Spoerris feinsinniger Roman ist die Hommage an eine verwundete Mutter, ein vorsichtig bebilderter Annäherungsversuch an eine verlorene Vergangeurn-newsml-dpa-com-20090101-150614-99-02223-large-4-3nheit. Auch wenn ich als Leser den Schmerz, etwas versäumt zu haben, mithöre, ist es die Liebeserklärung an eine Mutter, die sich manisch-depressiv immer weiter von den Kindern und der Welt entfernt, auch als ein neuer Mann einen Neuanfang verspricht. Bettina Spoerri schildert die Suche einer Tochter nach Geborgenheit und Halt, nach Liebe und Sicherheit, nach Erinnerung, nach Familie.

Poster20 3Bettina Spoerri ist in Basel aufgewachsen, studierte in Zürich, Berlin und Paris, arbeitete nach einem längeren Aufenthalt in Israel als Assistentin am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Ihr erster Roman «Konzert für die Unerschrockenen» erschien 2013 bei Braumüller (Wien). Bettina Spoerri arbeitet heute als freie Autorin, Filmkritikerin, Kulturvermittlerin und leitet das Aargauer Literaturhaus.

Webseite der Autorin

50. Nationaler Wettbewerb von Schweizer Jugend forscht: «Mein Vater wurde verfolgt» Lea Hildegard Frei (20) aus Amriswil (TG)

Schweizer-Jugend-forschtLea Hildegard Frei aus Amriswil erstellte eine Graphic Novel über eine vietnamesische Flüchtlingsfamilie. „Ich will begeistern, lehren, aufzeigen, aufwühlen, berühren, erzählen und hinterfragen.“

Wie lautet der Titel deines Projektes?
«Ein Leben für das Illustrieren»
Wie ist es dazu gekommen, dass du dich für dieses Thema entschieden hast?
Schon seit ich mich an einen Berufswunsch erinnere, war dieser eine Illustratorin zu werden. Ich zeichne schon immer oft und gerne. Noch heute ist die Welt der Illustration meine Leidenschaft. Die 9. Kunst (Comic und grafische Novellen) fasziniert mich besonders. Die Graphic Novel ist mein Lieblingsmedium. Mein Ziel ist es, mich als Comicautorin zu verwirklichen. Die Arbeit sollte mich mit dem Umgang, eine eigene grafische Novelle zu erschaffen, weiterbilden. Meine Berufung sollte sich bestätigen. Es sollte der erste grosse Schritt zu meinem Traum werden.
Worum geht es in deiner Arbeit?unspecified-1
Die zentrale untersuchte Fragenstellung meiner Arbeit war, wie man eine grafische Novelle anfertigt. Der Prozess von der Ideensuche, der Gedankenschwangerschaft zur mühevollen Geburt einer kurzen Graphic Novel, welche die wahre Geschichte einer vietnamesischen Flüchtlingsfamilie illustriert, stand im Fokus.
Was hast du mit deiner Arbeit herausgefunden?
Meine Arbeit bestätigt meine Fähigkeiten und meine Ziele. Neben vielen technisch erlernten Fertigkeiten gewann ich einen breiten Einblick in das kunstvolle und stark unterschätzte Erschaffen einer Graphic Novel. Die Sprache der visuellen Kommunikation ist hochinteressant und hat es mir stark angetan.
Was möchtest du mit deiner Arbeit bewirken?unspecified-2
Kommunikation ist unser Lebenselixier. Meine Arbeit soll aufzeigen, reizen und die Menschen erreichen. Mein Comic zeigt die Erzählung einer Flüchtlingsfamilie, ein sehr aktuelles Thema und doch nur einer von vielen Aspekten, die die Weiterentwicklung und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen uns Handelnden fördert. Ich möchte weiterlernen, mit Interessierten diskutieren und die interessante Welt entdecken, sie einfangen und das Gelernte in einer globalen Sprache weitergeben.

«Lea Frei hat in einer kurzen Zeit ein berührendes, authentisches und poetisches Portrait zu einem zeitaktuellen Thema geschaffen und lässt uns in die Welt von Menschen blicken, die aus ihrer Heimat fliehen mussten.» Würdigung durch Expertin Annette Gehrig, Kuratorin und Leiterin Cartoonmuseum Basel

Sonderpreis Academia Engelberg (Teilnahme an der dreitägigen Wissenschaftskonferenz in Engelberg. Die Teilnehmenden aus verschiedenen Nationen, Kulturen und Religionen diskutieren 2016 über das Thema «Im Grenzenbereich».)

Text von sjf.ch
Bilder von «Riechsteiner Fotografie, Schweizer Jugend forscht»