Yoko Ogawa «Zärtliche Klagen», Liebeskind

Es ist die Musik, die Ruhe, die Unaufgeregtheit, das Leben in der Stille, das Kammerspiel dreier Verletzter, die die Hauptrolle spielen in «Zärtliche Klagen», dem neusten Roman der Japanerin Yoko Ogawa. Ein Buch, dass man nach der letzten Seite ganz langsam schliesst und noch eine Weile über dem Herzen ruhen lässt, weil es dort angekommen ist.

Rukito fährt weg aus Tokio, hat genug von der Untreue ihres Mannes, den seelischen Grausamkeiten, denen sie sich nicht mehr entziehen kann. Sie fährt in die Berge, weg in das Landhaus ihrer Mutter, das weitab vom Lärm und der Hektik am Rande eines Waldes in einer kleinen Siedlung steht. Rukito ist Kalligrafin und nimmt sich vor, in der Abgeschiedenheit endlich die nötige Zeit aufzubringen, um die Memoiren einer alten, englischen Dame abzuschliessen. Das Haus in den Bergen soll verkauft werden, stand über Monate leer. Ein Ort ihrer Kindheit, der Erinnerungen. In der gleichen Siedlung leben Nitta, ein ehemaliger Pianist und nun gefragter Cembalobauer zusammen mit seiner jungen Assistentin Kaoru. Nitta baut dort in jener Stille und Abgeschiedenheit filigrane Instrumente, deren gezupfte Klänge in der Werkstatt des Meisterbauers zuhause zu sein scheinen.
Was sich zu Beginn der Lektüre wie eine leichte, unbeschwert herzliche Nachbarschaft entwickelt, wird immer mehr zu einem gemeinsamen Weg in die Tiefen der Verdrängung. Alle drei sind Entflohene, Weggelaufene, vom inneren Frieden Verlassene.

Yoko Ogawas Roman «Zärtliche Klagen» ist wie ein japanischer Garten, perfekt inszeniert, geheimnisvoll, aus europäischer Sicht etwas fremd. Wie die drei Protagonisten in Yoka Ogawas Roman agieren, erinnert an japanische Filmklassiker, die man liebt und doch nicht ganz versteht. «Les Tendres Plaintes» ist Musik des französischen Barock-Komponisten Jean-Philippe Rameau, von Kaoro, Nittas Assistentin, auf dem Cembalo so eindringlich gespielt, wie die Bilder und Emotionen, die sich beim Lesen Yoko Ogawas Roman auftun.

Yoko Ogawa gilt als eine der wichtigsten japanischen Autorinnen ihrer Generation. Für ihr umfangreiches Werk wurde sie mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Tanizaki-Jun’ichiro-Preis. Für ihren Roman »Das Geheimnis der Eulerschen Formel« erhielt sie den begehrten Yomiuri-Preis. Yoko Ogawa lebt mit ihrer Familie in der Präfektur Hyogo. «Zärtliche Klagen» wurde übersetzt von Sabine Mangold.