Wer gewinnt den Schweizer Buchpreis 2022? #SchweizerBuchpreis 22/10

Am Sonntag, den 20. November, kurz vor Mittag, ist es soweit; die Preisträgerin oder Preisträger des Schweizer Buchpreises 2022 wird im Theater Basel bekanntgegeben. Kameras, Blitzlichter, Blumensträusse, Enttäuschung da, Freude dort.

Ich gebe Alex Capus recht, Schreiben ist keine Olympische Disziplin. Schreiben ist Kunst. Und Kunst lässt sich höchstens mit Verkaufszahlen vergleichen, was aber nichts mit der Kunst selber zu tun hat, höchstens mit der Fähigkeit anderer oder jener, sich dementsprechend zu verkaufen. Ich gebe Alex Capus auch recht, dass AutorInnen nicht zu Zirkuspferden degradiert werden dürfen und sollen, die vorgeführt werden; ein Leitpferd mit hübschem Kopfschmuck und vier Begleitpferden, die das eine einrahmen. Dass es bei der Preisverleihung einen solchen Moment gibt, der nie ohne eine kleiner oder grösser werdende Peinlichkeit auskommt, streite ich auch gar nicht ab.

Aber bei einem Buchpreis wird auch nicht das wirklich beste Buch des Jahres ausgezeichnet. Wie sollte ein solches auch bestimmt werden. Schon die Frage, ob es ein solches überhaupt gibt, kann zumindest ich mit einem unmissverständlichen Nein beantworten. Das beste Buch? Da liest eine fünfköpfige Jury das, was von den Verlagen eingesandt wird. Sie lesen und geben dem einen Buch mehr Gewicht als den anderen, bis fünf Bücher nach einer Ausscheidung zurückbleiben. Aus der Politik wissen wir, dass am Schluss eines Prozesses der Kompromiss, der grösstmögliche gemeinsame Nenner präsentiert wird. Das ist auch hier so, auch wenn sich die diesjährige Jury sehr mutig gezeigt hat und alles andere als eine „Einheitssuppe“ präsentierte.

Thomas Hürlimann, Kim de l’Horizon, Lioba Happel, Simon Froehling und Thomas Röthlisberger


Das beste Buch des Jahres? Es ist wohl eher so, dass sich eine Jury auf ein Buch einigen konnte, auf das man einen extragrossen Scheinwerfer richten will. Der Schweizer Buchpreis ist vom Schweizerischen BuchhändlerInnenverein organisiert und mitfinanziert. Verkaufstechnische Überlegungen stehen im Vordergrund. Der Buchpreis ist eine PR-Aktion. Wie viel Bedeutung man diesem Preis zugestehen will, sei jedem selbst überlassen.

Viele Künstler, SchriftstellerInnen leben nicht allein vom Verkauf ihrer Kunst, ihrer Bücher. In der Schweiz mag es ein Dutzend AutorInnen geben, die das schaffen. Es braucht Lesungen, Stipendien, Förderbeiträge – und Preise. Preise generieren Aufmerksamkeit. Zu hoffen ist, dass alle Nominierten von solcher Aufmerksamkeit profitieren, auch Kim de l’Horizon, der in den letzten Monaten peinlich viel Unsinn über sich ergehen lassen musste.

Ich glaube, dass sich die Bücher von Thomas Hürlimann und Kim de l’Horizon in der Pole-Position die Nase vorn haben. Die Jury wird in jedem Fall mit der Bekanntgabe des Schweizer Buchpreises ein Statement abgeben. Sei es ein Statement für Tradition oder eines für Aufbruch. Grosse Preise, auch wenn der Schweizer Buchpreis im Ausland nur mässig wahrgenommen wird, sind immer Statement. Selbst die Vergabe des diesjährigen Nobelpreises für Literatur an die französische Altmeisterin Annie Ernaux kann als Statement verstanden werden. Mit «Das Ereignis» schrieb sie einen Roman über (oder gegen) staatlich kriminalisierte Abtreibung. Über die infernalische Einsamkeit einer jungen Frau im Kampf für ihr Recht auf Selbstbestimmung. Wenn man sieht, was in den USA oder auch in europäischen Ländern geschieht, ist diese Wahl mit Sicherheit auch ein Stück weit Signal.

Mein Siegerbuch ist «Blutbuch» von Kim de l’Horizon. Sollte Kim de l’Horizon am Schluss der Preisvergabe nicht im Blitzlichtregen auf der Bühne stehen wird, ist Kim de l’Horizons Buch mein Buch.
Weil es sich traut, weil es mutig ist.
Weil es dermassen vielschichtig, verflochten und klug ist.
Weil es mich ohne Arroganz zu lehren weiss.
Weil es mich überrascht und aus den Socken haut.
Weil Kim de l’Horizon sprachlich derart viele Register ziehen kann.
Weil die Diskussionen über dieses Buch und aus diesem Buch nicht enden werden.
Weil mich die Tatsache, dass «Blutbuch» ein Debütroman ist, verblüfft.

Und die anderen vier Bücher? Mein Kompliment an die Jury, denn die Shortlist des Schweizer Buchpreises hat es in sich. Fünf literarische Würfe, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Fünf Bücher, deren Lektüre sich lohnt, die es mir aber, weil sie mehr als blosse Unterhaltung sein wollen, nicht immer leicht machten.

«Blutbuch» von Kim de l’Horizon
«Der Rote Diamant» von Thomas Hürlimann
«Steine zählen» von Thomas Röthlisberger
«Pommfritz aus der Hölle» von Lioba Happel 
«Dürrst» von Simon Froehling

Gallus Frei

Illustrationen © leafrei.com