Brynhild Størset kam 1859 in Norwegen zur Welt und starb 1908 in den Staaten als Belle Gunness. Die Geschichte einer enttäuschten Frau, die sich nach Übersee rettete und doch nie ihre Ruhe fand, nicht einmal im Tod.
„Meine Männer“ ist in vielerlei Hinsicht ein aussergewöhnliches Buch. Was sich auf den ersten Seiten wie eine leidenschaftliche Sprachhymne an jene erste grosse Liebe, den Akt der Liebe liest, entpuppt sich mehr und mehr als rauschhaft geschriebenes Innenleben einer Frau, die bis heute als eine der übelsten Serienmörderinnen gilt, der man erst nach ihrem Verschwinden, ihrem angeblichen Tod auf die Spur kam. Als 1908 ihr Haus in Flammen aufging, fand man in den verkohlten Ruinen die Überreste zahlreicher Leichen.
Victoria Kielland, fasziniert von einer unfassbaren Person, nicht nachvollziehbaren Motiven einer Frau, der es zeitlebens nie mehr gelang, aus einer tödlichen Zwangshandlung auszubrechen, erzählt nicht einfach die fiktive Geschichte einer Mörderin. „Meine Männer“ ist eine emotional aufgeladene Schilderung einer Innenwelt, die in einer Weise fesselt und mitreisst, die selbst „geübte“ Leser*innen gleichermassen verunsichert wie begeistert.
Dieser Roman ist weder blutrünstiger Krimi oder Thriller noch überzogenes Kunstobjekt. Victoria Kielland geht es weder um einen Erklärungsversuch einer unerklärlichen Kette nicht nachvollziehbarer Verbrechen noch um ein möglichst faktennahes literarisches Spekulieren. Victoria Kielland schreibt sich in die Seele einer Frau, die nach Liebe sucht, der das Töten zum letzten Akt des Besitzens wurde, die diesen finalen Akt immer und immer wieder brauchte, um sich selbst am Leben zu halten.

Man reibt sich während der Lektüre die Augen, schüttelt den Kopf und wundert sich unsäglich, wie schaurig schön es der Schriftstellerin gelingt, einen Seelenzustand zu schildern. „Meine Männer“ ist vollendete Sprachkunst, Sprachmusik der Extraklasse, ohne dabei in Sphärisches, Hyperintellektuelles zu entrücken. Satzkaskaden, die den Rausch jener Frau, den Rausch der Autorin zu einem Rausch des Lesens machen.
Die Liebe reichte nicht für alle.
Als Brynhild Størset mit etwas mehr als zwanzig nach Amerika auswandert, hat sie als Magd einen Gutsbesitzersohn umgebracht, der sie mit grossen Versprechungen ins Bett an seine heisse Haut lockte und mit kalter Zurückweisung den ersten grossen Feuerbrand der enttäuschten Liebe entfachte. Sie kommt nach Chicago zu einer ihrer älteren Schwestern, die dort eine Familie gründete. Brynhild ändert ihren Namen zu Belle (oder Bella), wohl nicht so sehr um eventueller Strafverfolgung zu entgegen, sondern um sich selbst eine zweite Chance zu geben. Sie wird nach der Heirat mit dem Norweger Mads Sørensen zu Bella Sørensen, wird zweifache Mutter und zusammen mit ihrem Mann zur Geschäftsfrau. Aber es stellt sich kein Glück ein, ganz im Gegenteil; eine lange, fatale Kette tödlichen Unglücks. Das Geschäft brennt, die Kinder sterben, Mats stirbt. Mit dem Geld aus der Versicherung zieht Bella weg, nimmt neuen Anlauf, findet Mann um Mann, die alle irgendwann sterben. Bella rutscht in einen Wahn und ich als Leser werde Zeuge einer wahnhaften Verklärung, eines tödlichen Rauschs, der erst in Flammen ein Ende findet.
Was Victoria Kielland gelingt, ist aussergewöhnlich, ausserordentlich. Ich gerate in eine Leserausch, bin betört von Klang, Rhythmus und Beschreibung, die es so nur ganz selten gibt. Ein Buch, das ich nicht gelesen hätte, wäre die Autorin nicht auf der Gästeliste des Internationalen Literaturfestivals in Leukerbad gestanden. Was für ein Geschenk!
Victoria Kielland, geboren 1985 in Norwegen, studierte Theaterwissenschaft. Für die Prosasammlung «I lyngen» wurde sie für den Debütantenpreis von Tarjei Vesaas nominiert, sie erhielt das wichtigste Schriftstellerstipendium des norwegischen Buchhandels. Für «Meine Männer» wurde sie mit mehreren Preisen ausgezeichnet und erhielt hymnische Kritiken.
Elke Ranzinger, geboren 1980 in Passau, studierte Theaterwissenschaft, Nordistik und Neuere Deutsche Literatur in München und Bergen. Sie ist Übersetzerin, Moderatorin und Dramaturgin und übersetzt aus dem Norwegischen und Schwedischen u. a. Merethe Lindstrøm, Helga Flatland und Tore Renberg.
Beitragsbild © Julia Marie Nagelstad