Thomas Dütsch «Zwischenhoch», Nimbus

Thomas Dütsch sieht in seinen Gedichten die Zwischenräume. Er hält sich an Alltäglichem und gibt ihm Glanz. Wer Thomas Dütschs neuen Gedichtband ersteht, ihn mit nach Hause nimmt und in einem ruhigen Moment das Buch zur Hand nimmt, sieht mehr!

Lesen sie Gedichte? Vielleicht wäre es an der Zeit. Jetzt erst recht, wo man uns glauben machen will, dass man mit Hyperschallraketen, Lügen und Kanonenfutter „Konflikte“ lösen kann; laut, mit einem Knall, Kollateralschäden inbegriffen, wenn es Wirkung erzeugt sowieso. Lyrik ist das genaue Gegenteil von dem, womit männliches Machtgehabe die Welt in Angst und Schrecken versetzt. Können sie sich Despoten Lyrik lesend vorstellen? Dass an Amtseinsetzungen von Staatsmännern von einer jungen, schwarzen Frau Lyrik vorgetragen wird, ist Augenwischerei, auch wenn das, was sie sagt, ernst genommen beeindruckend sein könnte. Aber was in der Politik Zwischentöne sind, hat mit den Zwischentönen in der Lyrik so gar nichts gemein.

 

Kleines Gedicht

Das dünnwandige Herz in den Garten tragen
und unter den Strahl der Sonne stellen
Das Morgenlicht einschiessen lassen
bis der blecherne Eimer randvoll ist 

Dann erst unter die Menschen gehen

 

Thomas Dütsch ist in seinem Brotberuf Deutschprofessor an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Mit „Zwischenhoch“ hat er einen Gedichtband vorgelegt, der zeigt, was Lyrik kann, mit Zwischentönen und ganz direkt. Gedichte wie die seinigen sind in jedem Fall konstruktiv, aufbauend, ermunternd, selbst dann, wenn sie sich nicht scheuen, Dinge beim Namen zu nennen. Nicht vorzustellen, dass all die Aufgepumpten abends vor dem Insbettgehen oder morgens als Beginn in den Tag ein Gedicht lesen, nach den gelesenen Zeilen das Buch für einige Minuten sinken lassen, um dem Nachhall der Zeilen nachzugehen. Lyriker wie Thomas Dütsch scheinen in ihrer Wahrnehmung all jenen etwas voraus zu haben, die uns beweisen wollen, die Welt sei in wert und unwert aufzuteilen, in dienlich und störend, gewinnorientiert und unnütz. 

«Meine Studierenden wissen nicht, dass ich Gedichte schreibe. Einzige Ausnahme: Während einiger Jahre konnte ich eine Werkstatt in Kreativem Schreiben leiten. Die Studierenden, welche diese Werkstatt besuchten, wussten, dass ich Gedichte schreibe. Aber ich glaube, es interessierte sie nicht gross, weil  ich kein Spokenword-Künstler oder Slam-Poet war.»

«Zu unterrichten, ist mein Beruf, den ich sehr gern ausübe. Wenn ich Gedichte schreibe, ist der Dozent ganz weit weg. Als Dozent bin ich Wissender, Sender – als Poet bin ich Suchender, Empfänger. Das Gedicht ist für mich eine sehr persönliche Form, um über meine Erfahrungen mit der Welt nachzudenken. Dabei werde ich von der Sprache geführt. Das lyrische Schreiben ist eine ganz andere Form, sich auszudrücken als das Berichten oder Erzählen. Ein Gedicht füllt etwa einen Drittel einer Buchseite mit Text, aber wenn das Gedicht gut ist, ist die Seite voll.»

 

Im Stadtpark

Von den Fingern der Frühlingssonne ins Freie gepuhlt
setz’ ich mich auf eine Bank im Stadtpark und dreh’
mir ein Gedicht Aus meinem Sprachbeutel klaub’ ich
losen Tabak drösle die luftgetrockneten Silben einzeln
in die Papierfalte und füge sie zu einem Wörterwurm
Filter und Sonntagslippe versiegeln das kleine Werk
Sacht’ zieh ich es stramm puste die Lautkrümel weg
und klappe in ungetrübter Vorfreude mein Etui auf
Ich wische noch die letzten Fäden beiseite da löst sich
aus einem Pulk von Kapuzengestalten ein Wintergesicht
und erschnort sich maulfaul die frischgedrehte Kippe

 

Thomas Dütsch «Zwischenhoch», Nimbus, 2022, 84 Seiten, CHF 22.90, ISBN 978-3-03850-087-2

Dichter wie Thomas Dütsch wissen, dass sie mit leisen Tönen, vollendeten Sprachmelodien Bilder erzeugen können, die nur ein feines Ohr hören kann. Dass ein Professor einer Pädagogischen Hochschule, an der zukünftige LehrerInnen ausgebildet werden, an die Kraft der Lyrik glaubt und sich dieser hohen Kunst bedienen kann, stimmt mich hoffnungsfroh, weiss ich doch, wie selten heute an Schulen Gedichte eine Rolle spielen.

«Ich weiss nie, vorüber ich mein nächstes Gedicht schreibe. Ich habe mein Notizbuch dabei, aber aus welchem Eintrag in einer ruhigen Stunde am Wochenende dann ein Gedicht wird, das kann ich nicht steuern. Ein Gedicht entsteht, wenn ich für eine konkrete Beobachtung oder Erfahrung, die ich gemacht habe, auch die Sprache zur Verfügung steht. Im besten Fall gerate ich dann in einen sogenannten Flow und ich kann eine erste Fassung des Gedichtes hinschreiben.»

«Vor sechzig Jahren gehörten LyrikerInnen wie Enzensberger, Eich, Jandl, Bachmann zu den führenden Köpfen der Literatur und ihre Werke wurde in den Feuilletons heftig diskutiert. Diese Zeiten sind vorbei. Umso mehr freut es mich, wenn Elke Erb den Büchner-Preis bekommt oder Louise Glück den Nobelpreis für Literatur.»

 

Eisen im Schnee

Wer Bilder malt hat die Wahl
zwischen Naturhaarpinsel Kreide
Spachtel Buntstift oder Kaltnadel
Wer Bilder malt beugt sich
über Kupferplatten Steintafeln
gerippte Bütten oder Leinen

Wer schreibt hat die Wahl
zwischen Federkiel Bleistift
Füllhalter Tintenroller Fineliner
oder ergonomischer Tastatur
Doch ob Nänie oder Quodlibet
zuletzt steht alles auf Papier

Auf Papier? – Mitnichten
Wenn ich schreib knie ich
im winterlichen Kasernenhof
bin frierender Rekrut und übe
das Zerlegen des Gewehrs bis
die Eisen sich reihen im Schnee

 

In seinem neuen Gedichtband „Zwischenhoch“ denkt der Dichter und Professor auch über das Schreiben nach, neben Betrachtungen, Ermunterungen, Einsichten und witzigen Wortspielereien, bei denen man unweigerlich ins Schmunzeln gerät und verwundert darüber sein kann, mit welcher frischen Jugendlichkeit dieser Dichter lustvoll Knoten lösen kann. Lyriker schreiben nach innen. Thomas Dütsch schärft den Blick.

 

Im Garten der Zeit

Endlich da sein
Wurzeln schlagen
gleich dem Kirschbaum
unter dem ich träume
gleich der Greisin
die minutenlang
den Tisch betrachtet
den sie mit Liebe
für uns gedeckt hat
gleich dem Mittagswind
der das Kirchengeläut
über die Mauer trägt
die weissen Servietten
mit flinken Fingern
fächert und glättet
und dabei ohne
Wurzeln auskommt

(Ich danke dem Autor für die Erlaubnis, Gedichte aus dem Gedichtband «Zwischenhoch» in diesen Beitrag einfügen zu dürfen.)

Thomas Dütsch, geboren 1958 in Zürich, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Zürich, Tübingen und Berlin. Auf Einladung des Berliner Kultursenats war er 1991 sechs Monate Stipendiat im Literarischen Colloquium Berlin (LCB). Für seinen ersten Lyrikband «Windgeschäft» (2001) und «Weißzeug» (2011) erhielt der Autor Anerkennungsgaben der Stadt Zürich. Thomas Dütsch lebt in Wädenswil.

Beitragsbild © Renate von Mangoldt