Juli Zeh & Simon Urban «Zwischen Welten», Luchterhand

Theresa und Stefan wollen eigentlich dasselbe; die Welt ein bisschen besser machen. Sie auf einem Biobauernhof, er in der Redaktion eines grossen Wochenmagazins. Auch wenn es viel gibt, dass sie einander nahe bringt, drohen die Gemeinsamkeiten zwischen den Welten zu zerschellen.

Ich gebe zu, ich habe das Buch erst einmal für Monate weggelegt. Ich mag keine Mailromane, schon gar nicht wenn sie mit WhatsApp-Nachrichten angereichert sind, habe ich doch in meinem wirklichen Leben schon genug mit dieser Textform zu tun, meistens nicht zu meinem Vergnügen. Aber weil eine Leserunde bestimmte, „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban zu lesen, nahm ich den Schmöker noch einmal zur Hand – und wäre mit meinem voreiligen Weglegen um eine grosse Bereicherung bestraft worden.

Dass Juli Zeh und Simon Urban in Mailform erzählen, ist der Geschichte geschuldet, weder Trick noch Masche. Die beiden Protagonisten treffen sich in der Zeit, in der der Roman spielt, nur ein einziges Mal zufällig in der Stadt und das Zusammentreffen endet in einem Desaster. Sie schreiben sich und es entwickelt sich eine Freundschaft, die sich aus einer gemeineren WG Zeit während der Studienzeit nährt und der Notwendigkeit, in schwierigen Zeiten wenigstens jemanden an der Seite zu haben, dem oder der man ungehemmt und vorbehaltlos mitteilen kann, was auf der Seele brennt.

„Unsere Welt überlebt nur, wenn wir sie reformieren.“

Sie haben sich zwanzig Jahre nicht gesehen. Theresa hat nach dem abgebrochenen Studium den Bauernhof ihres Vaters in Brandenburg (nicht weit von Unterleuten!) übernommen, eine ehemalige Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft LPG, die ihr Vater als Genossenschaft weiterführte und durch den plötzlichen Tod des Vaters unterzugehen drohte. Einen Hof, den sie zu einem Bio-Milchwirtschaftsbetrieb umfunktionierte, dauernd an der Grenze zum Konkurs, nur deshalb überlebensfähig, weil sie sich trotz Familie mit jeder Faser dem Betrieb verschrieben hat.

Juli Zeh & Simon Urban «Zwischen Welten», Luchterhand, 2023, 448 Seiten, CHF 34.90, ISBN 978-3-630-87741-9

Stefan hat als Journalist und Redaktor Karriere gemacht. In Deutschlands grösster Wochenzeitung „Der Bote“ versucht er der Berichterstattung mit Neuausrichtung und der Initiation einer neuen Beilage zum Thema „Klimawandel“ ein modernes Gesicht zu geben. Eine Aufgabe, die ihn an seine Grenzen bringt, nicht journalistisch, sondern weil mit jungen KlimaschützerInnen die Redaktion in eine Richtung erweitert wird, die ihn mehr bedroht als unterstützt. Erst recht, als sein Chef wegen einer unbedachten Äusserung in einem Shitstorm unterzugehen droht und man ihm die Stelle als Chefredaktor zusammen mit einer jungen Klimaschützerin zuschiebt.

„Vielleicht solltest du das auch einmal versuche,. Laberland verlassen und die Ärmel hochkrempeln.“

Sie beide schreiben, weil sie ein Ventil benötigen. Aber ihre Mails werden zusehen zu einer Plattform, auf der sie ihre Klingen wetzen, jeder in seiner Welt, jeder um das Verständnis des anderen ringend. Ihre Leben haben nur wenig miteinander gemein. Theresa ist scheinbar untrennbar an den Hof und seine Tiere gekettet, fühlt von der Politik vergessen von der Verwaltung drangsaliert, von den Endverbrauchern nicht verstanden.
Stefan ist Single, mit seiner Arbeit verheiratet und ehrlich davon überzeugt, dass man mit Worten die Welt verändern kann. Aber so sehr er durch seine Tätigkeit als Journalist dem Geschehen eine professionelle Distanz entgegenbringen muss, so sehr vermisst er Unmittelbarkeit und Nähe. Jene Nähe, die er damals mit Theresa in fast geschwisterlicher Art und Weise erleben konnte, die er auch später mit vorübergehenden Lieben nie mehr erfahren konnte. Mit Theresa hofft er etwas von dem zurückzugewinnen, was sich ihm verschlossen hatte. Und Theresa selbst lässt sich im gepfefferten Hinundher zwischen ihnen aus einer Welt hinausziehen, die sie mit Haut und Haaren zu fressen droht.

Was in ihrem schriftlichen Disput um Klimapolitik, Landwirtschaft, Gendersprache oder Rassismus kreist, ist in seiner Tiefe viel mehr der Versuch, im Gegenüber Verständnis, Zuspruch und Resonanz zu finden. Und obwohl sie sich beim Klingenwetzen verbal verletzen, das eine Spontantreffen an der Alster völlig aus dem Ufer läuft, bleibt da die Sehnsucht, die Hoffnung und immer drängendere Wünsche. Bis einer in einer Schlinge baumelt, Beziehungen zerbrechen und ein weiterer Shitstorm durch den Äther tost.

Juli Zehs und Simon Urbans Roman entwickelt einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Und weil beide ihre Rolle voll und ganz übernehmen, ändert sich das Magnetfeld zwischen den beiden Protagonisten immer wieder, manchmal als logische Folge, manchmal völlig überraschend. Ein Roman, der ganz in der hyperaktivistischen Gegenwart pulst.

Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Promotion im Europa- und Völkerrecht. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman «Adler und Engel» (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Heinrich-Böll-Preis (2019). Im Jahr 2018 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz und wurde zur Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt. Ihr Roman «Über Menschen» war das meistverkaufte belletristische Hardcover des Jahres 2021.

Rezension zu «Neujahr» von Juli Zeh auf literaturblatt.ch

Rezension zu «Unterleuten» von Juli Zeh auf literaturblatt.ch

Simon Urban, geboren 1975 in Hagen, Studium der Germanistik, Komparatistik und Philosophie in Münster. Sein Roman «Plan D» (2011), in dem die DDR heute noch existiert, wurde in elf Sprachen übersetzt. 2014 erschien der Roman «Gondwana». Ausgezeichnet mit zahlreichen Literaturpreisen und Kreativawards wie Cannes-Löwen und dem Clio-Grand Prix. Für die Agentur Jung von Matt schrieb er den Edeka-Film #heimkommen, der weltweit für Aufsehen sorgte und zu den erfolgreichsten deutschen Virals gehört. Für die ARD verfasste er die Erzählvorlage zum Spielfilm «Exit». 2021 erschien der mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnete Roman «Wie alles begann und wer dabei umkam» über einen Juristen, der zum Rächer wird.

Beitragsbild © Peter von Felbert