Shukri Al Rayyan «Nacht in Damaskus», edition bücherlese

Baschar al-Assad ist gestürzt und nach Moskau geflohen. In Syrien jubeln die Menschen und hoffen auf ein Leben in Freiheit. Die ganze Welt sorgt sich: Ist die Nacht in Damaskus vorbei? «Nacht in Damaskus» von Shukri Al Rayyan ist ein Buch, das nachdenklich stimmt und aufwühlt.

Gastbeitrag von Urs Abt

Durch die aktuellen Ereignisse wird dieser Roman hochaktuell, indem er einzigartig aufzeigt, welches Schreckensregime in Damaskus herrschte und nun hoffentlich zu Ende geht. Es ist keine demokratische, sondern eine militärische Revolution mit ungewisser Zukunft, bisher aber ohne grosses Blutvergiessen. Mit diesem Buch fühle ich mich mitten im Geschehen, fiebere mit und stelle mir vor, was diese Ereignisse für die verschiedenen Protagonisten des Buches bedeuten.

Manuskriptbeginn

«Nacht in Damaskus» ist ein Buch ohne Orient-Romantik, sondern voll bitterer Realität. Auf den verschlungenen Wegen des Romans begegnen wir bei jeder neuen Wendung dem wahren Schuldigen, den Verhältnissen, die das tyrannische Regime der Assad-Familie zu verantworten hat, in dem Syrer entweder zu Kriminellen oder zu Opfern gemacht wurden. (aus dem Vorwort des Autors)

Shukri Al Rayyan «Nacht in Damaskus», edition büchlerlese, aus dem Arabischen von Kerstin Wilsch, 2024, 200 Seiten, CHF ca. 29.00, ISBN 978-3-906907-91-8

Der 2014 aus Syrien in die Schweiz geflohene Schriftsteller Shukri Al Rayyan bringt uns die beklemmende Atmosphäre in Damaskus im Jahr 2011 anschaulich und vielschichtig näher. Die Geschichte des jungen Ingenieurs Dschawad und der schönen, ambitionierten Lamis wird mit vielen Nebenfiguren bereichert. Als roter Faden steht ein Geld-Diebstahl von Dschawad im Zentrum. Zufällig findet er den unbeliebten Chef in seinem Büro tot auf, daneben ein Sack mit einem Haufen Geldnoten, den er zu sich nimmt. Bald verschwindet aber das Geldpacket. Die Beziehung des frisch verliebten Paars Dschawad und Lamis wird auf die Probe gestellt, die Beamten von Polizei und Geheimdienst versuchen ihrerseits ihr Glück, ans Geld heranzukommen.

Ist es ein Liebesroman? Ist es ein Krimi? Wer ist Opfer, wer Täter? Der Autor macht es mir nicht leicht. Es ist schwierig, sich mit einem Helden, einer Heldin zu identifizieren. Die Hauptrolle spiegeln die Verhältnisse, da auch die Liebe zwischen Dschawad und Lamis (er Sunnit, sie Alawitin) durch Misstrauen und Hass gefährdet ist und erst durch eine Flucht etwas Hoffnung aufkommt. Das Klima der Angst und Verunsicherung beherrscht sowohl Opfer wie auch Polizei und Geheimdienst.

Die politischen Ereignisse von 2011 mit der blutigen Niederschlagung des «Arabischen Frühlings» durch Truppen des Diktators verursacht Angst und Schrecken. Aufmüpfige werden gnadenlos gefoltert und ins Gefängnis geworfen. Jedermann ist sich selbst der Nächste. Die multiethnische Bevölkerung ist gespalten. Angst und Misstrauen beherrscht die Bevölkerung. Die Minderheit der Alawiten (wie Assad) besetzen die Ämter der Regierung, die Mehrheit der Bevölkerung sind Sunniten. Politische und religiöse Unterschiede bestimmen entscheidend das Leben der Menschen in Syrien.

Das Leben ist sehr grosszügig und verteilt immer wieder neue Chancen. Das Problem liegt allerdings bei jenen, denen sie geboten werden. Erkennen sie die Chance? Oder meinen sie, es handle sich lediglich um den Versuch, einem toten Körper Leben einzuhauchen?

Die gesamte Welt hat in den letzten Jahren in Syrien den Einsturz ganzer Gebäude, Viertel und Städte miterlebt. Dabei war dies bloss die skandalöse Offenbarung dessen, was bereits seit Jahrzehnten im Verborgenen geschah. Innerhalb kürzester Zeit hatte in den 1980er-Jahren ein Niedergang eingesetzt, ein lautloser unsichtbarer Horror. Nicht auf die Gebäude hatte man es abgesehen, nicht auf Steine, sondern auf die Menschen. Niemand weiss, welcher Groll und welcher Hass einen einzigen Mann dazu brachten, ein Land mit einer mehrere Tausend Jahre alten Kultur innerhalb weniger Jahrzehnte so zuzurichten.

Es gibt vielerlei Arten von Bestien. Nach landläufiger Meinung sind Bestien gross und hässlich, geben ein donnerndes Gebrüll von sich und stinken. Doch das ist eine voreilige Meinung. Man erkennt Bestien nämlich weniger an ihrer Grösse als vielmehr an ihren Handlungen. Genau genommen muss man sich nur ansehen, wie gross der Schaden ist, den sie jemandem zufügen.

Hoffentlich gelingt Syrien der schwierige Weg in die Freiheit. Die Lektüre dieses Buches ist sehr empfehlenswert und ich wünsche mir weitere Übersetzungen ins Deutsche von Shukri Rayyan.

Shukri Al Rayyan, 1962 in Damaskus geboren, verbrachte den längsten Teil seines Lebens unter der Herrschaft der Assad-Dynastie, was vor allem bedeutete: Zu überleben. Nach einem Maschinenbaustudium an der Universität Damaskus arbeitete er für verschiedene Verlage, als Autor und Drehbuchautor für Kinderbücher und Fernsehprogramme und schließlich als TV-Produzent. Shukri Al Rayyan floh 2014 mit seiner Familie aus Syrien in die Schweiz. Im Gepäck hatte er den Entwurf zu einem Roman, an dem er seit dem Ausbruch der syrischen Revolution im Jahr 2011 arbeitete. «Nacht in Damaskus» ist das erste ins Deutsche übertragene Werk des Autors, der auch unter weiterschreibenschweiz.jetzt, dem Portal für Exil-Autorinnen, publiziert. Heute lebt Shukri al Rayyan mit seiner Familie in Burgdorf bei Bern.

Kerstin Wilsch hat Übersetzen und Dolmetschen für Arabisch und Englisch in Leipzig und Deutsch als Fremdsprache in Berlin studiert. Sie lebt seit vielen Jahren im Ausland (UK, Marokko, Ägypten, Jordanien), wo sie u.a. zwei Übersetzerstudiengänge aufgebaut sowie Deutsch und Arabisch als Fremdsprachen unterrichtet hat. Zurzeit leitet sie ein Auslandsstudienprogramm für Studierende aus den USA in Amman/ Jordanien und ist zudem als Übersetzerin und Übersetzungslektorin für arabische Literatur tätig.

Foto © Ayse Yavas

Friedrich Buchmayr / Felix Diergarten (Hg.) «Anton Bruckner & Sankt Florian – Wie alles begann», Müry Salzmann

Was wird aus einem 13-jährigen Lehrerssohn, wenn er aus Not vom elterlichen Schulhaus weg an einen Ort von Welt gelangt?
Ein ausserordentlich schön gestaltetes und reich bebildertes Buch beleuchtet den Beginn und die lebenslange tiefe Beziehung des grossen Komponisten zum Stift Sankt Florian bei Linz. 

Gastbeitrag von Urs Abt

«Es gilt, ein vermintes Feld von Zuschreibungen, Vorurteilen und Fehldeutungen der älteren Brucknerliteratur zu bereinigen» 

In neun Kapiteln von fünf international renommierten Fachleuten taucht die Leserschaft ein in die oberösterreichische Welt des beginnenden 19. Jahrhunderts. Einerseits in das einfache Leben einer Lehrerfamilie im Dorf, andererseits in den damals blühende Augustiner Stift Sankt Florian mit der grössten und berühmtesten Orgel der Donaumonarchie. Vater und Grossvater des Komponisten lebten und wirkten als Lehrer in Ansfelden. Ein Lehrer wohnte damals mit seiner Familie im Schulhaus, neben Pfarrhaus und Kirche gelegen, was auf die erwünschte Tätigkeit auch im Kirchendienst und an der Orgel hinwies.

Anton war das älteste von 11 Geschwistern, von denen fünf das Erwachsenenalter erreichten. Am 7. Juni 1837 starb Antons Vater an einer Lungenentzündung, die Mutter Theresia Bruckner geriet mit den fünf verbliebenen Kindern in grosse Not.

Glücklicherweise konnte eine Zwangsheirat der Witwe, damals oft üblich, um Pensions- und Fürsorgegeld zu sparen, verhindert werden. Der älteste Sohn Anton wurde nach einem Schreiben von Pfarrer Seebacher an den Propst Michael Arnet als Sängerknabe im Stift Sankt Florian angenommen. Aus der kleinen Lehrerwohnung kam Bruckner an einen Ort von Welt, ein sehr entscheidender Schritt in seinem Leben. Fleissig und talentiert konnte er sich als Sängerknabe, als Musiker, als Lehrer und später als fantastisch improvisierender Orgelspieler und Komponist entwickeln.

Friedrich Buchmayr / Felix Diergarten (Hg.) «Anton Bruckner & Sankt Florian – Wie alles begann», Müry Salzmann, 2024, 272 Seiten, CHF ca. 53.90, ISBN 978-3-99014-258-5

Begleitet von reichlich abgebildeten Handschriften, Zeugnissen und Fotografien entsteht ein wunderbar entstaubtes und ausführlich dokumentiertes Bild vom Werdegang des Meisters. Die Welt innerhalb des Stifts, das Leben als Organist und Lehrer in Linz und Wien und viele entscheidende Begegnungen werden lebendig geschildert und dargestellt. Wir erfahren, wie Anton Bruckner sich lebenslang eifrig, oft als Autodidakt, weiterbildete und seine Erfolge auch bestätigt haben will. Aus dem Lehrer-Komponisten wurde so ein selbstbewusster autonomer Künstler. Der wenig auf Äusserlichkeit gebende Musiker eckte oft an, ging aber trotz Widerständen und Krisen beharrlich seinen künstlerischen Weg.

«Liebe Frau Mutter! Recht schön danke ich Ihnen für das Schnupftuch, welches Sie mir schenkten. O! könnte ich auch Gutes Ihnen erweisen, wie so gern würde ichs! Aber recht fromm u. gehorsam zu seyn, das verspreche ich Ihnen recht aufrichtig, so wie täglich für Sie zu Gott zu bethen. Ihr gehorsamer Sohn Anton Bruckner. St.Florian am 2. Jänner 1838»

«Ich wünsche, dass meine irdischen Überresten einem Metallsarge beigesetzt werden, welche in der Gruft unter der Kirche des regulierten lateranischen Chorherrenstiftes St. Florian, und zwar unter der grossen Orgel frei hingestellt werden soll, ohne versenkt zu werden und habe mir hierzu die Zustimmung schon bei Lebzeiten seitens des hochwürdigsten Herrn Praelaten genannten Stiftes eingeholt.»

Diese zwei Beispiele, der Brief des 14jährigen an seine Mutter und das Testament von Anton Bruckner weisen auf die werdende Persönlichkeit und Autonomie Bruckners hin.

Erstmals werden in diesem Prachtband die Kindheit und die lebenslange Beziehung des Komponisten wissenschaftlich auf dem neuesten Stand dargestellt. Reichlich mit Fotos und Bildern ausgestattet können wir handschriftliche Zeugnisse, Briefe und Notenbeispiele und Porträts des Meisters und seiner Fördere betrachten. Die handschriftlichen Dokumente (die meisten aus dem Stiftsarchiv) sind in die aktuelle Schreibweise übersetzt und erläutert. Erste Werke, darunter ein Requiem, eine Missa solemnis und kleinere Chorwerke, werden in Wort und Bild aufgeführt.

Zusammen mit dem 2024 neu eingerichteten Bruckner Museum in Sankt Florian ermöglicht dieses vorzüglich gestaltete Buch einen modernen entmystifizierten Blick auf das Werden und die Herkunft Anton Bruckners und lässt seine einzigartige Musik noch besser verstehen und geniessen.

Den Autoren und Autorinnen ist es gelungen, die kulturelle Ausstrahlung von Sankt Florian einzufangen und zusammen mit dem Leben und Wirken Anton Bruckners umfassend und spannend darzustellen.

Eine Bereicherung für jeden Bruckner Liebhaber!

Friedrich Buchmayr, geboren 1959 in Linz. Seit 1987 Bibliothekar in der Stiftsbibliothek St. Florian. Veröffentlichungen u. a.: «Der­ Priester­ in­ Almas­ ­Salon» (2003), «Madame­ Strindberg­ oder­ die­ Faszination­ der­ Boheme­» (2011), «Mensch­ Bruckner!­ Der­ Komponist­ und­ die­ Frauen» (2019) im Müry Salzmann Verlag.

Felix Diergarten, geboren 1980, ist studierter Musiker, promovierter Musiktheoretiker und habilitierter Musikwissenschaftler. Nach Professuren an der Schola Cantorum Basiliensis und der Hochschule für Musik Freiburg lehrt er heute an der Musikhochschule Luzern. Diverse Veröffentlichungen, zuletzt «Anton­ Bruckner:­ Das­ geistliche­ Werk»­ (2023) im Müry Salzmann Verlag