Pascal Aubry «Kinder des Lebens», BLOX, 1

Für Emily Star

Viele bemühen sich ein halbes Leben lang zumeist vergeblich darum, dass sie von ihren Eltern bedingungslos in ihrem lebendigen Sosein anerkannt werden. Der Mangel an elterlicher Zustimmung wirkt wie der Phantomschmerz eines Organs, das erst wachsen soll. Lucchino Visconti, mit dessen Filme ich ganze Ferien verbringen könnte, wurde erst nach dem Tod seines Vaters als Künstler tätig. Mit Vierzig! Der Grund, warum Eltern mit Zustimmung geizen, könnte darin liegen, dass sie mit ihren statistisch eineinhalb Kindern schlichtweg Anfänger sind. In jeder Phase kindlichen Heranwachsens drohen sie jämmerlich zu scheitern. Dazu kommt, dass Eltern Freizeit und Beruf opfern, in der überheblichen Annahme, Elternschaft fiele ihnen genauso leicht wie manches andere. Und sie klagen, dass ihr Kind nicht passgenau ihre delikaten Vorstellungen vom gelungenen Leben befriedigt.

Da besteht ein hoher Bedarf an Sicherheit.

Entweder man findet sich als Kind damit ab. Oder man erstürmt irgendwann dieses Bolllwerk an Verweigerung und prallt um so mehr ab. Ich habe schon herzzerreissenden Szenen beigewohnt, wo das Kind seine Anerkennung wörtlich erfleht hat. In einer Sturheit, die für sich genommen doch peinlich ist.

Bekanntlich gibt es Leute, die selbst in ihrem Leiden dickköpfig sind.

Väter und Mütter erwidern zurecht diese Not mit genauso kindischem Trotz. Ihnen wird ja auch ein passgenaues Verhalten abverlangt. Weder Worte noch Zeitpunkt überlässt ihnen das Kind zur Wahl, wenn es Anerkennung will. Ausserdem erscheint ihnen seine Lage ohnehin vorzüglicher, als es ihnen selbst damals beschieden war. So gesehen wirkt in Augen der Eltern die Anerkennung, die zudem unverhohlen eingefordert wird, wie das selbstgefällige Sahnehäubchen auf ein unverdient perfektes Leben.

Velleicht lässt sich diese beschämende Tragik mit etwas Umdenken vermeiden.

Vielleicht brauchen wir diese Zustimmung gar nicht so dringend, wie wir meinen.

Menschen zu ändern ist mühselig. Also gilt, besonders in lebensökonomischer Hinsicht: Umdenken und daraus Nutzen ziehen. Dazu lohnt sich folgende Überlegung: Es gibt Menschen, die von ihren Eltern nicht nur halbwegs, sondern ausdrücklich überhaupt nie gewollt worden sind. Die Fälle sind bekannt: Fehlerhaftes Kondom, Befruchtung trotz hormoneller Vorsorge oder verätzter Samenstränge. Statt diese Kinder zu bemitleiden, könnte man doch zum Schluss kommen, dass zwei selbstbezogene Menschen ohne Kinderwunsch schlichtweg vom Leben ausgetrickst worden sind.

Und was für das Kind gilt, das aus einer Panne hervorgeht, trifft genau genommen auf alle Geburten zu. Nämlich: Das Leben hat sie gewollt.

Wir alle sind Kinder des Lebens.

Wozu also soll man sich mit seinen Eltern und ihren Schlagseiten befassen? Man ist eng verwandt, das bindet. Blut ist dicker als Wasser und so weiter. Doch die charakterlichen Eigenarten, die den Eltern anhaften, ihre verdeckten kindischen Seiten, die Freuden und Leiden, die sie umtreiben, gehören notwendig zum Leben, sind aber für das Kind zufällig in Art und Ausprägung und also nur bedingt verbindlich.

Kinder, die von ihren Eltern gar nicht oder nur halbherzig gewollt sind, befinden sich sogar in beneidenswerter Lage.

Denn sie geniessen die unmittelbare Elternschaft des Lebens selbst.

Das Leben ist ihnen Mutter und Vater in einem. Sie haben zahllose Verwandte und sind in einer familiären Blase planetarischer Grösse wohlig eingebettet. Diese Leute schöpfen aus einer Anerkennung, die ihnen angeboren ist.

Und zwar bedingungslos.

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