Licht im August: William Faulkner
Ich hab das nie verstanden: Sommerbücher. Leicht und luftig. Da hat man endlich mal Zeit am Stück um zu lesen, sich den Büchern ganz auszusetzen, dass sie über einen hereinbrechen, alles umkrempeln; und dann wählt man eines, bei dem man nach jedem halben Satz auf-, und aufs Meer schauen kann und trotzdem den Faden nicht verliert. Oder noch schlimmer, bei dem es gar keine Rolle spielt, ob man mal kurz ein paar Sätze abschweift. Dafür brauche ich doch kein Buch. Dafür reicht das Meer (und wie weit es reicht).
Wenn da aber kein Meer ist. Und trotzdem Zeit. Dann und drum: Licht im August. Faulkner! Das rückt einem den Kopf mal wieder zurecht. Weil es alles an sich bindet, das Licht eben, die Landschaft, das Leben und nicht selten den Tod. Und das mit einer Sprache, die mir beim Lesen permanent ein wenig Hühnerhaut verursacht, so fein und gleichzeitig mit einer Wucht, dass kein Gedanke mehr daneben Platz hat. Weil diese Sprache auch mich mit Gewalt an sich bindet. Und Gewalt ist auch im Buch selbst genug. Und kein Trost, kein bisschen; aber da ist mehr Leben drin als – da ist das Leben drin.
(übersetzt von Susanne Höbel und Helmut Frielinghaus)
Maggie Nelson: The Argonauts
Da ist zuerst mal die Form. Im Amerikanischen läuft das unter Non-Fiction, bloß weil da jemand (nach-)denkt, ohne sich gleich mit der Figurenrede aus der Verantwortung zu stehlen. Und wie Maggie Nelson denkt! Kreuz und queer. Und gleichzeitig an ihrem Leben entlang erzählt, ihrer Beziehung mit Harry, seinem Sohn, wie dann noch ein neues Kind dazu kommt – und was das bedeutet, für die Liebe, für den Sex und eben fürs Denken. Wie sich das alles durch einander und durcheinander verändert. Viel auch über Kunst und Kunstbetrachtung. Über Alltag und Politik und Perversionen. Wie viele Nerven im Anus sich befinden und welche Beziehung wir zum Wort Radikalität finden könnten.
Es ist diese Mischung, welche die Theorie nicht vom Fiktiven trennt, ohne das eine immer gleich allzu offensichtlich das andere erklären zu lassen, die ich so toll fand. Die Spannung, die zwischen den Teilen entsteht. Man kann zuschauen, wie das Nachdenken über etwas gleichzeitig zur Erzählung über den Gegenstand wird. Und wie es Maggie Nelson gelingt, auf endgültige Schlüsse und Zuordnungen zu verzichten und gerade dadurch genau zu bleiben. Und wie emotional all das Denken ist und wie intelligent die Erzählungen vom Alltag. Und nicht selten habe ich mir bei der Lektüre gewünscht, dass mir dieses Buch jemand in der Schule zum Lesen gegeben hätte – ich glaube, es hätte mein Leben und Denken ein klein wenig freier gemacht.
(im Original)
Ben Lerner: 10:04
Immer mal wieder, wenn ich in einem Buch lese und irgendwas nicht stimmt – mit dem Buch oder mir – nehme ich 10:04 von Ben Lerner hervor, schlage irgendwo auf und es passt immer. So ein Buch ist das. Mit einer Geschichte, mit einer Dramaturgie, das auch, aber ich könnte es auch rückwärts lesen und jedes zweite Wort überspringen, irgendwas würde es immer noch in mir auslösen.
Es ist ein Buch, bei dem ich mich ständig frag, wie entscheidet der Autor, was alles dazugehört? Weil irgendwie alles dazu gehört, weil der Erzähler die meiste Zeit irgendwohin abschweift, in Gedanken und Geschichten (auch ein paar Bilder und bereits veröffentlichte Essays gehören dazu), um dann wieder irgendwo aufzutauchen und den Faden der Hauptgeschichte (der Freundschaft zu Alex, die ein Kind von ihm will, ohne unbedingt mit ihm zu schlafen) wiederaufzunehmen.
Und wie das dann auch noch immer etwas über unsere Zeit erzählt und dabei auch noch wirklich witzig ist. Ja, witzig und gleichzeitig ziemlich intelligent, eine Kombination, die ja nicht allzu oft vorkommt. Und ich frage mich, wie oft ich es noch wieder lesen kann, bevor es seine Wirkung auf mich verliert, oder inwieweit sie sich verändern wird. Und wann endlich sein nächstes Buch rauskommt.
(einmal im Original, oft übersetzt von Nikolaus Stingl)
Werner Rohner, geboren 1975 in Cala D’or. 2014 erschien sein Debüt «Das Ende der Schonzeit» bei Lenos. Der Roman wurde mit einem Werkjahr der Stadt Zürich ausgezeichnet, war für das beste deutschsprachige Debüt beim Rauriser Literaturpreis nominiert und erschien 2017 auf Französisch unter dem Titel «Fin de Trêve» bei Les Editions de l´Aires.