Menschen sind voller Sehnsüchte. Eine davon, vielleicht die stärkste, ist die Sehnsucht nach einem Zuhause, einem Ort, an dem man sich in keiner Weise zu verstecken oder verstellen braucht. Takis Würger beschreibt in seinem ersten Roman «Der Club» solche Sehnsuchtsorte; das Zuhause und die Freundschaft, die Liebe.
Schon die erste Seite seines Romans spiegelt, was Takis Würger kann. Er bringt es auf den Punkt, ganz klar, unmissverständlich, mit dem sicheren Gefühl für die richtigen Bilder, unprätentiös in der Sprache und mit tiefer Empathie für die Figuren. Allein die erste Seite seines Romans ist eine Geschichte. Wer in der Buchhandlung steht, die erste Seite aufschlägt und liest, sieht eine ganze Reihe von Türen und Fenstern, die neugierig machen auf das, was dahinter steckt.
Hans wächst in einem kleinen Haus im südlichen Niedersachsen auf, direkt am Wald, mit Eltern, die ihn wachsen und gedeihen lassen und einem Pferd, das keinen Sattel mehr ertägt. Hans ist ein Sonderling, als Kind eines, das nicht spielt, viel lieber die Zeit im Wald verbringt, um die Welt zu beobachten. Er mag die Schule nicht, ausser wenn im Fach Deutsch Geschichten geschrieben werden, Geschichten, die ihm erlauben, seine Ordnung zu schaffen, die Welt zu verstehen. Als zuerst sein Vater bei einem Verkehrsunfall und ein halbes Jahr später seine Mutter am allergischen Schock eines Bienenstichs sterben, hätte ihn seine Tante Alex aufnehmen sollen. Sie tut es nicht und schickt ihn in ein Jesuiteninternat, wo ihm Pater Gerald aus dem Sudan im Keller das Boxen beibringt. Boxen als eine Art Sprache, ein Rhythmus, der ohne Worte auskommt. Nach dem Internat inszeniert die Tante aus der Ferne, die Dozentin an der Eliteuniversität Cambridge ist, dass er zum Studenten an ihrer Universität wird. Es
gibt eine Angelegenheit, bei der er ihr helfen soll. Hans wird zum Studenten Hans Stichler, der im Auftrag seiner distanziert agierenden Tante ein Verbrechen aufdecken soll. Ein Verbrechen im Club, im Pitt Club, einer äusserst elitären Vereinigung in einer äusserst elitären Universität. Hans› Tante Alex weiss, dass sie niemals Zugang zu den geheimen Machenschaften innerhalb des Clubs finden kann. Aber Hans ist ihr Schlüssel – und nicht nur dank seiner Intelligenz und seines Boxtalents. Hans besitzt eine Gabe, die ihn in seiner Bescheidenheit auffallen lässt; er kann zuhören. Er gibt seinem Gegenüber schon mit seiner Gestik, seinem Blick das Gefühl, in ihm einen Freund, ein Stück Heimat gefunden zu haben. Ausgerechnet Hans findet Freunde, die er täuschen muss, um hinter ein Geheimnis zu kommen, von dem er selbst nichts weiss, das ihn aber immer näher an den Abgrund bringt. Seine Lüge wird zum Nitroglyzerin, das jederzeit zu explodieren droht. Er träumt ein Leben lang von Liebe und Freundschaft, um seinen Traum zum Alp werden zu lassen.
Die Welt ausserhalb des Clubs ist aufgeteilt in Sieger und Besiegte, Raub- und Beutetiere, Clevere und ewig Dumme. Takis Würger erzählt mit den Stimmen der Protagonisten, u. a. auch mit der von Josh, dessen Stimme so unglaublich viel Verachtung, Arroganz und elitäres Bewusstsein zeigt, dass ich gewisse Passagen seiner Aussagen fast unausstehlich empfand. Ein geschicktes Konstrukt des Autors! Takis Würger weiss, wie Geschichten erzählt werden, weiss es, weil er als Journalist den Riecher für Geschichten hat, weil er weiss, wie viel er Preis geben muss, ohne dem Leser das Gefühl zu geben, am Gängelband zu sein.
«Manchmal ist das Leben ein Rausch. Ich habe diesen Roman wie im Rausch geschrieben. Die Idee war einfach da, und ich habe sie in drei Monaten zu Papier gebracht.»

Bücher wie «DerClub» sind der Grund, warum ich Krimis nicht mag. Nicht dass ich es unverständlich finde, dass Krimis gelesen und gesehen werden. Aber mir sind sie zu einfach, zu eindimensional, zu plump. Zu oft haben sie mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Unterhaltung? Klar, aber mir ist die Zeit zu wertvoll, um mich mit Dingen zu beschäftigen, die mit dem Leben nichts zu tun haben.
Als ich Takis Würgers zur Seite legte, wachte ich auf wie nach einem Rausch. Ein Rausch ist konzentriertes Leben, erst recht dann, wenn er ohne Verstärker herbeigeführt wird. Ein solcher Rausch hat viel mit Wirklichkeit zu tun, genau wie sein Buch. Ein Buch, das auch ein Krimi hätte sein können, es aber nicht ist. Da fliesst Blut, es gibt Tote, es gibt die Guten und die Bösen. Und trotzdem kein Krimi, sondern die Geschichte darüber, was mit Menschen passiert, die den Boden unter den Füssen verlieren. Seien es nun die Snobs, die Geldgeilen, die Besten und Stärksten, die Erfolgreichen, die Winner oder jene die von einem Gefühl so sehr geritten werden, dass sie mit Vollgas auf den Abgrund zurasen können. Ein Buch darüber, dass jene besonderen Fähigkeiten, die uns zu Menschen machen, nur dann zum Vorschein kommen, wenn sich jemand darum bemüht, in welcher Form auch immer, am ehesten durch Liebe, vielleicht durch Sehnsucht, die nie gestillt wird.
Die Widmung, die mir der Autor an den Weinfelder Buchtagen in sein Buch schrieb, glaube ich ihm mit jeder Faser. Vielleicht auch ein Grund, warum man sein Buch so gerne liest. Das merkt man. Und hätten er einen Krimi geschrieben, wär das so nie passiert.
Takis Würger, geboren 1985, ist Redakteur beim Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«. Im Alter von 28 Jahren ging er nach England, um an der Universität von Cambridge Ideengeschichte zu studieren. Dort boxte er als Schwergewicht für den Cambridge University Amateur Boxing Club und wurde Mitglied in verschiedenen studentischen Klubs.
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Titelbild: Sandra Kottonau



gehe langsam vor, versuche sich psychologisch anzunähern, hineinzuhören, nicht auszuleuchten, nicht gewillt einer Pointe nachzurennen. Es reize sie, die Perspektive zu wechseln und sich nicht wie bei Romanen über Jahre mit dem gleichen Personal herumschlagen zu müssen. Franziska Gerstenberg , zierlich, fast zerbrechlich, las in Lederstiefeln mit drei grossen Schnallen übereinander, als müsse sie wenigstens in ihnen Halt finden. Sie las von Menschen in Not, wie dem stillen Dichter Stoll, der in der Orangerie an der Kasse hinter der Theke sitzt und mit seinem Lächeln auf Besucher wartet. Stoll, der in seinem Schreibzimmer zuhause den einzigen Ort besitzt, in dem und für den es sich zu leben lohnt.
Kopf, für die Stimme seiner Frau, die alles kommentiert, von der er stets weiss, wie und was sie sagen wird, wenn er etwas tun oder sagen will. Eine Stimme, die immer nur das „Richtige“ kennt. Anna Weidenholzer webt in ihren Roman Sätze, die haften bleiben, Sätze wie Schnappschüsse einer Meisterfotografin. Sätze, die klingen, Sätze, die man irgendwie kennt. Johannas Kehr bei Frédéric Zwicker, Stoll bei Franziska Gerstenberg und Karl bei Anna Weidenholzer; Männer, die zu verschwinden drohen.
Kähne, die durch die Meerenge ziehen. Auch wenn zu dieser Lesung in dem sonst gut besetzten „Raum für Literatur“ in der Hauptpost nur wenige Neugierige dem Dichter ihre Aufmerksamkeit schenkten, galten für mich diese 45 strahlenden Minuten als einer der Höhepunkte der diesjährigen St. Galler Literaturtage.
wirklich zu leben, Max zu entlassen. Während Anna sich in die junge Lilly verliebt, die in einer Bar serviert, Anna Stunden dort verbringt, um von ihr bedient zu werden, beschliesst der entsorgte Max, nicht mehr auf das zu verzichten, von dem es bisher nur in Massen gab. Auch Fleisch. Er lernt Charly kennen, eigentlich Sue, die ausgerechnet mit Lilly in der gleichen WG wohnt. Die Lage spitzt sich zu.
Simone Meier, geboren 1970 in Lausanne, ist Autorin und Journalistin – früher bei der «Wochenzeitung» und beim «Tages-Anzeiger», heute bei «watson» – in Zürich. Sie hat diverse Preise und Stipendien gewonnen. Ihr Romanerstling «Mein Lieb, mein Lieb, mein Leben» erschien im Jahr 2000. Simone Meier lebt glücklich von Liebe, Fleisch und Fernsehen. Und vom Schreiben.
An der Zürcher Lienhardstrasse 7 (braucht man nicht zu googlen) bekommen alle fünf Parteien auf fünf Stockwerken die An-Kündigung. Das filigrane Biotop eines Mehrfamilienhauses von Spekulation, Toleranz, Weghören und Heimlichkeiten ist nicht nur bedroht, sondern die einzelnen Spezies werden genötigt, ihre Distanziertheit, mit der man sonst doch so gut fährt, für den Kampf beiseite zu legen. Und mir als Leser, der zusammen mit dir als Schöpfer in ein offenes Puppenhaus blicken kann, offenbaren sich nicht nur Einsichten, sondern genauso viele Abgründe, von denen mich schon meine Eltern mit dem Satz „Was andere Leute tun und denken, geht uns nichts an“ zu schützen versuchten.
Max Küng, geboren 1969 in Maisprach bei Basel, besuchte nach der Ausbildung zum Computer-Programmierer die Ringier Journalistenschule. Seit 1999 ist er Reporter und Kolumnist beim «Magazin» des «Tages-Anzeigers». Neben diversen Musikkompositionen und Veröffentlichungen erschien zuletzt sein erfolgreicher Roman «Wir kennen uns doch kaum» bei Rowohlt. Max Küng lebt seit 2005 in Zürich, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
mit einer Charmeoffensive schlussendlich bis zu seinem neuen Zuhause lockt, denn sonst bleibt ihm, dem Städter, das Dorf fern. Er, der das Leben in der Metropole satt hat, der dem dauernden Stress und Konkurrenzkampf, dem Neid und der Gier entfliehen will. Das von ihm erschaffene Idyll ist bedroht, zum einen von Zeichen, wie dem Hakenkreuz aus Kornblumen mitten im Feld oder einer Versammlung von «aggressiv gebärenden Nazifuchteln» im einzigen Gasthaus. Jeder hat Angst vor dem Anderen, er vor dem rechten Mob, die ewig Gestrigen vor einer beginnenden Invasion von Stadtflüchtlingen, die das filigrane Ungleichgewicht auf dem Land destabilisieren könnten. Und als dann urplötzlich, nachdem Maja zum ersten Mal überraschend auftaucht und sich nicht ganz freiwillig zum Bleiben bringen lässt, ein Schlägertrupp auftaucht, Blut fliesst und alle Beteiligten knapp an der Katastrophe vorbei schrammen, droht der dünne Frieden in offenem Krieg auszuarten.
Bastian Asdonk arbeitete nach einem Studium der Philosophie und Kommunikationswissenschaft zunächst als Fernseh- und Radioautor für den WDR und berät heute Medienunternehmen in Fragen der digitalen Transformation. Mit dem von ihm gegründeten Online-Portal Hyperbole TV gab er bei Kein & Aber bereits das Buch «Typisch! 155 unverblümte Antworten auf Vorurteile» heraus. «Mitten im Land» ist sein Debütroman. Bastian Asdonk lebt in Berlin.