2012 veröffentlichte Wolfgang Hermann seine Erzählung “Abschied ohne Ende“ über das Trauma eines Mannes, der eines Morgens seinen 16jährigen Sohn tot in seinem Zimmer findet. Eine Geschichte, die mich damals tief bewegte, eine Geschichte, die den Schriftsteller bis heute nicht loslässt.
Ein Mann verliebt sich wieder, nachdem er geglaubt hatte, diese Welt hätte sich ihm für alle Zeiten verschlossen. In einer Zeit, in der er sich mit seiner Trauer in seiner Abgeschiedenheit arrangiert, in der sich die Leere in einen Dauerzustand ausgegossen hatte, in der er glaubte, unsichtbar geworden zu sein. Weil er den Schmerz über seinen Verlust, über den unverständlichen Tod seines Sohnes wie einen Mühlstein um seinen Hals mit sich herumträgt, in der Überzeugung, er wäre verloren. Bis er eine Frau kennenlernt. Auch eine Verlorene. Eine, die ein Ufer sucht, obwohl sie angekettet an einen Mann ist, den sie nicht liebt, der sie nicht liebt. Es wächst eine Liebe, die sich im Verborgenen abspielt, in Hotelzimmern, in der Wohnung des Mannes. Bis zu dem Tag, als die Frau ihm offenbart, sie wolle ein Kind von ihm, sie sei entschlossen, ihren Mann dafür zu verlassen. Was ohne Versprechen begann, was ihm den aufrechten Gang zurückgab, was ihn am Leben hielt, dreht sich mit einem Mal zurück in das Dunkel, aus dem er so mühsam gekrochen kam. Und weil die Frau sein Zögern vom ersten Moment weg spürt, kehrt die Leere zurück und die Liebe zerbricht.
Er fährt weg. Zuerst nach Paris, in die Stadt, in der er schon einmal ein paar Jahre wohnte, die ihn damals aufgenommen und alles gegeben hatte, was er sich erhoffte. Aber nicht nur die Stadt war anders geworden. Auch er. Er flieht weiter, fährt mit dem Hochgeschwindigkeitszug bis nach Marseille und lässt sich mit einem Taxi nach Le Tholonet vor das Haus eines befreundeten Paares fahren, dem er aber nicht berichtet hatte, dass er auftauchen würde. Caroll, Pierre und die beiden mittlerweile gross gewordenen Töchter sind da. Und die Freundschaft ist geblieben. Er holt seine Koffer im Hotel in Aix und bezieht ein Zimmer in einer Welt, in der sich das Glück wie die heisse Sommerluft in den Zimmern des Hauses festgesetzt hat. Aber noch reicht es nicht, um den Panzer des Schmerzes zu durchbrechen. Das tut ein kleines Mädchen am Meer.
Was sich in seiner Nacherzählung fast rührselig klingen mag, ist die Geschichte einer zaghaften Befreiung. Nicht jene von seinem toten Sohn, auch nicht jene von seinem Schmerz, seiner Trauer, sondern jene von der Leere, der er sich ausgeliefert hatte, die ihn wie ein schwarzes Loch ins Nichts hineinsog. Hermanns Erzählung „Insel im Sommer“ ist ein echtes Sommerbuch, tatsächlich eine Reise auf eine Insel, denn der Protagonist reisst den Anker aus dem Schlick und schafft es, endlich jene Distanz zu erlangen, die eine Flucht zu einer Reise werden lässt.
Was mich an Wolfgang Hermanns Erzählung aber viel mehr überzeugt als die Geschichte selbst, ist seine Sprache, die Leichtigkeit, das Gefühl, jenen südfranzösischen Küstenwind zu spüren, das Zirpen der Zikaden zu hören, den herben Duft der Kräuter zu riechen. Es sind die klaren Bilder einer klaren Geschichte, der Nachhall, wenn sich das Büchlein mit seinen siebzig Seiten schliesst!
Wolfgang Hermann, geboren in Bregenz, studierte Philosophie in Wien, anschliessend lange Aufenthalte in verschiedenen Ländern. 1996–1998 Universitätslektor in Tokio. Lebt in Wien. Zahlreiche Bücher, u. a. «Herr Faustini verreist», «Abschied ohne Ende», «Schatten auf dem Weg durch den Bernsteinwald«, «Das japanische Fährtenbuch», «Walter oder die ganze Welt«, «Der Lichtgeher» und «Herr Faustini bekommt Besuch«. Übersetzungen in zahlreiche Sprachen.
Beitragsbild © Volker Derlath