Claudia Schreiber las am «WortMenue», dem literarisch-kulinarischen Festival Bodensee

Zum 11. Mal lud das literarisch-kulinarische Festival am Bodensee mit Schriftstellernamen wie Franz Hohler, Claudia Schreiber, Karl-Heinz Ott oder Thomas Meyer in Überlingen und Umgebung zu Tisch. Ein Festivalkonzept, eine Genussmischung, die zu funktionieren scheint, denn die meisten der Veranstaltungen waren schon kurz nach Beginn des Vorverkaufs ausverkauft.

An der Rezeptur des „WortMenues“ hat sich in den zwanzig Jahren seines Bestehens so gut wie nichts geändert; „Die Verbindung von anspruchsvollen Inhalten renommierter Schriftsteller mit gepflegter Gastlichkeit und Kochkunst in kleineren, dafür atmosphärisch ansprechender Gaststätten.“ Und weil Festivalchef Peter Reifsteck vor 14 Jahren mit der der damals noch wenig bekannten Autorin Claudia Schreiber und ihrem eben erschienenen Roman „Emmas Glück“ ein Volltreffer gelang, lud er sie mit ihrem neusten Roman „Goldregenrausch“ wieder ans „Wortmenue“ nach Überlingen. Damals begann die Erfolgsgeschichte von Claudia Schreibers Roman „Emmas Glück“, der wenige Jahre später mit der ebenso erfolgreichen Verfilmung mit den Schauspielern Jürgen Vogel und Jördis Triebel 2016 ihren Höhepunkt feierte. Eine Produktion, bei der Claudia Schreiber auch beim Drehbuch mitwirkte und die bei Presse und Publikum viel Beachtung und grossen Erfolg erntete.

Mit „Goldregenrausch“ wollte Claudia Schreiber noch einmal „so richtig reinhauen“, von jenem Milieu erzählen, in dem sie aufgewachsen ist, einem Dorf, das nichts zu tun hat mit LandLiebe-Idylle, dem verkörperten Sehnsuchtsort all jener, die dem städtischen Dichtestress entfliehen wollen und  zwischen Obstbäumen und putzigen Fassaden das Glück vermuten. Claudia Schreiber erzählt in „Goldregenrausch“ das harte Aufwachsen eines Mädchens, das nicht besser oder liebloser gehalten wird, wie die Kälber und Ferkel im Stall. Ein Kind eben, mehr nicht. Claudia Schreiber wuchs auf dem Land auf, klaute als Kind unendlich viele Süsskirschen und besass als Studentin 700 Sauerkirschenbäume, die es zu bewirtschaften hiess, mit denen sie sich ihr Studium finanzierte. Sie weiss, dass Nahrungsmittel nicht aus dem Supermarkt kommen und Liebe nicht wie Sauerkirschen an Bäumen wächst. Claudia Schreibers Schlag gilt all jenen, die Dummheit, Stumpfheit und Borniertheit von Generation zu Generation mit Überzeugung weitergeben als wäre es ein Naturgesetz und widerspricht all jenen, die glauben, dass sich der Liebreiz einer Gegend automatisch in die Herzen ihrer Bewohner überträgt, weder damals noch heute.

Greta steckte die Zigarette an, sog gierig, inhalierte tief. Kam dem Mädchen nah, umschloss mit ihren Lippen dessen kleine Nase und pustete dem wimmernden Kind die tröstende Betäubung in keinen Schüben ein.

«Veritables Drama, in das ich als Leser so sehr einsteige, dass ich am liebsten Brandbeschleuniger hinzuschütten würde, um ein Schrecken ohne Ende abzuwehren.“

Resilienz beschreibt die Fähigkeit, allen Widrigkeiten zum Trotz ein „guter Mensch“ zu werden, trotz aller Lieblosigkeit und Kälte lieben zu lernen, nicht unterzugehen, jenen Kern nicht zu verlieren, der glühen soll. Das Interesse an der kleinen Marie ist schnell verloren, schon allein, weil sie von produktiver und gewinnbringender Tätigkeit auf dem Hof abhält. Die grossen Brüder helfen, haben sich längst eingefügt in das zweckgebundene Handeln auf einem Hof, der immer zu wenig helfende Hände hat. Wäre da nicht die Schwester des Bauern, die im Nebenhaus Wohnrecht auf Lebenszeiten „geniesst“, die sich unwiederbringlich mit ihrem Bruder verstritten hat, wäre Marie längst an Unterernährung, seelischer und körperlicher Kälte gestorben. Aber Marie gedeiht, den Umständen zum Trotz, erst recht.

Claudia Schreiber mag Konflikte, in ihren Protagonisten genauso wie zwischen Drama und Witz, zwischen scheinbarer Idylle und abgrundtiefer Finsternis, mag Szenerien, die ebenso erotisch wie komisch sein können. Sie taucht tief in eine Welt, die während des Lesens phasenweise fast unerträglich wird, weil sie „Dampf“ ablassen kann, ohne die Menschen dabei durch Klischees platt zu machen, weil sie flucht und wettert, weil sie die Verteilung aus dem Paradies bis in alle Details schildert, weil sie erzählt, wo andere längst rot werden und zu stottern beginnen, weil sie authentisch ist.

© Holger Kleinstück

Claudia Schreibers Freundin Dorothea Neukirchen las und Claudia Schreiber erzählte im Landgasthof Keller in Lippersreute. Eine überaus gelungene Mischung, die einen ganzen Saal zum Beben brachte.

Claudia Schreiber wurde 1958 in einem nordhessischen Dorf geboren, als viertes von fünf Kindern, die Eltern waren erst Obstbauern, später Konservenfabrikanten. Nach dem Studium wurde sie 1985 Redakteurin beim Südwestfunk Baden-Baden, später Redakteurin und Moderatorin beim ZDF. Seit 1992 ist sie Autorin mehrerer Romane und Kinderbücher. Besonders erfolgreich war sie mit «Emmas Glück», verfilmt mit Jördis Triebel und Jürgen Vogel in den Hauptrollen. Bei Kein & Aber erschien 2011 ihr ebenfalls erfolgreicher Roman «Süß wie Schattenmorellen», neu lieferbar als Kein & Aber Pocket. Seit 1998 lebt und arbeitet Claudia Schreiber in Köln.

Rezension zu «Goldregenrausch» auf literaturblatt.ch

«Die Brautmutter» auf der Plattform Gegenzauber

Webseite der Autorin

Claudia Schreiber «Goldregenrausch», Kein & Aber

Ein Hof und daneben ein Haus. Eine Familie mit ein paar Kindern und daneben eine ledig gebliebene Tante, die Schwester des Bauern. Was als Setting so gar keine Spektakel verspricht, wächst sich in Claudia Schreibers neuem Roman „Goldregenrausch“ zu einem veritablen Drama aus, in das ich als Leser so sehr einsteige, dass ich am liebsten Brandbeschleuniger hinzuschütten würde, um ein Schrecken ohne Ende abzuwehren.

Marie, das fünfte Kind der Bäuerin, flutscht. Ein ungewollter Nachzügler, ein Mädchen nach vier Rabauken, nachdem sich das Leben auf dem Feld, mit der Hacke in der Hand längst endgültig eingespielt hatte. Während die Bäuerin im Wochenbett das süsse Nichtstun geniesst und mit ihrem kräftigen Busen stillt, bringt sie ihr Arzt darauf, die überflüssige Muttermilch zu verkaufen. Interessierte verschiedenster Couleur gäbe es genug. Und so wird aus dem Wochenbett ein monatelanger, ärztlich abgesegneter Dauerzustand. Es fliesst Geld, viel Geld, von dem der Bauer keine Ahnung hat und das die Träume der Bäuerin beflügelt.

Aber kaum ist das nicht mehr länger aufrecht zu haltende Wiegenfest zu Ende, beginnt für die kleine Marie, das Mädchen, das noch nicht einmal spricht und noch in Windeln liegt, ein Leben im Abseits. Während die Eltern von morgens bis abends auf dem Feld rackern und die viel älteren Brüder die Schule und Umgebung verunsichern, parkiert man Marie in einem Laufstall, mit einer Flasche Milch und einer Flasche Wasser, überlässt sie dem Schicksal, im Sommer im Garten und im Winter in einem leeren Zimmer mit psychodelischer Tapete.

Bauer und Bäuerin erwarten von Greta, der Schwester des Bauern, die im kleinen Häuschen neben dem Hof Wohnrecht geniesst, keiner geregelten Arbeit nachgeht und eine begnadete Gärtnerin ist, dass sie sich um die kleine Marie kümmert. Aber Greta wurde nie gefragt, so wie sie im Leben nie gefragt wurde, wenn man über ihr Leben entschied. Der Bruder ist davon überzeugt, Greta sei zurückgeblieben, protzt in Gesellschaft, „der Vater habe nach Gretas Geburt versehentlich ihren Körper im Garten vergraben und statt dessen deren Nachgeburt grossgezogen“.

Aber irgendwann schafft es die kleine Marie, die gehärtete Seele ihrer Tante zu erweichen. Nicht durch Überzeugung, aber mit der Erkenntnis, es den Pflanzen gleichtun zu müssen, freundlich zu erblühen, selbst mit ganz wenig Wasser.
So entgleitet Marie immer mehr den herzlosen, abgestumpften Eltern. Selbst Arzt und Klerus können nichts bewegen. Zwischen Marie und Greta wächst eine Allianz der Verschmähten, zwei Vergessener. Marie, ganz im Stillen zum grossen Mädchen geworden, an den Eltern vorbei heimlich bis zum Abitur, findet allen Widrigkeiten zum Trotz den Zugang zur Welt. Zusammen mit ihrer Tante. Manchmal auch im Goldregenrausch, da die Tante sehr gut weiss, wie die heilende und tröstende Wirkung des Krauts einzusetzen ist.

In einer „Familie“, in der nur Arbeit und Erfolg zählt, in der Probleme mit flotten Sprüchen weggewischt werden, in der man sich am Feierabend zudröhnt, muss eine Frau wie Greta, die nie einer geregelten Arbeit nachging und trotz allem in ihrem Gleichgewicht nicht gestört werden kann, eine permanente Provokation. So sehr, dass die kleine Bühne von Hof und Nebenhaus Schauplatz eines Dramas wird, dass niemand aufzuhalten vermag. Am wenigsten ich Leser, der zurufen will: „Nimm endlich das Gift!“

Kein Kind verdient, wohin es geboren wird. Nicht die Kinder in Kriegsgebieten, nicht die Kinder in familiären Kriegsgebieten. Die Schäden und Traumas, die Kinder in ihr Erwachsensein schleppen, lassen sich untereinander nicht vergleichen und nicht einstufen. Schrecklich sind sie allemal. Und jeder, der in irgend einer Weise mit dem Schicksal solcher Kinder konfrontiert ist, weiss, wie schwierig es ist, Einfluss zu nehmen, etwas bewirken zu wollen. Wie schnell «elterliche Gewalt» zur existenzbedrohenden, realen, körperlichen und psychischen Gewalt werden kann.

Claudia Schreiber schreibt markig, unverblümt und direkt. Beschönigungen und Vorsicht liegen ihr nicht. Es lässt sich auch nicht verbergen, dass Männer in ihrer Geschichte alles andere als gut wegkommen. Marie und ihre Tante Greta sind einsame Kämpferinnen. Eine ganz junge und eine alte, die mit dem, was ihnen geblieben ist, den Kampf aufnehmen. Einen Kampf mit ungleichlangen Spiessen. Eine Kampf allerdings, der erst auf den letzten Seiten des Buches ausgetragen ist. Ein Kampf, bei dem man bei der Lektüre zum schweigenden Mitlesen gezwungen ist. Wahre Kraft verbirgt sich nicht hinter denen, die den Mund aufreissen. Und wer wie Greta den Menschen durch Enttäuschungen abgeschworen hat, mit der Natur, den Pflanzen und Tieren aber mehr als nur verbunden bleibt, dort ist auch die Liebe geblieben.

Ein in vieler Hinsicht starkes Buch von einer starken Frau über starke Frauen!

Claudia Schreiber wurde 1958 als das vierte von fünf Kindern geboren, die Eltern waren Landwirte, Obstbauern und später Konservenfabrikanten. Nach dem Studium wurde sie 1985 Redakteurin und Reporterin beim Südwestfunk Baden-Baden, später Redakteurin, Reporterin und Moderatorin beim Zweiten Deutschen Fernsehen Mainz, wo sie die Kinder-Nachrichtensendung logo! realisierte. 1992 begann – in Moskau – ihre Arbeit als Autorin, seit 1998 lebt und arbeitet Claudia Schreiber in Köln.

«Die Brautmutter» von Claudia Schreiber, eine Kurzgeschichte auf der «Plattform Gegenzauber»

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Beitragsbild © Sandra Kottonau